Mein Schweinehund namens Carpe Diem

Da soll mir noch einer erzählen, ich würde die Gelegenheiten nicht nutzen die sich mir im Leben so bieten. Das ist völliger Quatsch und sogar Bullshit, oder auf Deutsch: Ochsenpisse.

Wenn es zum Beispiel regnet, bleibe ich im Haus und überlege, was ich alles machen könnte, wenn jetzt die Sonne schiene. Das finde ich weitaus sinnvoller, als mich draußen zu grämen, dass ich klitschnass bis auf die Knochen bin und nicht weiß, wohin.
Und ist mein Kühlschrank leer wie ein Fußballstadion drei Stunden nach Abpfiff, drehe ich einfach das Birnchen heraus, so muss ich das Elend wenigstens nicht auch noch sehen. Dem Nachbarn hingegen, bei dem es so lecker aus dem Fenster riecht, bringe ich genau dann DIE Eier zurück, die mir vor mehreren Wochen geliehen hat.
Oder angenommen, ich habe tatsächlich einmal einen Strafzettel unter meinem Scheibenwischer, so bleibe ich gleich den Rest des Tages umsonst dort stehen, mache derweil in aller Seelenruhe meine Einkäufe in der Stadt, lasse mich frisieren und liften und zeige jeden dämlichen Falschparker beim Ordnungsamt an.
Und wenn wirklich wieder alle Unterhosen in der Wäsche sind und sämtliche Socken Löcher haben, dann denke ich daran, wie schön es wäre, jetzt nackt durch den Regen zu laufen.

So einfach ist das Leben, carpe diem!

Hitlers Schnurrbart

Dick und fett hockte er im Bomben sicheren Nordflügel. Die braune Uniform spannte über seinem Bauch. Er war rund geworden in den letzten Tagen des Krieges. Oft nahm er sich vor abzunehmen, aber selbst das würde wohl nicht zum Endsieg reichen. So blieb er eben, was er war und wie er war: Ein dicker, brauner Popel in Hitlers Nase. Manchmal kamen struppige, widerspenstige Stoppel, die sich aufopferungsvoll von der faschistisch gekämmten Oberlippenfrisur bis zum düsteren Schlund durchgeschlagen hatten, vorbei und brachten noch ein paar Eireste mit. Der Führer wühlte dann würmelnd mit Daumen und Zeigefinger in seinem Nasenkeller nach den Kollaborateuren, scheuchte die feigen Verräter auf, griff einmal fest zu und mit einem Blitzkrieg zog er gleich ein ganzes Büschel aus dem Versteck. Triumphierend drehte er sie im Licht.
Der Popel indes hatte sich rechtzeitig bis in die tiefen Nasenhöhlen zurückgezogen, von wo er dem kleinen Adolf noch so manches Mal Kopfschmerzen bereitete.

Kassensturz

Fortsetzung von Freu Dich nicht zu spät! (Kapitel 1), Abstelltraum (Kapitel 2), Strebergarten (Kapitel 3) und Wortgeflecht (Kapitel 4)

An einem dunklen und lausigen Abend sitze ich mit unserer Geldkassette in unserer kleinen Küchennische. Heute ist ein besonders schwarzer Freitag. Keine Menschenseele hat sich in unseren Laden verirrt, den wir vor etwa drei Wochen eröffnet haben. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn um. Im Dunklen kullern ein paar Silberlinge herum und eine Handvoll Kupfer hockt um einen kleinen geknickten Zettel. Sonst nix. Ich nehme ihn heraus und falte ihn auf. In seiner krakeligen Schrift hat Murat etwas notiert, das jede Grundschuh (!)- Referendarin zum freiwilligen Exil im analphabetischen Neustrelitz getrieben hätte. Ich rufe ihn kurzerhand an. Besetzt. Dann wähle ich die Nummer seines Bruders. Irgendwo in Istanbul geht einer dran. Ich höre gutturales Geschnatter und ein rasselndes Dönermesser. „Murat“, schreie ich gegen einen Flachbildschirm an, der im Hintergrund die türkischen Top40 plärrt, „bist du das?“ Es rappelt furchtbar und röchelt wie eine Klospülung in der Sommerdürre. Eine Männerstimme ruft seinen Namen rüber zum europäischen Teil der Stadt. „Efendim?“, kräht es durch die Leitung. Plötzlich ist der Draht still. Entnervt schleudere ich den Telefonknochen auf den Tisch, knülle den Zettel und versenke ihn über Bande in der Rundablage. Ich mache mir ein Efes- Bier auf, das einzige Gesöff, das ich in diesem Imbiss hier finde. Herb rinnt es meinen Bosporus hinunter und bringt im Marmarameer eine griechische Thunfischflotte auf, die verbittert Gegenwehr leistet. Kaum haben sich die Wellen ein wenig geglättet, stoße ich kräftig ins Nebelhorn. Der tranige Nachgeschmack lässt mich schwindeln. Rudernd suche ich Halt an der dämlichen Rattangarderobe, die uns Murats Eltern stolz zur Einweihung geschenkt haben. Wie ein angeschlagener Boxer umklammere ich das gebeizte Peddigrohrmöbel und taumele damit schwankend hin und her. Das Kilo schwere magische Auge an der goldenen Panzerkette, das darin baumelt und uns vor bösen Blicken und Wasserrohrbrüchen schützen soll, gerät in hektische Rotation und trifft mich hart an der Schläfe. Mein rechtes Auge schwillt ohne Nachzudenken spontan zu und ich pralle mit dem Schädel auf den Glastisch. Der Krümelsauger poltert herum und starrt giftig auf die Unordnung. Hyperventilierend schnappe ich nach Luft. Unbeeindruckt und erbarmungslos zählt mich die Schwarzwälder Kuckucksuhr über der Tür an, erst das Piepsen der Eieruhr bewahrt mich in letzter Sekunde vor dem endgültigen Knockout. Noch benommen stemme ich mich in der zweiten Runde empor und greife nach dem Henkel der Geldkassette. Blind vor Schmerz verpasse ich erst der Jackensäule einen schnellen Jab und schließlich dem Meisterwerk taiwanischer Uhrmacherei einen tödlichen Uppercut. Der Kleiderständer sackt in sich zusammen wie ein Osterfeuer und der heimische Vogel piepst ein letztes Mal, ehe er im dichten Qualm erstickt.
Ich gönne mir einen weiteren Schluck Efes, schüttele mich und drücke die Wahlwiederholungstaste. Aus der Küchenschublade klingelt irgendein Asi- Rapper mit abgebrochener Baumschule vom Typ Sido, Bushido oder wie die Hackfressen heißen. Ich habe Murat schon tausend Mal erklärt, dass er sich damit in den falschen Gegenden jede Menge Ärger einhandeln kann, wenn sein Handy klingelt und er es nicht dabei hat. Wie will er mich dann anrufen, damit ich ihn aus der Scheiße wieder raushole? Soweit denkt der Muselmann wieder einmal nicht und jetzt haben wir den Salat. Es sieht hier aus wie Hulle, er hat Kehrwoche, treibt sich rum und ich muss zusehen, wie ich den Laden über Wasser halte.

