Endlich

Wenn ich endlich einmal Zeit habe, dann bestelle ich beim Bofostmann Pferdelasagne, lasse ihn anschließend Sturm klingeln und beschmeiße ihn vom Balkon aus mit Eiswürfeln.
Ich poste im Namen meines Nachbarn eine Freibierparty auf facebook, filme das bunte Treiben und die brennenden Autos und stelle alles wieder ins Netz.
Ich rufe bei Domian auf 1LIVE an und erzähle von meinen Phantasien, mit Angela Merkel zu schlafen.
Ich schneide mir die Fußnägel, schicke die morschen Sicheln ans pathologische Institut und verlange Lösegeld.
Ich beschmiere meine Fenster mit Dreck und bewerbe mich bei Tine Wittler.
Ich tanze nackt auf dem First meines Hauses und singe laut: „Das sind nicht 20 Zentimeter!“
Ich konditioniere meinen Psychiater auf m und m’s und läute solange mit der Glocke, bis er hechelt.

Aber wenn ich erst entlassen werde, dann …

Angstwut

Manchmal ist in meinem Kopf so wenig Platz, dass ich alles, was nicht niet- und nagelfest ist, bei eBay verkaufe, aktiv vergesse oder gnadenlos wegwerfe. Selbst Geschichten, die gestern erst geschehen sind, können heute schon Ballast sein, der mich abhält, nach vorne zu schauen und den Aufstieg auf den Olymp zu schaffen. Nur selten passiert es mir dabei, dass ich doch das eine oder andere Stückchen davon gerne wieder hätte. Aber das hat mich nie wirklich gestört, denn es ereignen sich ja täglich neue Überraschungen, die mir den Kopf zumüllen. Und deswegen finde ich es sinnvoller zu vergessen. Wo soll ich auch hin mit dem alten Rotz in meiner kleinen Einzimmerwohnung der Erinnerungen? Da müssen manche Sachen eben auf der Strecke bleiben.
Es ist wie auf einer Party: Die Gäste kommen und gehen, der Alkohol fließt in Strömen, wir rauchen Kette und reden über Fußball. In der Küche stapeln sich durchweichte Pizzakartons und braune, angetrunkene Flaschen reihen sich dichtgedrängt an­ei­n­an­der wie Arminiafans in der Südkurve. Irgendwann schütten wir uns einen Schlummerschluck zusammen, pflücken die Zigarettenfilter aus dem trüben Gesöff, exen die Brühe und legen uns auf den Boden zum Pennen. Am nächsten Morgen dröhnt der Schädel wie ein Bohrhammer und die Knochen tun weh, als hätten wir unter einem Elefanten geschlafen. Das Bad ist für eine Woche unbewohnbar, aber zum Pissen im Stehen reicht es. Abends kommen ein paar neue Freunde zum Restetrinken und wir kotzen gemeinsam in die Regenschirmkanne. In der Erinnerung war es trotzdem ein rundum gelungenes Fest.

Ich mag es einfach, wenn die Dinge noch eine Ordnung und Bezug zueinander haben. Ich will mich darauf verlassen können, dass Bier seit 1516 nur mit bestem Hopfen, Hefe, Malz und Wasser gebraut ist. Deswegen verdränge ich die Realität, dass es Sorten gibt, die besser im Süßwarenregal stünden und nach bunter Zuckerwatte schmecken. „Pfui, wer so etwas trinkt, der wählt auch Trump“, sagt mein Wirt immer und ergänzt dann, nach einer kleinen andächtigen Pause: „Der letzte Schluck sollte ein Herforder sein.“ Da hat er Recht. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Pils, aber nicht an meine erste Kola.

Und das ist genau das, was ich meine: Es gibt so viele Dinge, die es sich gar nicht zu merken lohnt. Das, was ich darüber hinaus noch rauskehre, bis die Hirnstube leer ist wie ein ostdeutscher Supermarkt vor der Wende, sind unwichtige Kollateralschäden. Was gestern war, ist vorbei und kommt nicht wieder. Nur weil mich einmal der Blitz beim Scheißen im Wald getroffen hat, so hat es doch tausend Mal vorher Spaß gemacht und ich muss deswegen nicht grundlegend mein Leben ändern. Und wenn die Uhr auf Winterzeit umgestellt wird, geht zwar die Sonne eher unter, aber nicht gleich die ganze Welt. Ich habe sogar eine Stunde länger Zeit, neues Bier zu kaufen. Es spielt auch überhaupt keine Rolle, ob ich gestern irgendetwas hätte tun können. Wichtig ist einzig und allein nur, ob ich es getan habe.
Ich hasse dieses ewig wiederkehrende Lied in meinem Kopf, weil es mich verrückt macht. Jeden Tag schießen mir hundert Momente durch den Gedankenwald, wie es zum Beispiel wäre, wenn ich ihr genau jetzt sagen würde, dass ich Lust hätte, sie zu vögeln und einen Augenblick später verfluche ich mich dafür, dass ich es tat. Was geht mir das auf die Nüsse! Das darf doch wohl nicht wahr sein. Kann denn niemals etwas perfekt sein? Muss denn immer alles im Fluss sein? Ich will mich manchmal einfach nur hinsetzen und zur Ruhe kommen, bis die Dinge so bleiben, wie sie sind und sich nichts mehr verändert. Aber nein, stattdessen rast schon wieder die nächste Katastrophe mit überhöhter Geschwindigkeit die abschüssige Kurve hinab.

