Hokus Pokus

Manchmal macht das Leben viel Wirbel um nichts.

Ein alter Mann pfurzt beim Gehen, Kasse 2 wird geöffnet oder ein Sack Reis fällt um. Wen interessiert es? Das alles ist es nicht wert, darüber zu reden.

Die wichtigen Dinge geschehen in meinem Kopf. Das ist die wirkliche Schaltzentrale der Macht. Alles, was Rang und Namen hat, wird von dort gesteuert. Die Merkel bekommt ebenso ihre Befehle wie der Löw. Und wenn die beiden nicht spuren, kann ich sie auch liquidieren lassen. Ein paar Mal war es schon fast so weit, aber sie haben irgendwie doch noch ihre Köpfe aus der Schlinge ziehen können. Keiner weiß, wie.

Ehrlich gesagt, ich warte nur noch auf ihren nächsten Fehler, dann sind sie dran. Da kenne ich kein Pardon mehr. Sie haben schon viel zu viel vesiebt, der eine wie die andere und umgekehrt. Ich will und kann da auch keinen Unterschied mehr zwischen ihnen machen. Seit ihrer Affaire werden sie ja auch optisch immer ähnlicher. Ich glaube, sie könnten sich gegenseitig in ihrem Job vertreten und keinem würde das auffallen, noch nicht einmal ihnen selbst.

Und wenn ich mir das so genau überlege, reicht es mir auch jetzt schon. Am besten wird es sein, ich lasse sie gleich zur Fahndung ausschreiben. Dann ist endlich Ruh.

Peng Peng.

Planetenkonstellation

„Venus scheint auf ihrer Umlaufbahn gehörig ins Straucheln geraten zu sein“, denke ich, als ich den Rechner hochfahre und mir sogleich Nachrichten von einer Lucky_69, einer Just-4-you und einer sexy-Dianchen entgegenpoppen. Seitdem ich mich auf dieser Single-Website angemeldet habe, geht es in meinem eMail-Postfach zu wie im Hafenbordell von Kalkutta.

„Apropos poppen“, schießt es mir in den Sinn und ich überlege, wann ich eigentlich meinen Fiffi das letzte Mal um den Block geführt habe und wie es war. Altbacken trifft es wohl am ehesten, stiefmütterlich möchte ich in diesem Zusammenhang lieber nicht in den Mund nehmen. Sie hatte rundherum Haare wie in den 70ern und nur ein starres Repertoire, das übers Bett und die Missionarsstellung keinen einzigen Millimeter herausragte. Analogpoppen ohne Abenteuer. Mit einem Wort: Es war langweilig und vorhersehbar wie die Lindenstraße. Seit Jahrzehnten nach dem gleichen Rezept, aber für meinen Geschmack einfach deutlich zu schal. Ohne Würze und ohne Pfeffer, rein, raus und peng! Nichts also, was einen erfahrenen Mann vom Klo holen könnte.

Allein ist immer noch am schönsten.