Wie geht es weiter? Das erfahrt ihr hier!

Habichdoch!

Fortsetzung von Hautnah (Kapitel 1), Space Invaders (Kapitel 2), Verkorkt (Kapitel 3), Strafzimmer (Kapitel 4), Schnurlos (Kapitel 5), Murmeltier und Sehnsucht (Kapitel 6), Holzklasse (Kapitel 7), Zurück in die Zukunft (Kapitel 8), Sucht und Ordnung (Kapitel 9), Hättichmal (Kapitel 10), Nie wieder zweite Liga! (Kapitel 11), Traumfahrer (Kapitel 12), Hitzeschwelle (Kapitel 13) und Erfischend (Kapitel 14)

Das Tageslicht hatte noch längst nicht seine volle Reife erreicht, als ich erwachte. Frühstück gab es erst in zwei Stunden. Also beschloss ich, ein wenig durch die kleinen Straßen zu schlendern. Seit zwei Wochen trat ich das erste Mal wieder vors Haus und sog die faule Morgenluft Meter tief ein. Ich bog nach links in Richtung Kanal und Hebebrücke, die Carlotta und mich zum Greifen nah zerrissen hat. Auf meinem Weg begegneten mir nur ein paar Hunde, die auf die Straße kackten. Unauffällig ihre standen ihre Herrchen an der nächsten Ecke, rauchten und schauten sich auf ihrem Iphone Internet- Pornos an. In der Nähe des alten Hafenbeckens, der Darsena, ging ich einem immer dichter werdenden Strom entgegen. Alte Frauen mit knöchernen Bastkörben und weißhaarige Stockgreise mit angehängten Plastiktüten schlurften schweren Schrittes umher. Hinter einem Torbogen tat sich auf einmal ein idyllisch gelegenes Plätzchen mit einem kleinen Markt vor mir auf. Emsig und lautstark bot ein bunter Haufen Heuchler und Händler seine Waren feil. Der Maronenröster predigte neben der würzigen Käsefrau, der Obst- und Gemüsepflücker wetterte zwischen Wurst, Eiern und Blumen. Der triste Bäcker tauschte grade am Klamottenstand Brötchen gegen ein Sixpack Socken und gegenüber lockte ein süßes Marmeladenmädchen. Das eingelegte Gemüse schwieg und lauschte staunend dem tätowierten Rattengesicht, das Mikrofasertücher und Fenstergummis anpries. Jeden Meter auf diesem Einkaufsmoloch mischte Merkur ein anderes traumatisches Wahrnehmungs- und Erlebnisdrama aus der Palette der Farben von Rembrandt bis van Gogh mit Geruchssequenzen von fäkal bis floristisch.
Vor einem Metzgerwagen blieb ich stehen. Abgerissene Extremitäten verendeter Huf- und Klauentiere, gefleckter Wiederkäuer und rosiger Allesfresser baumelten an Arm dicken Tauen links und rechts hinter einem grobschlächtigen und dumpf blickenden Borg. Seine Schürze war Blut verschmiert wie nach einer Kreuzigung. Hinter der beschlagenen Auslage tobte grade eine Schlacht zwischen einem Fliegengeschwader und einer einzelnen Mücke, die verzweifelt hinter einer Motorradhelm großen Schüssel mit Sexual- und Sinnesorganen unklarer Genese Deckung vor dem nächsten Angriff suchte. Auf stumpfen Blechschalen stapelten sich Felddecken große Fleischfahnen in unterschiedlichen Eiterfarben. Angewidert brummte ich „Igitt“ in mich hinein, „was ist das denn?“ „Das ist Trippa“, sagte Carlotta, die wie aus heiterem Himmel neben mir stand, ich blickte in ein Lächeln, zart wie eine junge Rose, „ein Vormagen der Kuh, eine Spezialität der Region“. Sie nahm meine Hand und ließ sie nicht wieder los, „komm, ich lad‘ Dich zum Essen ein!“ „Was gibt es denn?“, fragte ich. „Cozze alla tarantina!“