Gerne würde ich einmal glauben, dass alles so seine Richtigkeit hat. Doch nur zu oft packen mich Gefühle von Zweifel und Unsicherheit. Versagensängste klopfen penetrant wie der Bofrostmann an meine Tür. Beim letzten Mal hat er mir einen überteuerten Tiefkühl- Adventskalender angedreht und mich dabei angeschaut wie Klaus Kinski. Ich konnte drei Wochen lang nur mit großem Licht schlafen und habe bei der nächsten Sitzung meine Psychologin mit einer gefrorenen Laugenstange bedroht. Erschrocken meinte sie, ich solle meine Angstwut doch einmal aufmalen. Ich schnappte mir die Farben und knallte ihr ein Happening aus Rot und Schwarz schwungvoll auf die Leinwand, so dass Pollock kleinlaut um einen Praktikumsplatz bei mir gebettelt hätte. Dabei sang ich laut Dicke von Westernhagen. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich ihre nackten Brüste mit bloßen Händen anmale und ihr ein Geweih auf den knackigen Arsch schmiere. Doch die alte Kuh kroch nur tiefer und tiefer in ihren Ohrensessel, blätterte in der roten Medikamentenliste und telefonierte. Als meine Musik verstummte, nahm ich mir ein Cuttermesser und schlitzte sie langsam auf. Der erste Stich durchdrang das straff gespannte Gewebe mit dem leisen Geräusch wie ein Reißverschluss, dann färbte sich die Klinge blutrot und zeichnete wie von selbst ein Satanskreuz. Ich setzte mich still davor, rauchte und betrachtete genussvoll mein Werk, bis ein Sondereinsatzkommando die Praxis stürmte und die völlig zerstörte Leinwand beschlagnahmte.

Wie lange mag das wohl her sein? Ich weiß es nicht! Vielleicht ist es auch nie geschehen, wer kann es wissen? Vergangenheit ist wie eine alte Sendung Aktenzeichen xy, unaufklärbar, ewig her und nicht mehr zu ändern. Also brauche ich mir keinen Kopf darum zu machen, was damals war oder nicht. Es reicht, wenn ich mich an meinen Namen erinnere. Zum Glück habe ich ja zwei, falls ich den einen doch einmal vergessen sollte …

Om Au Am Zeh

Manchmal habe ich Flusen zwischen den Zehen. Dann frage ich mich, wie die dahingelangen. Es gibt offensichtlich Phänomene und Mysterien, für die gibt es einfach keine Erklärungen. Zumindest keine einfachen.
Wie zum Beispiel das mit den Krümeln im Bauchnabel. Krümel! Man muss sich das mal vorstellen! Wenn ich nun dick und bräsig mit nackter Wampe im Biergarten oder am Stammtisch sitzen würde, dazu eine Brezel essen würde, dann könnte ich das begreifen. Wie gesagt, wenn ich dabei sitzen würde, aber das tue ich nicht. Ich stehe dabei, wegen der Figur, damit ich nicht aussehe wie Buddha auf dem Donnerbalken.
Oder warum ich auch ständig Schuppen auf den Schultern habe. Ich verstehe das nicht, eigentlich kann das gar nicht sein, ich bin ja schließlich kein Fisch. Ich war auch noch nie am Meer und meide Wasser überdies wie der Bofrostmann die Sonne.
Und nun das! Flusen?!
Ach, wo sind eigentlich meine Socken?

Warum ich den Rattenfänger erschoss

Ich gebe es zu: Ich habe Angst vor Flöten. Der Psychologe nennt das Aulophobie.

Wenn ich nur an Flöten denke, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Schon ein einziger Ton aus diesem löchrigen Langstock dringt mir bis ins Rückenmark und löst  einen optischen Tinnitus aus. Das fühlt sich an, als hätte man eine Flöte im Auge. Obendrein frieren temporäre Lähmungen meine Motorik ein, das ganze System fährt herunter. Da geht nix mehr mit meinen sonst so flüssigen und eleganten Bewegungskoordinationen, die sonst die Leute am Straßenrand in Staunen und Entzücken versetzt haben. Ich stake nur noch holzbeinig und hilflos wie der Bofrostmann im Tanzkurs herum.  Angst und Bange beschreiben die Reaktion der Umherstehenden jetzt besser und treffender.
Also meide ich alle Orte, an denen mir Flöten in irgendeiner auch nur erdenklichen Form begegnen könnten.

Ich mache einen großen Bogen um meine Küche, wo der Wasserkessel bedrohlich auf dem Herd darauf wartet, jeden Augenblick sein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert zu beginnen. Stattdessen hole ich mir lieber einen To- go- Kaffee an der lautesten Kreuzung der Stadt.

In die Kirche traue ich mich schon lange nicht mehr, seit in der Weihnachtszeit einmal eines dieser unsäglichen Flötenorchester aus völlig unmusikalischen Grundschulkindern im Zahnwechselalter die Empore fast zum Einsturz gebracht hätten. Ich kuschele mich stattdessen lieber wieder in meine Daunendecke und drehe mich noch einmal um.

Außerdem mache ich einen weiten Bogen um jede Musikalienhandlung und auch Einkaufsstraßen mit chilenischen Panflötisten kann ich nur mit aufgesetzten Kopfhören und Iron Maiden auf 110 dB passieren. Da bestelle ich doch alles lieber im Internet und lasse es mir dann nach Hause liefern. Und wehe die dumme Sau von Postbüttel klingelt.

Auch auf jeder Scheißlauffläche für Köter zucke ich sekündlich zusammmen, denn selbst die angeblich unhörbaren Hundepfeifen schrillen in meinen Ohren wie eine Schiffssirene. Ich sympatisiere daher eher mit Katzen, die kacken wenigstens in die Ecke.

Es gibt sogar ganze Orte, die kann ich nicht bereisen: Ferna zum Beispiel mit dem Flöte spielenden Stadtwappenengel oder die Windflöte bei Bielefeld. Nun, das ist sicher nicht weiter schade, aber ich kann auch keinem Spielmannszug in igendeiner anderen Stadt beiwohnen. Und selbst auf der Arbeit, sonst ein herrlich unmusikalischer Verein, sehe ich nur Blockflötengesichter.

Und so geschah es dann eines Tages, dass ich in Hameln den Rattenfänger während eines akuten Krankheitsschubes als mein Feindbild schlechthin auf offener Straße einfach erschoss. Es tut mir auch leid.