Sturm in der Brandung

Der Jever- Mann
Ich gehe noch einmal in den Garten hinaus, hinten zum Stall und schaue hinein. Aber Klopf ist nirgends zu sehen. Vorsichtig hebe ich das Holzhäuschen hoch und schiebe das Stroh ein wenig zur Seite. Glück gehabt, er ist auch diesmal in seinem Lieblingsversteck. Schnell stopfe ich ihn in meinen Rucksack, er tut so, als merke er es gar nicht. Dann renne ich zum Auto. Papa hupt schon und fächert mit den Armen. „Wo warst du denn noch?“, will er prompt wissen. „Ich habe nur Klopf auf Wiedersehen gesagt“, flunkere ich. Schon brausen wir los.
Nach zähen und unendlichen Stunden auf der Autobahn, einem Dutzend Fünf Freunde- CDs und ebenso vielen Nutellabrötchen kommen wir endlich am Fähranleger in Rømø an. Seit vor ein paar Jahren ein Sturm einen Laster vom Sylt- Shuttle gepustet hat, fahren wir immer über Dänemark auf unsere Urlaubsinsel. Papa ist da abergläubisch, „wer einen Laster umschmeißt“, sagt er immer, „der macht auch vor einer E- Klasse nicht halt.“
Wir sind spät dran diesmal und der Kapitän trötet bereits dreimal, als Papa endlich die Tickets in der Hand hat und wir auf den Autokutter fahren können. Im Internet zu buchen ist auch nicht so seine Sache. Auf dem völlig überfüllten Deck quetschen wir uns zwischen Fahrräder und Kinderwagen auf eine hölzerne Backskiste. Der Wind pfeift uns um die Ohren und die Abendsonne lächelt müde. Dann brummen die schweren Dieselmotoren los. Das Schiff vibriert wie eine alte Waschmaschine, dunkler Rauch steigt empor, die Möwen stieben von den schiefen Birken im Fahrwasser auf und hoffen auf einen Bissen.
Ich schaue meinen Bruder an, er nickt und schon wuseln wir durch Wolfstatzen- Jacken, Fleece- Pullovern, Softshell- Westen zum Bug. Doch ausgerechnet dort feiern die Kicker vom Team Sylt lautstark das Erreichen des Achtelfinales beim Dana- Cup in Nord- Jütland mit Koffein haltigen Kaltgetränken, Fassbrause und Eistee. Kurzerhand machen wir kehrt und schlängeln uns zum Heck mit den riesigen Propellern. Wir packen unsere Toggo- Lutscher aus und spucken ins aufgeschäumte Wasser. Papa ist sitzengeblieben und muss auf unsere Sachen aufpassen.
Am Inselhafen List fallen mir die Augen zu. Ich träume von Knicklichtern, Taschenlampen, Gartenfackeln und Grillen am Strand. Erst als Papa mich zudeckt und mir einen Gute- Nacht- Kuss gibt, blinzele ich ihn schlaftrunken an. „Wo sind wir?“, will ich wissen. „Da, wo der Klabautermann auf Kaperfahrt geht“, sagt er lieb. Dann schlafe ich wieder ein. Papa geht zurück ins Wohnzimmer und fällt um wie der Jever- Mann.

Faltiger Autist
Am nächsten Morgen wache ich mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Endlich kann ich mich um Klopf kümmern. Vorsichtig hole ich ihn aus meinem Rucksack und schaue ihn an. Er scheint noch zu schlafen. Manchmal denke ich, er könnte mich verstehen, wenn er mich anschaut und seinen faltigen Hals reckt. Dann erzähle ich ihm, wie ich einmal das Feuerwehrauto von meinem Bruder im Sand verbuddelt habe, weil ich so eins auch gerne hätte. Oder wie ich Lauf, seinem Hamster, die Füßchen mit Tesafilm umwickelt habe, weil er schneller war als Klopf. Oder dass ich mir kurz vorm Einschlafen heimlich die Bettdecke in den Schlafanzug stopfe, damit ich morgens nicht nass bin. Sonst dürfte ich Klopf nicht behalten, hat Papa gesagt. Dann nickt Klopf immer und gibt mir Recht. Er ist auch der einzige, der weiß, dass ich gerne Leuchtturmwärter werden möchte. So wie Herr Tur Tur auf Lummerland. Das muss schön sein, abends einmal die Wendeltreppe raufsteigen, die Petroleumlampe anzünden und morgens wieder löschen. Keine Nacht darf es ausbleiben, meinen fünften Geburtstag nicht, nicht Weihnachten, und nicht freitags, wenn die Schmutzfrau kommt. Ich muss immer da hoch. Mit Einbruch der Dunkelheit muss das Licht brennen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Klopf versteht mich. Papa nennt ihn manchmal faltiger Autist. Ich weiß nicht, was das ist.
Nach dem Frühstück geht Papa mit uns in einen kleinen Laden in der Friedrichstraße. Postkarten mit Zackenrand erzählen Legenden aus Wilhelminischen Zeiten. Dutzende Stocknägel mit Strandkorbmotiven und Insel- Silhouetten reihen sich in kleinen, offenen Schächtelchen. Leuchttürme in allen Größen von der F- bis zur A- Jugend, Schneekugeln, Bernsteinfigürchen, Buddelschiffe und ganze Kutterflotten verteidigen ihre Regalwand gegen eine Korblandschaft aus plüschigen Wattwürmern, Möwen und Seehunden fernöstlicher Produktion. Papa versucht ständig, unser eigenes Taschengeld zu sparen. Wir hätten genug Spielzeug zu Hause. Aber eben keinen Riesenkraken, der Wasser spritzen kann! Dann meint er wieder, das Wellenbrett sei zu groß, das kriegten wir in keinen Koffer rein. Oder die Ritterfestung sei zu teuer, das Aufblaskrokodil zu gefährlich. Muscheln, Seesterne und Kescher hätten wir noch vom letzten Urlaub zu Hause, im Keller! Boah, ich habe echt keine Lust mehr und zeige auf mein T- Shirt. I’m the boss steht da. Das zählt nicht, erklärt Papa mir, Papa sei mehr als Chef. Dann will ich doch lieber Leuchtturmwärter werden. Oder faltiger Autist.