ENDE

Holzklasse

Fortsetzung von Hautnah (Kapitel 1), Space Invaders (Kapitel 2), Verkorkt (Kapitel 3), Strafzimmer (Kapitel 4), Schnurlos (Kapitel 5) und Murmeltier und Sehnsucht (Kapitel 6)

Mit Carlottas Anschrift in der Tasche stand ich in aller Herrgotts Frühe und Mutterseelen alleine auf dem einzigen Gleis unseres kleinen verschlafenen Provinzbahnhofes. Zweimal in der Woche hielt hier quietschend ein völlig überfüllter Schienenschlitten, es war die einzige Verbindung ins drei Stunden entfernte Mailand. Ich blinzelte gegen die aufgehende Sonne. Aus der Ferne konnte ich den Tross schon seit 10 Minuten schnaufen hören, jetzt endlich bog er mühsam gegen die Erdrotation um die letzte langgezogene Kurve. Als er zum Stehen kam, geriet die Welt für einen Moment in eine instabile Lage. Sensoren in Castrop-Rauxel verzeichneten ein Beben von 2,6 auf der nach oben offenen Richter- Skala, ein Kartenhaus stürzte zusammen und Oma Elli plürrte in der Zechensiedlung mit der Steckrübensuppe auf das gestärkte, leinene Tischtuch. Träge tropfte die Brühe auf den Boden, zischend und dampfend erschlug sie dabei eine Mücke, die sich über eine herunter gefallene Scheibe Blutwurst hermachte. Dat Elli wischte sich die Hände in der Kittelschürze ab und fluchte, die verklebten Gesichter an den Scheiben tauten auf. Ich balancierte mit meinen Rucksack über morsche Bretter und fand im verkokten Waggon direkt hinter der Tenderlokomotive einen Platz. Im Gepäcknetz flatterten schon ein paar Hühner, und so stopfte ich mein Hab und Gut unter die Holzbank. Langsam wie eine Wanderdüne ruckte unser schwarzer Koloss wieder an. Nach gut 20 Minuten hatte der letzte Pritschenanhänger die Bahnhofsgleise verlassen, die Pest hat sich im Mittelalter schneller verbreitet. Die Landschaft wechselte sich ab wie ostwestfälisches Wetter: Mal humpelten wir vorbei an sanft aufgewühlten Hügeln. Da Vinci wäre aus Wellen förmigen Malbewegungen gar nicht mehr herausgekommen und hätte dabei gleichzeitig die kleine Nachtmusik dirigieren können, wenn es sie schon gegeben hätte. Dann wieder balancierten wir schmale Kletterpfade empor, schroffe und zugleich abenteuerliche Felswände beugten sich zu uns herab. Einmal preschten wir über eine selbst tragende Holzbrückenkonstruktion. Mutig wie ein Bungeespringer und unbeirrbar wie Lothar Matthäus, der immer glaubte, irgendwann einmal ein deutsches Traineramt übernehmen zu können, schoben wir uns auf das fragile Mikadogerüst. Es ächzte wie ein alter Truhendeckel und bog sich in der Mitte durch, aber es hielt. Leonardo schaute stolz aus dem Fenster. Über mir gackerte es erleichtert und Federn stoben hektisch durch die Luft, als schüttele Frau Holle die Betten auf. Und schließlich durchquerten wir den letzten Finstertunnel vor der weiten Ebene Norditaliens. Die bleichen Köpfe meiner Mitreisenden begannen wieder zu schnattern. Ich hörte ihnen nur mit einem Ohr zu, mit dem anderen lauschte ich Carlottas Stimme in meinem Kopf. Ihr Lachen hatte schon beim ersten Mal ein zartes Crescendo in mir ausgelöst, begleitet von André Rieu auf seiner Quietschfiedel. Ich schloss die Augen. Mein Kopf wippte im Takt, als mich eine sonore Bassstimme ansprach und nach meinem Biglietto verlangte. Subito verstummte die Stadivari, es war Mucksmäuschen still im Konzertsaal. Übermüdete und verschwitzte Statisten drehten sich zu mir um, als er die Aufforderung wiederholte. Ich schreckte hoch, schaute in das Antlitz des Dunklen Lord und kramte hektisch in den Untiefen meines Rucksackes nach meiner Fahrkarte. Wie ein Murmeltier grub ich mich tiefer und tiefer hinein, vorbei an Tramezzini in aufgeweichten Brottüten, Ciabatta mit Marmelade, hart gekochten Eiern und einer undichten Thermoskanne. Endlich pflückte ich erleichtert eine aufgeweichte grüne Pappe hervor und reichte sie ihm Axel zuckend. Er nickte stumm und ratschte eine dicke Ecke davon ab. Ich wollte sie eben wieder in die Tasche packen, als ich feststellte, dass er Carlottas halbe Anschrift, die ich mir auf der Karte notiert hatte, abgerissen hatte! Außer Via Dora und einer fragmentarischen Telefonnummer war nichts mehr zu lesen! Entgeistert schaute ich ihm hinterher, meine Augen scannten hektisch den ganzen Subraum um mich herum ab. Ich spulte die Szene zurück, die Stimmen klangen dabei wie der Singsang verliebter Buckelwale. Dann hatte ich den Moment gefunden, stoppte und spielte ihn wieder ab: Ich gab ihm das Ticket in die Hand, er riss davon einen Batzen ab und … ließ das Stückchen einfach fallen. „Grazie“, hörte ich mich sagen. Wie Herbstlaub sah ich es noch zu Boden tänzeln. Ich starrte auf das löchrige Holzpaneel unter meinen Füßen. Pechschwarz eilten alte Bahnschwellen darunter zurück. Endlich entdeckte ich das goldene Los, den Bundesschatzbrief, das letzte fehlende Sammelbild, die Schatzkarte, den Lottoschein mit dem höchsten Jackpot seit Jack Sparrow. Ich bückte mich und behutsam streckte ich meine Hand hervor, als Oma Elli eine saubere Tischdecke auflegte und ein kräftiger Zug durch den Zug wehte. Mein Leben rutschte durch einen finsteren Spalt und flatterte davon wie eine aufgescheuchte Möwe.