Was mir aber wirklich fehlt, das ist der Fußball. Ich kann nicht mehr ins Stadion gehen und schaue nur noch stumm die Sportschau. Das ist verdammt hart.
Wenn ich es mir so recht überlege, vielleicht sollte ich einfach drauf pfeifen.

Schlafvollzug

Manchmal bin ich müde und kann einfach nicht einschlafen. Mir geistern dann noch tausend Gespenster des Tages laut rasselnd durch den Kopf. Warum der Bofrostmann keine frischen Brötchen hat. Oder warum der Postbote Pfingsten nicht kommt. Ob der sich vielleicht zusammen mit dem lästigen Tiefkühlfahrer im Stadtpark bei einem kleinen Wippermann eins ins Fäustchen lacht? Ha, ich habe es schon immer gewusst! Denen werde ich es zeigen! Kurzerhand gehe ich zum Schuppen und hole mein Fahrrad.
„Wo willst du noch so spät hin?“, ruft mir eine Stimme nach.
„Brötchen holen“, schnaufe ich.
„Aber es ist zwei Uhr morgens?!“
„Ich habe Hunger“, grantle ich und mache mich unbeirrt auf meinen Weg. Wie ein Glühwürmchen funzelt mein Vorderlicht durch die schwarze Finsternis, ohne einen Schatten zu werfen. Es ist bitterkalt, die Eulen sind längst eingeschlafen und haben sich warm zugedeckt. Doch meine Wut kennt keine Angst, obwohl sie Brüder sind. Ich scheiße auf Familie und trampele weiter, bis ich endlich um die letzte Kurve biege. In dichten Nebel gehüllt liegt die städtische Hundescheißfläche jetzt vor mir, gefährlich und unbezwingbar wie der Marianengraben. Ich bremse ab und beobachte mein Glühwürmchen beim Sterben. Die Grabesstille ist hörbar in meinem Kopf und frage ich mich, ob ich nicht manchmal übertreibe. Jede Nacht stehe ich hier und lasse mich fressen von meinen Gedanken. Von Zweifeln und Sorgen. Von Gram und Groll. Von Mut und Matsch.
Vielleicht hätte es ein Wippermann auch getan. Oder auch zwei. Da muss ich mal drüber nachdenken, wenn ich wieder zu Hause bin.

Wennichma

Irgendwann bin ich groß. So groß, dass ich alleine Rad fahren kann, ohne Stützräder und ohne Lenker festhalten. Dann sause ich den Berg ganz runter bis zur großen Straße, dreh mich noch einmal um und kucke, ob die Mutti kuckt. Jawoll. Und wehe nicht. Dann bin ich ganz traurig, weil die Mutti hat immer nur Zeit für meine doofe kleine Schwester. Dabei kann die noch nicht einmal laufen und trotzdem kuckt Mutti immer und freut sich dann wie Bolle. Ich weiß gar nicht, wer Bolle ist, meine Schwester heißt ja Zicke. Manchmal ärgere ich sie, wenn Mutti mit dem Bofrostmann im Keller ist oder auf dem Balkon raucht. Dann tunke ich ihren Schnuller in Salz, verstecke ihn hinter meinem Rücken und Zicke muss raten. Sie gewinnt immer und heult dann rum. Wenn mich Mutti dann mit dem Teppichklopper jagt, renne ich schnell in mein Zimmer und verstecke mich unter dem Bett. Da kuckt sie nie, weil sie Angst vor Spinnen hat. Ich auch, aber noch mehr vor dem Teppichklopper. Das tut ganz schön weh und die blauen Flecken brauchen lange, bis sie wieder weg sind. Meine Sportlehrerin fragt dann immer so doof. Ich sage dann, das kommt vom Fahrrad fahren. Wennichma groß bin, will ich Schriftsteller werden.

Gewinner

Ich frage mich, ob ich jeden Quatsch mitmachen muss. Jetzt flatterte mir ein Gewinn ins Haus für meine Geschichte „Der Müller und die undankbaren Esel„, mit der ich beim Märchenschreibwettbewerb des Augsburger Puppentheatermuseums „die Kiste“ 2012 teilgenommen habe.

Mir wären die 4,10€ Päckchenporto lieber gewesen:

buchgewinn

Aber ich wäre ein undankbarer Esel, wenn ich darin nicht den Beginn einer großartigen Karriere sehen würde: Als Antiquariar oder Narr.

Vielleicht hat ja der Bofrostmann Verwendung dafür. Als Schreibunterlage oder Briefbeschwerer.

Ätschi Kolätschi

Manchmal geht auch gar nichts schief. Doch davon kann ich nicht berrichten. Das wäre nichts für mich, so viel Lobhudelei an das Leben. Ich singe ja auch nicht im Kirchenchor oder heiße Xavier Naidoo.
Lieber sitze ich in der Muppert- Show auf der Empore und kommentiere das bunte Treiben von oben herab. Aus der Distanz sieht man viele Dinge klarer und entspannter. Wer in der Pfeffermühle steckt, kann das Kochen nicht genießen. Der hat andere Sachen im Kopf, zum Beispiel, ob er den Herd ausgeschaltet hat oder ob der Bofrostmann wieder diese leckeren Marillenklöße mitbringt. Und erst, wenn alle gebetet haben, darf gegessen werden. Ohne wenn und aber, wir sind hier ja nicht in der Werkskantine von Hoechst oder in der Heiligen Messe. Hier herrscht noch Anstand und Moral und nicht Egoismus und Gier. Hier zählen noch Werte wie Zusammenhalt und Rücksichtnahme. Und keiner verlässt den Raum, bevor ich es ihm erlaube!

PS: Ein Frohes Weihnachtsfest meinen treuen und untreuen Lesern!