Wir lieben die Stürme
Der Wind kurvt mit uns im Slalom um jeden Poller, jeden Anker und jede Boje herum. Er taumelt über rot geklinkerte Wege, braust an Juckpulverbüschen, Knallerbsensträuchern und kahlen Kiefern vorbei, saust mit Schwung über eingegrabene Paletten die Dünentäler hinunter und mit uns an Papas Hand wieder hinauf. Auf dem Sandgipfel bleiben wir stehen und staunen: Groß, weit und dunkel erstreckt sich der graue Riese bis zum Horizont. Grollend wirft er seine kalten Arme ans Ufer, als sei er nie weg gewesen. Sein eisiger Atem fegt feuchte Gischt wie eine Horde aufgescheuchter Krabben beim Schulausflug vor sich her, schmeißt Standkörbe um und drückt dicke Kinder die Rutsche wieder hoch. Volleyballnetze stehen steif in der eisigen Brise wie schwer gefüllte Reusen, Klaffmuscheln graben sich tiefer in den Sand. Mein Käppi reißt sich los wie ein wild gewordenes Seeungeheuer, scheucht Thalasso- Wanderer vor sich her und sprengt eine Gruppe Qigong- Tänzer im Dünengras auseinander.
Benommen stolpern wir in die Villa Kunterbunt zum Piratentag. Laut brüllend entern wir die Welt, lotsen unser Boot durch gefährliche Untiefen und an Monster- Riffen vorbei. Wir schießen mit Korken- Kanonen auf Kokosnüsse, schruppen das Deck und pumpen Wasser aus den Kajüten. Wir überstehen die Pest und Skorbut, verlieren dabei alle Zähne und ein Bein. Wir jagen Ratten von Bord, Wale im tiefen Meer und heben auf einer einsamen Insel einen großen Schatz.
Erst bei Sonnenuntergang laufen wir wieder in unseren Hafen ein. In der Kombüse gibt es salziges Pökelfleisch und faules Wasser. Der leuchtende Zyklop blinzelt uns aufmunternd zu. Der Sturm hat sich gelegt.

Du bist nicht mehr mein Freund!
“Matschpatsch” macht es immer wieder. Ich greife mit den Händen in das trübe Wasserloch, das ich mit einem kleinen Deich vom Meer abgetrennt habe. Mit dem Plattmacher klopfe ich die Mauern fest. Auf einer Seite habe ich so viel Sand heraus gebuddelt, dass ein richtiger Berg entstanden ist. Aus beiden Fäusten lasse ich die Matschepampe von weit oben darauf fallen. Es sieht aus, als hätte ein ganzer Möwenschwarm nur auf diesen einen Fleck geschissen und ich sehe aus wie ein paniertes Schnitzel. Ich weiß schon selbst nicht mehr, ob ich überhaupt eine Badehose anhabe.
Ich beauftrage meinen Bruder aufzupassen, so lange ich Muscheln suche. Aber der Stinkstiefel will meinen Kescher dafür haben. „Ich bin nicht mehr dein Freund“, brülle ich, trampele meine Burg selbst kaputt und marschiere los. Papa hat mir erklärt, dass da, wo viel kleines schwarzes Holz an den Strand gespült wird, ich auch Bernsteine und Haifischzähne finden kann. In meinen Eimer sammle ich Krebspanzer, Seesterne und kräftige Herzmuscheln zum Kämpfen, er ist bald randvoll. Ich schmeiße tote Quallen zurück ins Wasser und laufe weiter. Endlich habe ich eine Stelle gefunden. Erst bohre ich mit dem Bockermann in dem Prütt herum, dann schiebe ich ihn mit dem ganzen Fuß hin und her. Schließlich lasse ich mich auf die Knie fallen und siebe mit den Händen. Alles, was gelb oder honigfarben ist, lecke ich ab. Harz schmeckt man doch! Ich finde ein altes Gummibärchen, eine geschliffene Glasscherbe und einen Feuerstein, sogar ein noch eingepacktes Campino- Bonbon. Es ist weich und salzig. Plötzlich scheucht mich eine große Welle auf und schmeißt meinen Eimer um. Erschrocken greife ich nach dem Henkel. Meine Schätze flüchten dabei mit dem rückfließenden Wasser: Bernsteine so groß wie Kiesel und Haifischzähne so scharf wie Säbel! Mein Bruder wird staunen.