Hier geht es dann weiter.

Der Zahn der Zeit

Manchmal weiß ich einfach nicht, was ich zu Hause den lieben langen Tag so gemacht habe. Morgens laufe ich nach dem Aufstehen am Wäscheberg auf dem Esszimmertisch vorbei und sage ihm am Abend wieder „Gute Nacht“, ohne dass er kleiner geworden wäre, ganz im Gegenteil! Auf dem Weg ins Bad wirbele ich Wochen alte Staubmäuse auf, quetsche wieder einmal den letzten Rest aus der Zahnpastatube und ärgere mich über die leere Shampooflasche in der Dusche. Ein Haarbüschel verstopft den Abfluss. In der Kaffeemaschine, die ich vergessen habe auszuschalten, pappt noch der Filter mit Prütt von gestern und ein verkochter Sirup. Das leer gegessene Ei wurzelt schon in der Untertasse. Der Spüllappen klebt und riecht wie eine alte Windel, das Geschirrbecken ist stumpf vor Kalk wie die Scheinwerfer eines Citroens. Der Adventskalender ist auf 23 stehen geblieben. Auf der Spülmaschine türmen sich Teller und Töpfe wie nach der Vereidigung von Bundeswehrkadetten. Ich schaffe es einfach nicht, dem Chaos Herr zu werden. Wenn ich den Müllwagen beim Nachbarn klabastern höre, springe ich auf, rolle meinen Trolli nach vorne und ärgere mich bis zum Abend über die voll gebliebenen Papierkörbe im Haus, die ich dann noch finde. Ich schaue durch blinde Fenster auf die Straße und stelle fest, dass der Rasen höher ist als meine Hecke. Aber der Schlüssel zum Schuppen hängt nicht an seinem angestammten Platz und im Grasfangkorb vom Rasenmäher züchten die Kinder Nacktschnecken. Abgesehen davon ist eh das Benzin im Kanister alle. Dafür finde ich mein seit Wochen verschollenes Handy wieder. Die letzte gewählte Rufnummer stammt vom chinesischen Konsulat in Tibet. Ich versuche noch zu erklären, dass ich mich verwählt habe. Vergebens. Als der Wind meine Haustür zuschmeißt, der Sturzregen über die Rinne vom Dach schwappt und die Packungen vom Bofrostmann auf dem Treppenabsatz durchweicht, da tanze ich einen wilden Tanz. Wie die blaue Elise, die wieder einmal versucht, die Ameise Charlie zu fangen und sich dabei selber in die Luft sprengt.

Taken by a stranger

Ja, das denke ich auch oft, dass sie mich irgendwo abgeholt und hier wieder ausgesetzt haben. Nun stehe ich hier, weiß nicht woher ich komme, wo ich bin und was auf mich zukommt. Wäre ich 13 Jahre alt, würde ich dieses Phänomen Pubertät nennen. Aber das scheidet in meinem Fall aus. Aber so? Und warum? Kann denn nicht einmal alles glatt laufen? Kann ich denn nicht morgens ausgeschlafen aufstehen, ohne dass der Nachbar mit der Wacker- Rüttelplatte seinen Rasen verdichtet? Ohne dass der Bofrostmann hupt, weil vor ihm der schwarze UPS- Laster die Straße blockiert und er von hinten vom Popofrische Eier – Auto zugeparkt wird? Und muss Oma Eusebia so früh ihre Rotbäckchen – Pfandflaschen in ihrem Hackenporsche spazieren fahren?
Warum können sie mich nicht einfach wieder abholen und zurück bringen?!

Potpourri

Das wollte ich schon länger mal machen: Eine Geschichte schreiben, in der alle meine Schlagwörter („Tag-Links“, siehe am rechten Rand) mindestens einmal vorkommen. Ich probiere es mal alphabetisch!