Gleicheitrige

Fortsetzung von Freu Dich nicht zu spät! (Kapitel 1), Abstelltraum (Kapitel 2), Strebergarten (Kapitel 3), Wortgeflecht (Kapitel 4) und Kassensturz (Kapitel 5)

Am nächsten Mittag will ich grade zum Imbiss rüber frühstücken, als das Telefon klingelt. Irgend so ein Muttibügler von meiner Bank bietet mir gleich am nächsten Morgen beim Filialleiter ein Gespräch „zur Überbrückung meines Finanzengpasses“ an. Als wenn ich nicht arbeiten müsste! Doch dafür hat der Kopfgeldjäger kein Verständnis und verweist mich spröde auf meinen Kontostand im vierstelligen Soll.

Tags drauf betrete ich in aller Herrgottsfrühe um 9.30 Uhr den Marmorpalast in der Innenstadt. Die Schlipsfressen und Kostümmäuse eilen emsig hin und her, holen Formulare aus Apothekerschränken, kopieren doppelseitige Diagramme, tippen Zahlenkarawanen in den Computer, schütteln mit dem Kopf und kritzeln Formeln auf einen Notizklotz. Weit und breit kein einziger Kunde zu sehen, da hätte ich auch im Laden bleiben können. Trotzdem dauert es geschlagene 15 Minuten, bis einer dieser Blattwender auf mich aufmerksam wird. Nach einem Umweg am Wasserspender vorbei steht er jetzt grinsend vor mir. Die Sakkoschwuchtel tackert zweimal mit dem Kugelschreiber und lässt ihn dann in der Brusttasche seines Nadelstreifenkittels verschwinden. Ich könnte ihm gleich eine reinhauen für so viel Arroganz. Mit einem lauten Knall lege ich ihm einen abgewetzten Jutebeutel auf den Mahagonitresen. „Vollmachen“, sage ich, „sonst fliegt dein GTI in die Luft!“ Mein Daumen spielt dabei nervös mit der Schlüssel- Fernbedienung von unserem Geschäftswagen. Der hobbylose Geldazubi glotzt mich mit großen Augen an, sein Fluchtkinn zittert dabei. Westerwelle dicke Pickel bilden sich auf seiner Stirn, platzen auf und drücken zähen Eiter aus zerfurchten Kratern. Ich grinse ihn an und zeige darauf, „das sollten Sie mal behandeln lassen! Das sieht scheiße aus!“ Mit schweiß nassen Pfoten betatscht er seine schüttere Haarlichtung. „Ich habe einen Termin mit eurem Herrn Ackermann, seine Zeit ist sicher auch Geld!“, setze ich meiner Forderung jetzt Nachdruck und scheuche ihn mit einer wischenden Handbewegung zu der Schuss sicheren Glastür im hinteren Teil des Tempels. Seine schwarzen Lackschühchen bewegen sich nur mühsam rückwärts, bis ich auf die Fernbedienung drücke und fröhlich „Peng!“ rufe. Dann drehen sie sich um und rennen. Keine zwei Minuten später sitze ich entspannt bei einem Kaffee an der Front. Der graue Finanzminister referiert etwas von nötigen Investitionen, Sicherheiten, aktuellem Zinsniveau, Renditen und Riestern. Seine goldene Uhr spiegelt das einfallende Sonnenlicht dabei wild durch den Raum, ich schaue neugierig hinterher. Als ich grade in meinen Muckefuck puste, bleibt mein verschwommener Blick an einem Bild an der Wand hängen. Oma Eusebia drischt grade mit ihrem Nudelholz auf den armen Lupo ein. Mir schießt mein alter Spitzname wieder durch den Sinn. Murat hat ihn mir gegeben, weil ich wie sie keiner Bank traute und mein Geld lieber in einem Sparstrumpf unter der Matratze aufbewahrte. Stattdessen war ich so doof, die Knete beim Hütchenspiel in Amsterdam zu verzocken. Ich könnte heute noch schwören, beschissen worden zu sein. „Depotumschichtung“ und „Hedgefonds“ brabbelt der Dukatenscheißer mit der gewichtigen Rolex durch den Park von Fuxholzen.

“Leihen?”, schreit Eusebia, “Dir? Nein, mein Lieber! Wenn du Geld haben willst, musst du es verdienen!” “Aber Oma, es ist doch nur, weil … Lupinchen hat Geburtstag!”, stammelt Lupo. Aber Oma Cholerika kennt kein Erbarmen und jagt ihren nixnutzen Enkel zum Haus heraus. Der arme Kerl will nur noch zurück in seinen Mäuseturm, springt in sein Auto und braust davon. Nichts wie weg!

Der Dukatenesel im Ledersessel mir gegenüber holt währenddessen zum alles entscheidenden Schlag aus, jetzt müssten wir das Griechenlandpaket fest schnüren. Als ich dem Währungskommissar unseren Renault Rapid als Sicherheit in Aussicht stelle, quasi als Schuldenbremse, schwillt ihm der Krawattenhals. Rot wie die erste Periode einer Novizin nestelt er an dem engen Knoten herum und röchelt nach Luft. Ich schnappe mir einen Flyer mit Freikarten für die Existenzgründermesse von seinem Glastisch, lege ihm meine Visitenkarte als Ersatz hin, gehe zur Tür und rufe die Drückerkolonne herbei.

Draußen am Imbiss wartet schon ein hellenisches Fleischfrühstück auf mich. Der Bofrostmann ist auch da und bestellt sich ein Wasser. Ich lade ihn ein, er hat mir mal das Leben gerettet.  Renzo schreibt alles auf meinen Deckel. Gut gelaunt fahre ich nach Hause. Das Radio spielt „Einfach sein“.