PS: Es handelt es sich hierbei um ältere, überarbeitete Beiträge, sozusagen alter Wein in neuen Schläuchen.

Hölle auf Erden

Als wir endlich unsere Hütte erreicht hatten, dämmerte es schon. Mit einem Ruck stieß Opa die knarzende Tür auf, das Feuer war längst aufgebrannt und es war bitterkalt. Opa brach den letzten Stuhl entzwei und legte das Holz auf die blasse Glut, nach ein paar Minuten züngelten kleine Flammen empor. Dann nahm er einen Topf, füllte ihn draußen mit Schnee, stellte ihn auf den Küchentisch, schnappte sich den Hasen, drückte mir die hinteren Sprünge in die Hände und griff nach seinem Messer.

„Heb hoch!“, raunzte Opa. Zitternd hob ich den toten Meister Lampe mit ausgestreckten Armen in die Luft.

Dann setzte Opa die Klinge an. Ich kniff die Augen zusammen und hörte das Geschlinge in den Schnee platschen. Kaltes Blut spritzte auf mein Gesicht und etwas Warmes lief mir die Beine hinunter. Ich begann zu taumeln.

Scheppernd hing Opa den eisernen Bottich an einen Haken über das Feuer, „wisch das weg“, sagte er und warf mir einen Lappen vor die Füße, „und dann geh schlafen. Wir müssen früh raus!“

Am nächsten Morgen war Opa Slavko schon wieder auf den Beinen, als ich erwachte. Mein banger Blick fiel auf die Feuerstelle, wo der Topf gestern noch lange bedrohlich baumelte und quietschte. Jetzt stand er leer auf dem Sims. Erleichtert atmete ich aus. Draußen vorm Haus hörte ich eine Axt Holz spalten, dann schlug sie ein letztes Mal in den Stamm und Opa kam mit einem Korb voller Scheite wieder herein.

„Hast du schon gefrühstückt?“, fragte er barsch.

Ich schüttelte ängstlich den Kopf. Opa griff in seine Manteltasche, holte ein Stück trockenes Brot heraus und reichte es mir. „Pack alles zusammen, was du brauchst. Ich bringe dich ins Dorf zum Pfarrer. Hier kannst du nicht bleiben!“

Mir blieb der Bissen im Halse stecken und ich starrte ihn erschrocken an. „Nicht zum Pfarrer!“, flehte ich, „die Leute erzählen, er stecke mit dem Teufel unter einer Decke!“

„Unsinn! Er ist ein alter Säufer und Schwätzer, aber ein gerechter Mann. Nach dem Winter hole ich dich wieder ab, und gnade ihm Gott, wenn er dir ein Haar krümmt! Dann reiße ich ihm persönlich den Kopf ab!“

Weitere Geschichten von Opa Slavko gibt es hier , hier und hier.
Sie beschreiben kleinen Szenen, die noch nicht in einen Erzählrahmen eingebettet sind, also keine zeitliche oder dramaturgische Reihenfolge zu einander haben.

Der Müller und die undankbaren Esel

Es war einmal ein rechtschaffender Müller, der hatte drei Esel, einen Faulen, einen Frustrierten und einen Fetten. Der faule Esel blieb schon morgens einfach liegen, der Frustrierte zählte immer wieder seine grauen Haare und der Fette fraß von früh bis spät. Dennoch kümmerte sich der Müller um sie, so gut er konnte, und obwohl sie ihm nicht von Nutzen waren, verlor er nie ein böses Wort über sie.

An einem Abend aber ging der Müller noch einmal zum Stall, um den Eseln frisches Stroh und Wasser zu bringen, weil er es am Tag vor lauter Arbeit versäumt hatte. Als er vor der Türe stand, da hörte er, wie sie ihr schlechtes Leben beklagten. Ihm sei so langweilig, stöhnte der Erste. Der Zweite schimpfte, sogar die Zebras hätten Streifen und der Dritte schmatzte, das Futter mache dick. Da fasste der Müller einen Entschluss und schlich sich wieder ins Haus.