Es ist Heiligabend. Soeben öffne ich das letzte Törchen vom Adventskalender. Was ist das denn? Ich traue meinen Augen nicht: Ein kleines Schokoladenauto. Und wer steigt grade aus? Der Bofrostmann! Wo will der denn so spät hin? Will der etwa noch Tiefkühl- Brötchen ausliefern? Wo denn? Hier in dieser unwirtlichen Gegend, mitten am Deich? Hier gehen die Eier zu Ende, die Frauen spielen Fußball und Haare wachsen am Horizont! Was in aller Welt hat der hier verloren? Leise schleiche ich ihm nach. Das gespenstische Licht des Mondes verzerrt die Schatten der Hühner im Garten von Kapitän Ahab zu einer Karawane Fleisch fressender Saurier. Plötzlich bleibt der Bofrostmann stehen und blickt sich misstrauisch um. Ich zucke zusammen. Hat er mich gesehen? Dämonisch sieht er aus, als würde er Kinder fressen. Ich fürchte um mein Leben, als er einige Schritte auf mein Versteck zugeht. Sein eisiger Atem stirbt in der klirrenden Kälte, kaum dass er sein Maul verlässt. „Ich bin ein Mann“ , denke ich, „zum Sterben ist jetzt keine Zeit!“ und laufe weg. Meine Schritte hallen in der Dunkelheit wie die Schläge des Belzebubs zum Altweiberfasching auf dem glühenden Amboss. Atemlos renne ich zum Meer. „Heiliges Murmeltier, steh mir bei“, schreie ich. Der graue Riese schmeißt unbarmherzig seine kalten Arme nach mir und spült Muscheln um meine Füße. Unsichtbare Möwen schreien durch die Nacht. Meine Nase saugt den salzigen Odem des Todes ein, in den Ohren knistert es nach zertretenem Playmobil. Das Radio in meinem Kopf spielt Julis „Woanders zu Hause“. Dann ist plötzlich Ruhe. Kognitiver Stromausfall. Unendliche Stille. Das Meer schweigt, als habe Neptun Mittagsschlaf verordnet und drohe jedem, der dieses Gesetz missachtet, mit einer Einzelstunde Eurythmie. Mit meinen Zehen presse ich den Sand in meinen Schuhen immer wieder zusammen, bis sich ein kleiner Damm darin bildet. Die Welt um mich herum ist stumm, wie in der Schule beim Englisch- Unterricht, mucksmäuschen still. Selbst die Segel eines trüben, vorüberziehenden Seelenverkäufers halten sich an das unausgesprochene Redeverbot. Ich fröstle.
Mit lautem Getöse poltert die Brandung Ruptus artig wieder los, glitschig wie Seife prescht sie mir ihre klamme Gischt ins Antlitz. Ich muss spucken und kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, brennt die Sonne, obwohl es eben noch stockfinster war. Bis zu den Knien eingegraben stehe ich am Strand, es ist heller Tag. Hinter mir entdecke ich eine schimmernde Tür. Das Wasser frisst gierig ihren Rahmen und drückt an die Buhnen.

Das Leben ist wie die Flut an Weihnachten“ , denke ich, „was die Welle nicht reißt, das reißt der Wichtel!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal um und blicke ein letztes Mal zum Ende der Welt. Der Wind bläst mir ins Gesicht, das hält die Windschutzscheibe nicht.

Ist das Kunst …?

… oder kann das weg?

  • Die Socken mit den Löchern
  • Die geköpfte Eierschale
  • Die restlichen italienischen Lire
  • Die ausgebaute Kugelschreiberfeder
  • Der Stadtplan von Ostberlin
  • Die Einladung zur Millenniums- Sylvesterparty
  • Die 5,25- Zoll- Diskette
  • Die Siegerurkunde von den Bundesjugendspielen
  • Die eigene Schultüte
  • Die Tageszeitung vom 18. Geburtstag
  • Die Hotelseife aus den Flitterwochen
  • Der Sand in den Schuhen aus Hawaii
  • Die Sonnenfinsternis- Schutzbrille
  • Der leer gegessene Adventskalender
  • Die aufgehobenen Milchzähne
  • Der Aufkleber „Abi 1986“ am Auto
  • Die abgelaufene Arminia Bielefeld- Dauerkarte (1. Liga!)
  • Der Fuchsschwanz
  • Die Kinderbrille
  • Die C9o- Cassette mit Mal Sondock’s Hitparade
  • Der Esbit- Trockenbrennstoff für die Dampfmaschine
  • Das ausgeglühte Knicklicht
  • Der ausgedrückte Zigarettenfilter nach dem ersten Mal
  • Der 2 cm lange Bleistiftstummel
  • Die Wechselkurstabelle DM – EUR
  • Die Reinhard Fendrich- Single „Es lebe der Sport“
  • Die selbstgezogene Kerze aus dem Workshop „Mit Kindern wachsen!“

