Am Ende der Wurst

Manchmal sitze ich da und frage mich, was wohl am Ende passiert. Geht dann einfach das Licht aus? Zappenduster sozusagen? Oder kommt da noch was?
Natürlich weiß ich, dass es müßig ist, diese Frage zu stellen, denn die Antwort darauf weiß keiner. Jedenfalls keiner, der Verstand hat. Ich will auch gar nicht wissen, was oder wer konkret auf mich wartet. Es könnte ja meine erste Englischlehrerin sein, Frau Kornfeld, die mich Vokabeln abfragt, hämisch dabei grinst wie ein altes Pferd und sich dann Notizen in ihr rotes Heftchen macht. Oder es könnte der Rotzer aus Haus Nummer 6 sein, der am Torbogen zum Himmelsreich, denn da werde ich wohl hinkommen, steht und lauert und jedem Neuankömmling auf den Kopf spuckt. Zwar hätten genau das manche oder besser gesagt: viele, die ich kenne, weiß Gott verdient, aber selbst der konnte mir nicht wirklich eine plausible Antwort geben. Und dabei hätte ich genau das, und eigentlich nur das, von ihm erwartet. Es ist ja schließlich eine ganz einfache Frage: Gibt es da noch was?
Ich hätte halt nur gerne Gewissheit, ob es lohnt, wach zu bleiben oder am Ende doch nur eine Wiederholung von Dinner for one läuft, ehe der ganze Schlamassel von vorne beginnt und ich Vokabeln lernen muss.

Auge um Auge

Es ist mein letzter Wurf.
Danach ist das Spiel aus. Aus und vorbei. Es gibt keine Verlängerung, kein Rückspiel. Es gibt nur diesen einen Wurf.
Ich stehe an der Abwurflinie, gehe in die Knie, wiege die schwere Kugel in der Hand, streiche den Sand herunter, versuche die Entfernung abzuschätzen, den Winkel zu treffen und das Spiel mit diesem letzten Wurf herumzureißen. Alles oder nichts. Ich hole vorsichtig Schwung, pendele den Arm vor und zurück, halte inne, stocke, zögere, schaue noch einmal.
Der kleine Holzball liegt etwa fünf Meter von mir entfernt, verdeckt durch zwei andere Spielkugeln.

Es ist mein letzter Wurf.

Er entscheidet, ob ich dem Teufel meine Seele geben muss. Ich weiß, dass mich jetzt nur ein göttlicher Treffer retten kann, um seine beiden Kugeln wegzustoßen und meine eigene am nächsten an die Holzkugel zu platzieren. Doch mit Gott war ich noch nie per du.
Trotzdem murmele ich ein Gebet vor mich hin: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“, und schaue dem Teufel dabei tief in seine rotorange glühenden Augen. Doch anstatt meine Kugel wohlüberlegt in Richtung der anderen zu werfen, hole ich weit von unten nach oben aus. In dem Moment, als meine Hand schnurstracks zum Himmel zeigt, sage ich: „Amen.“
„Ich sehe nichts!“, zischt der Teufel wütend und blinzelt gegen das gleißende Licht der Sonne.
Schnell trete ich einige Schritte nach vorne, „von hier kannst du besser gucken!“, behaupte ich und winke ihn zu mir.
Widerwillig folgt er meiner Aufforderung, ohne seinen Blick vom Himmel abzuwenden. Unbemerkt lasse ich die Kugel aus meiner anderen Hand plumpsen. Sie schubst seine beiden mit einem leisen Klonk zur Seite.
„Oah, jetzt hast du sie verpasst“, stöhne ich, buffe ihn in die Rippen und zeige zu Boden. „Das, das …“, stottert er irritiert und glotzt mich an, als wäre er eben dem Schöpfer begegnet.

„Hüte dich“, blaffe ich ihn harsch an und hebe meinen Zeigefinger, „du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“

„Revanche?“, fragt er kleinlaut und ich nicke.