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Der Zahn der Zeit

Manchmal weiß ich einfach nicht, was ich zu Hause den lieben langen Tag so gemacht habe. Morgens laufe ich nach dem Aufstehen am Wäscheberg auf dem Esszimmertisch vorbei und sage ihm am Abend wieder „Gute Nacht“, ohne dass er kleiner geworden wäre, ganz im Gegenteil! Auf dem Weg ins Bad wirbele ich Wochen alte Staubmäuse auf, quetsche wieder einmal den letzten Rest aus der Zahnpastatube und ärgere mich über die leere Shampooflasche in der Dusche. Ein Haarbüschel verstopft den Abfluss. In der Kaffeemaschine, die ich vergessen habe auszuschalten, pappt noch der Filter mit Prütt von gestern und ein verkochter Sirup. Das leer gegessene Ei wurzelt schon in der Untertasse. Der Spüllappen klebt und riecht wie eine alte Windel, das Geschirrbecken ist stumpf vor Kalk wie die Scheinwerfer eines Citroens. Der Adventskalender ist auf 23 stehen geblieben. Auf der Spülmaschine türmen sich Teller und Töpfe wie nach der Vereidigung von Bundeswehrkadetten. Ich schaffe es einfach nicht, dem Chaos Herr zu werden. Wenn ich den Müllwagen beim Nachbarn klabastern höre, springe ich auf, rolle meinen Trolli nach vorne und ärgere mich bis zum Abend über die voll gebliebenen Papierkörbe im Haus, die ich dann noch finde. Ich schaue durch blinde Fenster auf die Straße und stelle fest, dass der Rasen höher ist als meine Hecke. Aber der Schlüssel zum Schuppen hängt nicht an seinem angestammten Platz und im Grasfangkorb vom Rasenmäher züchten die Kinder Nacktschnecken. Abgesehen davon ist eh das Benzin im Kanister alle. Dafür finde ich mein seit Wochen verschollenes Handy wieder. Die letzte gewählte Rufnummer stammt vom chinesischen Konsulat in Tibet. Ich versuche noch zu erklären, dass ich mich verwählt habe. Vergebens. Als der Wind meine Haustür zuschmeißt, der Sturzregen über die Rinne vom Dach schwappt und die Packungen vom Bofrostmann auf dem Treppenabsatz durchweicht, da tanze ich einen wilden Tanz. Wie die blaue Elise, die wieder einmal versucht, die Ameise Charlie zu fangen und sich dabei selber in die Luft sprengt.

Ich tue, was ich machen kann

Manchmal weiß ich nicht, was ich noch machen soll. Ich tue schon mein bestes, aber das reicht bisweilen einfach nicht. Ach, wie soll ich das erklären?! Also, es gibt Arbeit und es gibt Freizeit. Beide unterscheiden sich in vielen Punkten von einander. Arbeit hält mich von meiner Freizeit ab. Arbeit ist ein ewig gleicher Trott, ein Murmeltiertag, eine Zeitschleife, in der nichts anderes passiert, als die vergangenen Jahre auch. Hochgerechnet schon tausendsechshundert Mal bin ich den selben verschissenen Weg zum Büro schon gefahren. Baustellen im frühen Planfeststellungsverfahren bremsen mich auf die Geschwindigkeit einer Wanderdüne herab. Seit der Mondlandung soll dieser Teil der Autobahn ausgebaut werden. Eine greise Fledermaus und zwei Grottenolme haben hier bisher erfolgreich verhindert, was in Stuttgart nicht gelingt. Auf der Einfädelspur zieht feixend ein Gurkenlaster an mir vorbei und drängelt sich vor mich. Ich schlage aufs Lenkrad, hupe gestikulierend und quetsche mich ohne zu blinken auf den verengten Fahrstreifen zwischen schwarze Limousinen mit LED- Tagfahrlicht und silbernen Buchstaben-Nummern-Koordinaten auf dem Heck. Im zähen Stop and Go geht es voran, Küblböck hat mir immer ein paar Meter voraus. Dann muss ich abfahren. Auf der Abbiegespur gebe ich Gas, versuche noch gleichzuziehen und dem Bazi den längsten Finger zu zeigen, als ich abrupt abbremsen muss, weil ein Bofrostlaster ausschert. Nur Idioten auf der Straße und bei der Arbeit geht es mit Idioten weiter. Lauter Verrückte, ohne Lust und Motivation. Dummheit hat mehr Doppelkonsonanten als sie IQ besitzen und Diät mehr Vokale als ihr BMI beträgt! Aber Schuld haben immer die anderen! Wie mir das Gejammer aus den Ohren heraus hängt!

In meiner Freizeit denke ich so etwas nicht. Da möchte ich den warmen Wind hauchen spüren, das Meer rauschen hören und die salzige Luft schmecken. Ich möchte in das Backfischbrötchen beißen und mir das T-Shirt mit Remoulade bekleckern. Da möchte ich in Weidenkörben nach Muscheln kramen, mir einen Kescher kaufen und schwarze Möwen vor der Sonne zählen. Ich ziehe mir die Schuhe aus und laufe barfuß am Strand entlang und springe über Wellen. Und erst, wenn die Nacht von unten durch den Horizont bricht, falle ich mit Sand in den Haaren und schmutzigen Füßen ins Bett.