Einfach zu haben

Haha, falsch gedacht! So einfach ist das nicht. Es ist manchmal viel komplizierter, als es aussieht. Zum Beispiel steckt im Mond eine kleine Lampe, die nur nachts angeht, manchmal aber auch durchbrennt. Bei der Sonne ist es fast genau anders herum, aber nur fast. Es ist schwer, das zu verstehen. Es ist leichter, das zu akzeptieren. Ich vermute mal, der Glühfaden in der Sonne ist einfach viel dicker und weniger Belastungsspitzen ausgesetzt, wie sie durchs An- und Ausschalten entstehen. Sie leuchtet ja bekanntermaßen immer, wenn nicht hier, dann genau auf der anderen Seite der Welt. Wenn man genau durch die Mitte der Erde ein langes Loch bohren könnte, könnte man sie jetzt scheinen sehen, obwohl es grade Nacht bist. Ist das nicht fantastisch? Noch einfacher wäre es, wenn die Erde transparent wäre. Die Solaranlagen auf den Dächern in meiner Reihenhaussiedlung könnten Tag und Nacht Strom und heißes Wasser produzieren und sogar noch etwas davon in die öffentlichen Versorgungsnetze speisen. Von der Vergütung dafür könnte ich mir dann Verdunkelungsrollos kaufen und mein Haus klimatisieren lassen. Ich ginge morgens im Hellen zur Arbeit und käme am Abend im Hellen zurück. Die Murmeltiere müssten Sonnenbrillen tragen, das käme der lähmenden Konjunktur zu Gute und die Grünen würden stärkste Partei in Bayern. Ich würde am Strand auch unter den Füßen braun und es gäbe bald Schuhe mit UV- Schutz. Wenn die Sonne hinter dem Horizont abtaucht, fächert sie ihr Licht wie durch ein Prisma gebrochen auf und so lange, bis sie auf der anderen Seite wieder aufgeht, überspannt ein Regenbogen den Okzident bis zum Orient. Weihnachten könnten wir die Geschenke draußen im Garten bei angenehmen 20 Grad verstecken. Das, was wir nicht wieder finden, kann bis Ostern liegen bleiben. Wir würden wieder Palmen statt Koniferen mit Christbaumkugeln und Lichterketten schmücken, ein bethlehemsches Gefühl. Darunter streuten wir künstlichen Schnee. Hühner legten nur noch braune Eier, die haben weniger Cholesterin. Zugvögel könnten sich die lange und beschwerliche Reise sparen und teilten sich fortan mit den Möwen die Sandbänke. Hase und Igel könnten schon vor dem Frühstück um die Wette laufen und der Fuchs bräuchte nicht mehr „Gute Nacht“ zu sagen. Väter oder Mütter bräuchten ihren Kindern keine Geschichte mehr zum Abend vorlesen. Der Sandmann könnte sich getrost noch einmal umdrehen. Frauen wären doppelt so oft fruchtbar und Männer hätten doppelt so oft Sex. Sie dürften schon vor 20 Uhr auf dem Sofa sitzen und „Hallo Robby“ gucken. Ein Ende der vielen Vorteile ist gar nicht abzusehen. Das ist doch ganz einfach zu haben!

Amtsärztin

Manchmal reite ich den Wahnsinn. Dann und wann falle ich auch herunter. Wenn ich mir dann dabei einen Zacken aus der Krone breche, könnt‘ ich wahnsinnig werden.

Es wird mal wieder Zeit.
Wie bei dieser dicken, osteuropäischen Amtsärztin bei der Schuluntersuchung.

Ich stelle mir das Szenario so vor: Tschernobyl 1986. Es knallt und pufft. Im Kühlschrank ist es hell, selbst wenn es dunkel ist. Hühner legen harte Eier. Tomaten wachsen auf die doppelte Größe von Kürbissen heran. Das Publikum der Live- Ausstrahlung von Wetten, dass … in Warschau wird evakuiert. In der DDR-Botschaftsschule in Moskau durchdringt die Strahlung alle Unterrichtsräume und sämtliche Lehrmaterialien werden dabei vernichtet. Ein kleines Mädchen, schon damals mit 12 Jahren nur 1,20 m groß und plump wie die Transsib, versteckt sich unter einem löchrigen MICHAIL- Schreibtisch, um etwa 25 Jahre später im Gesundheitsamt einer kleinen westfälischen Stadt ausgerechnet am Tag vor dem Fußball- Derby gegen ein katholisches Domdorf eine Schuleingangsuntersuchung vorzunehmen.

Der Untersuchungsraum gleicht bis aufs Haar jener Abhörzentrale in der Nähe der Metro- Station Jugo-Sapadnaja: Dem Bild des Möwenschisses auf dem Cortex Cerebri von Gorbatschow hinter opakem Glas, der Karte der DDR- Reichsgrenzen mit dem Anschluss nach Polen, dem Ankündigungsplakat des Moskauer Staatszirkusses mit Oleg Popov und dem Stadtplan mit dem Kreml und dem Roten Platz. Lediglich in einer kleinen Nische hinter einer Zobel- Pelzjacke aus Familienbesitz hängt das eigene Medizin- Diplom in beglaubigter Übersetzung und zeugt von dem Übergang zur Aufklärung.

Mit haarigen Unterarmen überreicht sie dem Kind eine eingerissene Blaupause mit dem Geruch von angereichertem Uran und fragt ihn: „Was verrab-rreicht die Frrrau demm Jun-gän?“ (Anmerkung d. A.: Sie füttert ihn mit Möhren!).

PS: Stumm wie ein treuer Staatsbürger blieb der Proband und wurde trotzdem eingeschult. Na sdorowje!

