Aller Laster Anfang

Irgendwann hat es begonnen. Es war gar nicht so geplant, sondern es fiel mir eher in den Schoß, obwohl ich gar nicht saß. Keiner kann es bezeugen, weil keiner dabei war und ich selbst weiß ja auch nicht, wie und warum es geschah. Auf einmal war es halt da, als wäre es das schon immer gewesen. Und ich war glücklich und zufrieden damit, denn es fühlte sich gut an.

Doch eines Tages war es genauso plötzlich weg, wie es gekommen war. Ich suchte überall, in allen Schubladen, Skizzenbüchern und Schränken, sogar im Keller, in den ich eigentlich wegen der Spinnen nur höchst ungerne hinuntergehe. Ich war verzweifelt, gab Suchanzeigen in der überregionalen Zeitung auf und klebte Zettel an die Laternen in meiner Straße. Aber was ich auch anstellte, es blieb verschwunden.

Erst, als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, klingelte es an meiner Tür und grinste mich an, als wollte es sagen: „Da bin ich wieder! Hast du mich vermisst?“ Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder ihm die Tür vor der Nase zuschlagen sollte. Wie angewurzelt stand ich einfach da und starrte es an. Es ahnte wohl, dass jetzt nicht die Zeit für belanglose Worte war und schwieg.

Minutenlang geschah nichts. Nur es und ich stumm auf dem Treppenabsatz.

„Ich hätte mich gerne von dir verabschiedet“, sagte ich schließlich, „aber wenn der Hund tot ist, begräbt man ihn besser!“ Dann nahm ich es ein letztes Mal in den Arm, ging, ohne mich umzudrehen und auf eine Antwort zu warten, ins Haus zurück und schloss hinter mir die Tür.

Auge um Auge

Es ist mein letzter Wurf.
Danach ist das Spiel aus. Aus und vorbei. Es gibt keine Verlängerung, kein Rückspiel. Es gibt nur diesen einen Wurf.
Ich stehe an der Abwurflinie, gehe in die Knie, wiege die schwere Kugel in der Hand, streiche den Sand herunter, versuche die Entfernung abzuschätzen, den Winkel zu treffen und das Spiel mit diesem letzten Wurf herumzureißen. Alles oder nichts. Ich hole vorsichtig Schwung, pendele den Arm vor und zurück, halte inne, stocke, zögere, schaue noch einmal.
Der kleine Holzball liegt etwa fünf Meter von mir entfernt, verdeckt durch zwei andere Spielkugeln.

Es ist mein letzter Wurf.

Er entscheidet, ob ich dem Teufel meine Seele geben muss. Ich weiß, dass mich jetzt nur ein göttlicher Treffer retten kann, um seine beiden Kugeln wegzustoßen und meine eigene am nächsten an die Holzkugel zu platzieren. Doch mit Gott war ich noch nie per du.
Trotzdem murmele ich ein Gebet vor mich hin: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“, und schaue dem Teufel dabei tief in seine rotorange glühenden Augen. Doch anstatt meine Kugel wohlüberlegt in Richtung der anderen zu werfen, hole ich weit von unten nach oben aus. In dem Moment, als meine Hand schnurstracks zum Himmel zeigt, sage ich: „Amen.“
„Ich sehe nichts!“, zischt der Teufel wütend und blinzelt gegen das gleißende Licht der Sonne.
Schnell trete ich einige Schritte nach vorne, „von hier kannst du besser gucken!“, behaupte ich und winke ihn zu mir.
Widerwillig folgt er meiner Aufforderung, ohne seinen Blick vom Himmel abzuwenden. Unbemerkt lasse ich die Kugel aus meiner anderen Hand plumpsen. Sie schubst seine beiden mit einem leisen Klonk zur Seite.
„Oah, jetzt hast du sie verpasst“, stöhne ich, buffe ihn in die Rippen und zeige zu Boden. „Das, das …“, stottert er irritiert und glotzt mich an, als wäre er eben dem Schöpfer begegnet.

„Hüte dich“, blaffe ich ihn harsch an und hebe meinen Zeigefinger, „du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“

„Revanche?“, fragt er kleinlaut und ich nicke.