Sündenbock

Immer ich! Ich bin es leid. Dabei habe ich gar nichts damit zu tun! Ich war überhaupt nicht da! Ich kann es nicht gewesen sein! Aus, Schluss, basta!
Aber dann steht eines Tages dieser Mann vor meinem Haus. Ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Klemmbrett unterm Arm. Neben sich hat er einen dunklen Lederkoffer abgestellt. Mit einem merkwürdigen Gefühl öffne ich die Tür. Er hält mir gleich seinen Dienstausweis knapp vor die Brille und stellt mir seltsame Fragen. Ob ich hier wohnen würde. Und wo ich denn am 3. Mai gewesen wäre? Moment, das ist doch noch nicht so lange her. Genau, er sei schon einmal dagewesen und obwohl das Auto in der Einfahrt stand, habe niemand aufgemacht. Das sei doch mein Wagen? Mir sei doch klar, dass der TÜV abgelaufen ist? Ich müsste mit empfindlichen Strafen rechnen, das wüsste ich doch, oder?
Erschrocken wie Thomas Gottschalk nach der verlorenen Saalwette starre ich ihn an. So langsam platzt mir die Wutschnur. Ich greife nach dem Schuhlöffel auf der Fensterbank. Plötzlich vibriert der Boden und ein Getöse durchschneidet die warme Frühlingsluft, als starte in meinem Flur ein Viertakt- Rasenmäher. Die Sonne kneift die Augen zu, als sich ein dunkler Schatten auf den Rasen senkt und meine Magnolie abknickt. Im nächsten Moment markieren rote Laserpunkte meine empfindlichsten Körperstellen und eine vermummte GSG9- Spezialeinheit überwältigt mich auf dem Treppenabsatz. Mein Kopf schlägt dumpf auf die Kokosmatte, die mich stur willkommen heißt. Roter Dicksaft kriecht aus meiner Nase und mischt sich mit der eingetrockneten Blutspende des Bofrostmannes vom vergangenen Herbst zu einer negativen Kreuzprobe. Kabelbinder ratschen und ich werde brutal in den Flur gestoßen. Der schwarze Mann tritt neben mich und hält mir die neue Kehrverordnung unter die Nase. „Darf ich jetzt?“ fragt er.

Schnittblumen

In jeder Gala, Brigitte und Für Ihr steht etwas über dieses Thema geschrieben. Wie Schnittblumen das Leben verändern. Wie sie Licht in die Dunkelheit bringen. Was sie bedeuten. Wie man sie verschenkt. Wie sie länger frisch Schnittblumen oder welche Blumen zu welchem Anlass passen. Männer können darüber nur lächeln. Warum sollte ich dafür 20€ ausgeben? Damit ich sie nach drei Tagen tot in die Schnittblumentonne trage? Und ich dann noch aus Pietät Kollegen auf den braunen Sargdeckel lege? Was soll ich mit Grünobst, von dem ich nicht weiß, wie man es schreibt oder wie es aussieht? Krisantheme? Hüazinte? Da halte ich mich doch lieber an Bier! Das hat wenigstens immer Saison. Es ist auch geselliger beim Fußball gucken. Das kann ich auch schreiben! Und es ist Pfand drauf!

In der nächsten Halbzeitpause kann ich ja meinen Kumpels mal ein zartes Röschen statt eines kühlen Krombachers mitbringen. Das wird ein Spaß! Und nach Spielende erzähle ich ihnen, dass ich noch zur Fußpflege muss. Dann darf ich mich aber nicht wundern, wenn ich zum Geburtstag ein Ikebana- Gesteck und einen Gutschein für einen Kursus im Trockenfilzen beim Verein für Hausfrauen und Schwiegermütter (VHS) bekomme.

Und ehe ich mich versehe, flattern mir die ersten Kataloge von Tupper, Teutonia und Co in den Briefkasten. Vorsichtshalber habe ich den Boden heraus gesägt und die geöffnete Papiertonne darunter geschoben. So erspare ich mir gleichzeitig nervige Erinnerungsschreiben von der Medienmafia GEZ. Die plumpsen halbjährlich direkt auf den Stapel der Sonntagszeitungen, Kirchenblätter und Pizzataxizettel. Nur an die Straße schieben muss ich den schweren Rollkoffer noch selber.

Ach so, meine Blumen bringt mir der Bofrostmann, gekühlt halten sie länger frisch! Und die Nachbarn merken nichts!

Taken by a stranger

Ja, das denke ich auch oft, dass sie mich irgendwo abgeholt und hier wieder ausgesetzt haben. Nun stehe ich hier, weiß nicht woher ich komme, wo ich bin und was auf mich zukommt. Wäre ich 13 Jahre alt, würde ich dieses Phänomen Pubertät nennen. Aber das scheidet in meinem Fall aus. Aber so? Und warum? Kann denn nicht einmal alles glatt laufen? Kann ich denn nicht morgens ausgeschlafen aufstehen, ohne dass der Nachbar mit der Wacker- Rüttelplatte seinen Rasen verdichtet? Ohne dass der Bofrostmann hupt, weil vor ihm der schwarze UPS- Laster die Straße blockiert und er von hinten vom Popofrische Eier – Auto zugeparkt wird? Und muss Oma Eusebia so früh ihre Rotbäckchen – Pfandflaschen in ihrem Hackenporsche spazieren fahren?
Warum können sie mich nicht einfach wieder abholen und zurück bringen?!

Potpourri

Das wollte ich schon länger mal machen: Eine Geschichte schreiben, in der alle meine Schlagwörter („Tag-Links“, siehe am rechten Rand) mindestens einmal vorkommen. Ich probiere es mal alphabetisch!