Pubertät = format c:\

Mittendrin statt nur dabei. Meine Tochter ist in der Pubertät.
Vom Eierlikör (nur für mein Walnusseis, ehrlich!) fehlt plötzlich ein Daumen breit aus der Flasche. Ich entdecke chemische Gärungsversuche mit Apfelsaft unter ihrem Bett und eine merkwürdige Unterschrift unter der Sportentschuldigung. Der Einzelverbindungsnachweis zur Telefonrechnung weist immer dann Spitzen und Häufungen auf, wenn ich nicht zu Hause bin oder schon schlafe. Die versteckten Schokoriegel in meinem Kleiderschrank werden trotzdem unaufhörsam weniger, ganze Chipstüten verschwinden über Nacht. Das monatliche Taschengeld ist bereits zum ersten Wochenende aufgebraucht. Dadurch entsteht auch in meinem Portemonnaie eine merkwürdige Inflation meiner Devisen oder aber es häuft sich mit Namensschuldverschreibungen. Die Luft im („Kinder-„) Zimmer wird dichter, der Schmutzwäscheberg in eben diesem höher wie auch die Ansprüche, auch nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen bleiben zu dürfen. Die Bereitschaft, im Haushalt mit zu helfen, oder etwas für die Schule zu tun, nimmt mit dem Körpergewicht ab. Auf meinem Parkplatz vorm Haus stehen auf einmal frisierte Mofas und im Flur fremde Schuhe, die beim Wettbewerb „Das älteste Schlauchboot“ in den Kategorien „Farbe“, „Aussehen“ und „Geruch“ mit Abstand den ersten Platz belegen würden. Der Wasserverbrauch sinkt, während der Deo- und Haarsprayverbrauch steigt. Die Lillifee- Bettwäsche ist urplötzlich albern und der Schulranzen mit den schönen Schmetterlingen bringt bei ebay mit Federmappe, Schlamper und Turnbeutel im gleichen Design auch nur noch 4,38 € plus Versand und eine neutrale Bewertung. Der war mal teuer! Das Radioprogramm ist ständig verstellt, meine Oberhemden verschwinden auf die gleiche mysteriöse Weise wie CDs, USB- Sticks und Speicherkarten.
Und das alles ohne ihr Wissen?!

Das kann nur eins bedeuten: Pubertät = format c:\

Vielen Dank meiner lieben Freundin für diese geniale Überschrift!

Der Wolf und der Fuchs

(überarbeitete Fassung)

Isegrim schleicht durch den Wald. Er ist wieder einmal hungrig.
Seine letzte Mahlzeit ist schon eine ganze Weile her: Er hatte sich eine dumme Gans gerissen, die ihm gedankenlos und schnatternd zu nahe kam. Zack! Und happ!
Jetzt aber knurrt sein Magen so laut, dass er zusammenfährt und sich ängstlich umblickt. War da jemand? Misstrauisch stakt er durchs Unterholz und lugt hinter jeden Baum.

Im Laufe der Jahre ist er ein bisschen grau geworden und das Aufstehen fällt ihm schwer. Abends kriecht er zurück in seine Höhle und schläft oft noch vor dem Ruf der Eule ein.
Vergangene Nacht wälzte er sich wieder einmal unruhig hin und her. Mürrisch und zerknirscht ist er dann aufgestanden. Er ist nicht wählerisch: Was seinen Hunger stillt, das frisst er auch. Dennoch interessieren ihn heute die reifen Beeren an den Sträuchern links und rechts nicht. Ihm steht nach Jagen der Sinn, nicht nach Pflücken. So streunt der griesgrämige Isegrim weiter. Längst hat er sein vertrautes Revier verlassen. Unsicher schaut er sich um und fragt sich, ob er nicht doch zurückgehen soll.
Mit einem Mal erregt etwas seine Aufmerksamkeit. Er spitzt die Ohren und reckt seine Nase in die Luft. Ganz in der Nähe muss ein Feuer brennen. Geduckt schleicht er voran und endlich kann er von einer Anhöhe aus in einer langgezogenen Senke einen Bauernhof entdecken. Sein Magen beginnt, von Neuem zu knurren. Diesmal erschrickt er nicht. Er hat seinen Blick starr auf den kleinen Stall gerichtet. Dort vermutet er eine leckere Mahlzeit, ihm läuft das Wasser im Maul zusammen.
Vorsichtig klettert er aus seinem Versteck und sucht immer wieder Deckung hinter Büschen und Bäumen. Er hat sich bis auf etwa fünfzig Meter herangepirscht, als er auf der anderen Seite den Schweif von Reineke Fuchs erspäht. Er ist ebenso auf der Jagd wie er selbst.
Isegrim hält inne. Er weiß nicht, was er tun soll.
Soll er sich mit Reineke verbünden?
Würde das, was er im Stall erahnt, auch für ein Festmahl zu zweit reichen?
Soll er zurückgehen oder soll er sich auf einen Kampf mit dem jüngeren Widersacher einlassen?
Er kann keinen klaren Gedanken fassen, als er sieht, dass Reineke sich bereits an der Tür zu schaffen macht.
Will der ihm etwa zuvorkommen?
Und soll er wieder hungrig von dannen ziehen?
Nein! Isegrim ignoriert die Gefahr, vom Fenster des Bauernhauses aus gesehen zu werden und springt so laut knurrend und mit großen Sätzen auf Reineke zu, als wolle er den ganzen Schuppen mit Huhn und Hahn mit einem Happs verschlingen.
Reineke Fuchs gerät derart in Panik, dass er jaulend und ohne sich umzudrehen in den nahen Wald flüchtet.
Endlich ist der Weg frei! Heißhungrig öffnet Isegrim das knarrende Tor und schiebt sich hinein. Er merkt nicht, wie der Riegel hinter ihm ins Schloss kracht. Neugierig blickt er sich um.
An der Wand stehen ein paar Garten- und Hofgeräte und eine Schubkarre mit plattem Rad lehnt an einem Balken. In den Fässern sind kein Krümel und kein Korn mehr und von dem zarten Federvieh Henning und Kratzefuß weit und breit keine Spur. Nur im Sonnenlicht, das auf das Stroh fällt, liegen drei weiße Eier.
Isegrim lässt enttäuscht die Rute hängen, denkt an die reifen Beeren im Wald und wie lecker eine dumme Gans jetzt wär‘.
Plötzlich hört er Geräusche und erschrickt.
Es rumpelt an der Tür und jemand spricht: »Endlich habe ich dich!«
Er sitzt in der Falle. Was soll er tun? Bei nächster Gelegenheit würde der Bauer die Tür öffnen und ihn mit seiner Flinte erschießen! Gehetzt schaut er sich um, ob er sich irgendwo verstecken oder ihm ein kühner Sprung durch das Fenster das Leben retten kann, doch das ist vergittert.
Da ruft die Stimme: »Gib mir, was mein ist!«, und Isegrim erkennt, dass es nicht der Bauer ist, der da vor der Tür steht, sondern Reineke Fuchs, der zurückgekommen ist.
»Was meinst du?«, bemüht sich Isegrim mit tiefem Bass zu sagen.
Er muss Zeit gewinnen, er hat immer noch keine Ahnung, wie er aus diesem Stall und aus diesem Schlamassel wieder herauskommen soll.
»Du hältst dich wohl für besonders schlau? Was glaubst du, warum ich hier bin?«
»Vielleicht der fetten Hühner wegen?«, blufft Isegrim.
»Ja, genau! Wie viele sind es denn?«, fragt Reineke.
»Genug für uns beide!«
»Nun sag schon!«, bellt Reineke zurück.
»Komm rein und zähl sie!«, flötet Isegrim, der inzwischen die Schubkarre so vors Tor geschoben hat, dass sie den Fuchs mit ihrem Blechbauch verschlingen würde, sobald er den Stall betritt.
»Damit du mich einsperren kannst, so wie du jetzt selbst eingesperrt bist?«, argwöhnt Reineke, »niemals, mein Lieber! Gleichwohl können wir einen Pakt schließen: Du überlässt mir die Hühner und ich lasse dich frei!«
»Dich soll doch der Jäger holen«, wettert der Wolf.
»Wie du willst. Dann bleibst du eben da, wo du bist!«, antwortet Reineke.
Entsetzt erkennt Isegrim, wie der Fuchs sich anschickt zu gehen.
»Nein, halt!«, ruft er ihm geschwind hinterher, »so gönn mir wenigstens die Eier! Ich bin genauso hungrig wie du!«
Reineke scheint zufrieden: »Also gut. Aber danach verschwindest du!«
Das lässt sich Isegrim nicht zweimal sagen und schlürft hastig die Eier aus.