Es ist Heiligabend. Soeben öffne ich das letzte Törchen vom Adventskalender. Was ist das denn? Ich traue meinen Augen nicht: Ein kleines Schokoladenauto. Und wer steigt grade aus? Der Bofrostmann! Wo will der denn so spät hin? Will der etwa noch Tiefkühl- Brötchen ausliefern? Wo denn? Hier in dieser unwirtlichen Gegend, mitten am Deich? Hier gehen die Eier zu Ende, die Frauen spielen Fußball und Haare wachsen am Horizont! Was in aller Welt hat der hier verloren? Leise schleiche ich ihm nach. Das gespenstische Licht des Mondes verzerrt die Schatten der Hühner im Garten von Kapitän Ahab zu einer Karawane Fleisch fressender Saurier. Plötzlich bleibt der Bofrostmann stehen und blickt sich misstrauisch um. Ich zucke zusammen. Hat er mich gesehen? Dämonisch sieht er aus, als würde er Kinder fressen. Ich fürchte um mein Leben, als er einige Schritte auf mein Versteck zugeht. Sein eisiger Atem stirbt in der klirrenden Kälte, kaum dass er sein Maul verlässt. „Ich bin ein Mann“ , denke ich, „zum Sterben ist jetzt keine Zeit!“ und laufe weg. Meine Schritte hallen in der Dunkelheit wie die Schläge des Belzebubs zum Altweiberfasching auf dem glühenden Amboss. Atemlos renne ich zum Meer. „Heiliges Murmeltier, steh mir bei“, schreie ich. Der graue Riese schmeißt unbarmherzig seine kalten Arme nach mir und spült Muscheln um meine Füße. Unsichtbare Möwen schreien durch die Nacht. Meine Nase saugt den salzigen Odem des Todes ein, in den Ohren knistert es nach zertretenem Playmobil. Das Radio in meinem Kopf spielt Julis „Woanders zu Hause“. Dann ist plötzlich Ruhe. Kognitiver Stromausfall. Unendliche Stille. Das Meer schweigt, als habe Neptun Mittagsschlaf verordnet und drohe jedem, der dieses Gesetz missachtet, mit einer Einzelstunde Eurythmie. Mit meinen Zehen presse ich den Sand in meinen Schuhen immer wieder zusammen, bis sich ein kleiner Damm darin bildet. Die Welt um mich herum ist stumm, wie in der Schule beim Englisch- Unterricht, mucksmäuschen still. Selbst die Segel eines trüben, vorüberziehenden Seelenverkäufers halten sich an das unausgesprochene Redeverbot. Ich fröstle.
Mit lautem Getöse poltert die Brandung Ruptus artig wieder los, glitschig wie Seife prescht sie mir ihre klamme Gischt ins Antlitz. Ich muss spucken und kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, brennt die Sonne, obwohl es eben noch stockfinster war. Bis zu den Knien eingegraben stehe ich am Strand, es ist heller Tag. Hinter mir entdecke ich eine schimmernde Tür. Das Wasser frisst gierig ihren Rahmen und drückt an die Buhnen.

Das Leben ist wie die Flut an Weihnachten“ , denke ich, „was die Welle nicht reißt, das reißt der Wichtel!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal um und blicke ein letztes Mal zum Ende der Welt. Der Wind bläst mir ins Gesicht, das hält die Windschutzscheibe nicht.

Irgendwann ist Feierabend

Irgendwann platzt mir die Wutschnur. Dann ist einfach genug. Dann muss ich meinem Ärger Luft machen. Wenn ich nicht mehr an mir halten kann, muss es raus. So spielt das Leben. Der Frust hat sich zuvor Wochen lang seinen Weg vorbei an Galle, Magen und Leber gesucht und dabei eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Letzte Woche mussten mir in einer Notoperation alle inneren Organe entfernt werden. Jetzt ist wieder Sonntag und ich stehe mit Braunüle und dem Bofrostmann im Fanblock. Der Schiedsrichter ist wie immer eine schwarze Sau, kann Abseits nicht von Abszess unterscheiden. Der hat uns nicht erst einmal verpfiffen. Wenn ich diesen plattfüßigen Schwanenprinz schon sehe, kriege ich einen optischen Tinnitus. Das fühlt sich an wie eine Pfeife im Auge. Er ist ein Schwippschwager von Ante Šapina und Sandkastenfreund von Robert Hoyzer. Auf dem Schulhof blieb er bei der Mannschaftswahl immer als einziger übrig und musste deshalb den siffigen Tennisball nach jedem Tor aus den Dornenbüschen pflücken. Ausgerechnet diesen Hobbyarchäologen haben die grauen Herren vom DFB zum Schiri gemacht. Die wären besser auch im Sandkasten geblieben. Da hätte es wenigstens was aufs Maul gegeben.
Als der Schieber wieder einmal einen Vorteil für uns in aussichtsreicher Entfernung zum Tor abpfeift, brülle ich ihm meine ganze Wut entgegen, bis ich mein Stottertrauma überwunden habe: A- A- A- Arschloch! Die Fans in schwarz- weiß- blau nicken mir anerkennend zu und schmeißen Feuerzeuge und Pfandbecher aufs Spielfeld. Ich hebe den Daumen. Mann kennt sich. Viele stehen hier seit ihren Tanzschultagen zusammen. Die meisten waren mit der schnellen Schantall hinterm Vorhang mal auf Tuchfühlung. Ich hatte Pickel und keine Puch Maxi S, sondern ein Klapprad. Arschloch hat sie zu mir gesagt, als ich es trotzdem probiert habe. Ich habe mich dann mit Pommes-Walli getröstet, die hatte ein lahmes Bein, eine Zahnspange und eine Hercules Prima mit Prilblumen. Zu ihrem 15. Geburtstag habe ich ihr ein Yes- Törtchen mit einer roten Kerze geschenkt. Sie war so gerührt, dass sie mich rangelassen hat. Ich bin einmal um den ganzen Block gefahren. Ohne Helm. Die Jungs vor der Atari- Konsole waren neidisch und die Vorstadt- Hühner schauten mir mit offenen Mündern hinterher. Sogar Schantall. Hinterm Holunder habe ich sie dann doch rumgekriegt.

Als das 1:0 für die anderen fällt, sind grade mal fünf Minuten gespielt. Ich gehe mir ein Bier holen. Kurz vor der Halbzeitpause steht es drei Bier. Im Radio stirbt Uli Zwetz, als Hoyzer unseren Kapitän wegen eines harmlosen Tacklings in der Nachspielzeit vom Platz stellt. Mit dem Pausenpfiff bauen Hartz IV- Flüchtlinge im einsetzenden ostwestfälischen Nieselregen Gartenpavillions auf und rollen Monitore auf den Rasen. Hackfressen in dunkelblauen Moderations- Sakkos analysieren das Spiel, zeigen alle Abseits- Tore noch einmal und prophezeien den Abstieg. Der gegnerische Block skandiert passend dazu: Nie wieder zweite Liga! Meine Mannschaft kommt wie verwandelt aus der Kabine, mit noch weniger Moral und verliert den Ball schon beim Anstoß. Die Arena raunt und ächzt wie die Titanic am Unglückstag. Die ging nur schneller unter, das hier dauert schon mein Leben lang.