Als der Fuchs die Tür öffnet, springt Isegrim mit großen Sätzen hinaus und verschwindet in Richtung Wald. Er hat die Lichtung noch nicht erreicht, da hört er Reineke schon toben. Isegrim schaut sich um und sieht, wie der betrogene Fuchs wütend die Schubkarre umstößt, die Fässer zertrümmert und das Stroh in die Luft wirft.
Lange bevor Reineke den Schuss hört, erblickt er den Bauern mit der Flinte. »Jetzt habe ich dich endlich!«
Der Fuchs lässt versteinert den Schweif hängen, denkt an die frischen Eier im Nest und wie lecker ein zartes Huhn jetzt wär‘.
Dann ist es still.

(Orginalfassung als Audiodatei)

Zeiträuber

Davon geistern im Moment viele durchs Haus:

Kleine Notizzettel, blinkende Anrufbeantworter, SMS-Signaltöne, Stofftiere und lange Unterhosen mit Löchern, ferngesteuerte Autos und Taschenlampen mit leeren Akkus, volle Wäschekörbe, leere Kühlschränke, harte Brötchen, keine Eier, Zahlungsaufforderungen, Weihnachtsdeko, Adventskalender, Pfandflaschen, Altpapier, Schneeschipper, zugefrorene Scheiben, Matsch im Flur, nasse Schuhe, gerissene Schnürsenkel, verklemmte Jalousien, durchgebrannte Glühlampen, Steinschlag in der Windschutzscheibe, Winterreifen im Schuppen, Abfallkalender, Koffer, unaufgeräumte Kinderzimmer, nicht gemachte Betten, Nachts plötzlich piepende Wecker, Elternstunden in der Kita, Fortbildungen am Freitag, Hunger in der Mittagspause, Klebefilm- und Scherenverstecker, Brillen- und Hausschlüsselverschlürer!!

Wenn das morgen alles weg ist, ja Scheiß in Dreck, was mach ich dann?!

Schweinegrippe

Überall ist sie in aller Munde (schmeckt das dann nach Schnitzel?). Man hört davon in den Nachrichten, man liest darüber in den Zeitungen. Wie damals beim Rinderwahnsinn.
Aber ich kriege es einfach nicht. Ich kann mir Mett, halb Rind, halb Schwein, Zentimeter dick aufs Brötchen schmieren, ich kriegs einfach nicht. Ich bekomme weder lila Flecken, noch ringelt sich mein Schwänzchen. Auch die Hühnerpest ist Zugvogel artig an mir vorbeigeflogen, ohne dass ich Eier gelegt hätte. Was mache ich bloß falsch? Ich habe mich mit aktiven Erregern impfen lassen. Nix! Noch nicht einmal eine Rötung an der Einstichstelle! Ich war im Urlaub an der Schweinebucht, lass mich auf jeden Kuhhandel ein, telefoniere täglich mit der Hotline im Bundesgesundheitsministerium, habe ein 6- monatiges Praktikum bei Bauer Ewald auf Prickings-Hof absolviert. Es passiert einfach nix.
Ich werd noch wahnsinnig.