Als der Ball sich nach einem schnellen Konter aus Abseits verdächtiger Position doch noch in die gegnerischen Maschen senkt, hole mir ein Bier und rufe A- A- A- Arminia!

Rattenschwanz

Neulich habe ich mir einen neuen Schuhschrank gekauft. So einen schicken aus lackiertem Metall. Das ist sehr praktisch, weil ich Zettelchen von der Schulpflegschaft, dem Finanzamt oder der Altkleidersammlung vom DRK mit Magneten dranpinnen kann. An einer Klappe ist ein kleiner Griff, mit dem öffnen sich alle vier Türen dann gleichzeitig. Das ist auch sehr praktisch, weil ich so meine ganzen Schuhe sofort im Blick habe, für jede Jahreszeit ein Paar. Die Übergangsschuhe stehen darunter. Das hat System, es ist ja öfter Übergangswetter als Frühlingsanfang. Auf der obersten Klappe habe ich mit schwarzen Klebebuchstaben DRINGEND säuberlich aufgeklebt, darunter BALD, auf der dritten klebt SPÄTER und ganz unten NIE. Für die GEZ- Anmeldung oder das Jahreslos der ARD- Fernsehlotterie mit dem bettelnden Konterfei des ältesten Apotheken Umschau- Lesers aus Österreich, Frank Elstner.
Da mir der Schrank beim Öffnen aber immer entgegen kippen will, gehe ich eben in den Keller, um die Bohrmaschine zu holen. Über das Zettel Sortieren ist es schon dunkel geworden, ich will das Licht einschalten. Die Birne brutzelt ein paar Sekunden, ehe sie in der Fassung verstirbt. Scheiß Energiespardreck. Ich stolpere die letzte Stufe hinunter, reiße die Arme hoch und die Wäscheleine herunter. Das Spannbettlaken umhüllt mich, mein limbisches System schüttet vor Schmerz Endorphine aus, mir wird Tag hell vor Augen, als ich auf die Knie sinke. In dem Moment klingelt es an der Tür. Ich tapse mumifiziert nach oben und öffne. Es ist der Bofrostmann, er sieht wieder erholt aus. Ich kaufe ihm ein 2,5 Liter- Paket Fürst- Pückler- Eis ab und kühle meine Knickgelenke. Die Suppe tropft mir in die Gummistiefel, die nicht in den Schuhschrank passen und die ich deswegen im Haus anhabe. Mit dem Sand darin verdichtet sich die Dreifachcreme zu einer schnell abbindenden Masse. Freie Radikale lösen dabei eine exotherme Reaktion aus, die mich wie Pinocchio auf glühenden Kohlen steppen lässt. Ich halte mich am Schuhschrank fest. Das metallische Krachen lockt den Bofrostmann zurück, der grade meinem Nachbarn, dem pensionierten Oberstudienrat a. D. levitiertes Wasser verkauft. Er bringt mich in die Notfallambulanz. Noch in der gleichen Nacht werden mir die Stiefel amputiert, die Füße in archäologischer Puzzlearbeit entbunden und die Knie fixiert. Ich muss 14 Tage zu Hause liegen, der Bofrostmann kommt jetzt täglich.
Wenn ich wieder laufen kann, tausche ich den Schuhschrank gegen eine Magnetpinnwand um. Von dem Geld, das übrig bleibt ist, kaufe ich mir ein Jahreslos beim Grottenolm und eine neue Energiesparlampe. Und ich lade den Bofrostmann zum Eis ein. Fürst- Pückler.

Glühwein im April

Zugegeben: Jetzt ist nicht April. Aber Glühwein im Januar ist eben nichts besonderes.
Nun sitze ich also hier im T-Shirt in meinem Zimmer, das Fenster steht auf Kipp. Mir ist schweinekalt, dabei bin ich Kummer gewöhnt. Draußen fallen Flocken dick wie Tennisbälle und durchschlagen den Asphalt. Es klingelt. Ich stecke meine nackten Füße in die Flip-Flops und gehe zur Tür. Der Bofrostmann liegt schwer verletzt auf dem Treppenabsatz. „Sie sind spät“, sage ich. Er röchelt etwas mit leiser Stimme. Blut tropft auf meine Kokos-Fußmatte. „Haben Sie auch an den Grünkohl gedacht?“, frage ich. Er nickt schwer. „Frohe Ostern“, wünsche ich ihm und pflücke mir das Tiefkühlpaket aus seinen steifen Händen. „Ich überweis das dann“, sage ich und dreh mich um. Ich höre ihn, wie er sich zu seinem Auto schleppt, das in meiner Einfahrt vor Reede liegt. Kann nicht so schlimm gewesen sein. Pfeifend gehe ich in die Küche und setze Kartoffeln auf. Grünkohl im April ist wie Abgrillen im Dezember. Eine stille Vorfreude übernimmt das Kommando. Ich mache mir eine Tasse Glühwein dazu heiß, setzte mich ins Esszimmer in meinen Ohrensessel und zwinkere dem Schneemann verheißungsvoll zu. Keine zehn Minuten später pfeift mich der Dampfdrucktopf zum Appell. Ich nehme ihn von der Platte, hole die Pinkelwurst aus dem Kühlschrank und schiebe sie mit dem Grünkohl in die Microwelle. Das Pling überhöre ich, als ich mit dem Luftgewehr auf den Köter vom Nachbarn schieße, der grade wieder in meinen Vorgarten kackt. Ich treffe nur seine Wurst, er erschrickt jaulend und beißt den Briefträger, der in diesem Augenblick um die Ecke biegt. Der schmeißt ihn mit meinem Schneeschipper über den Kirschlorbeer. Es macht Platsch auf der Straße, Pling in der Küche und Dingdong an der Tür.
Es gibt Tage, da weiß ich nicht, was ich zuerst machen soll.