Gleich am nächsten Tag führte er die drei Graurücken ins Dorf auf den Markt. Den faulen Esel verschenkte er an einen Wanderzirkus, den frustrierten Esel tauschte er bei einem Schrankenwärter gegen ein altes Kursbuch der Deutschen Bahn und den Fetten verkaufte er dem Koch des Königs.
Zufrieden kehrte der Müller in seine Mühle zurück, mahlte ein Dutzend Säcke Korn, schaute noch einmal in den leeren Stall, lächelte und ging zu Bett.

In dieser Nacht stand der Mond schon hoch am Firmament, als die Zirkuswagen endlich stoppten und der faule Esel angeleint wurde. Seine Hufe schmerzten ihm von dem weiten Weg und er war müde. Er wollte sich schlafen legen, aber der Boden war hart und kalt, und der wilde Wind wirbelte Stock und Stein hin und her, dass es nur so krachte.
Er sehnte sich zurück in seinen Stall und dachte: “Oh je, was bin ich doch für ein dummer Esel gewesen!”

Auch der frustrierte Esel konnte nicht schlafen. Jede Stunde schnaubte ein tonnenschwerer Dampfzug an dem kleinen Bahnhäuschen vorbei. Der Kessel qualmte, die Räder ratterten, schaurige Schatten tanzten über die wackelnden Wände und dicker, dunkler Rauch fraß gierig alle Farben auf. Der Esel hustete, kniff die Augen zu und zitterte am ganzen Leib.
Er sehnte sich zurück in seinen Stall und dachte: “Oh je, was bin ich doch für ein dummer Esel gewesen!”

Dem fetten Esel erging es auch nicht besser als seinen beiden Verwandten. Der Koch hatte ihn eigentlich sofort schlachten wollen, aber der Narr des Königs band eine Möhre an einen Faden, knotete das andere Ende an seinen Schellenstab und lockte das Giermaul in den Thronsaal. Dort saß der König mit seinem Hofstaat bei einem Festmahl. Als der Esel das frische Obst und die vielen Leckereien auf den langen Tischen sah, lief ihm das Wasser im Maul zusammen und er glaubte, er sei eingeladen mitzuessen und wollte sich setzen. Aber die feine Gesellschaft verhöhnte und verspottete ihn und jagte ihn zum Tor hinaus.
Hungrig lag er nun am Teichufer, sehnte sich zurück in seinen Stall und dachte: “Oh je, was bin ich doch für ein dummer Esel gewesen!”

Das Jahr wechselte die Farben und auch der nächste Sommer kam und ging. Die große Ernte war eingefahren und der Müller hatte viel zu tun. Als endlich alles Korn gemahlen war, lud er die schweren Säcke auf seinen Karren, schnürte sich ein kleines Proviantpaket und machte sich auf die lange Reise zum Markt.

Auf halbem Wege kam er an einer Wiese vorbei. Ein Zirkus brach grade seine Zelte ab, tannengroße Männer stemmten riesige Stoffrollen auf einen Wagen, ein klitzekleiner Kerl brüllte Kommandos und bunte Vogelfrauen führten Pferde in ihre Boxen. Der Müller blinzelte gegen die Sonne und schaute dem munteren Treiben eine ganze Weile zu, als er schließlich den faulen Esel erblickte. Er lag im schmutzigen Staub und starrte in den Himmel.
Da ging der Müller zu ihm, streichelte sein Fell und sagte: “Steh auf, du alter Esel und hilf mir, ich habe viel zu tragen!”
Das Langohr tat wie ihm geheißen. Der Müller zahlte dem Zirkusdirektor den Preis, den er verlangte, spannte den faulen Esel vor den Karren, teilte seinen Proviant mit ihm und so marschierten sie los.

Es war längst Nachmittag geworden, als sie an ein kleines, verrußtes Bahnhäuschen kamen. Sie hielten an und lauschten den seltsamen Klängen aus der Ferne, als sich plötzlich scheppernd die Schranken senkten. Der Boden begann, laut zu grollen und zu grummeln und dichter Qualm hüllte sie ein. Der Müller und der faule Esel klammerten einander fest und wagten kaum zu atmen, als mit einem Mal ein Eisenross mit glühenden Augen fauchend an ihnen vorbeidonnerte. Erst nach langen, bangen Minuten war der Spuk beendet und es wurde wieder hell um sie herum. Sie schauten auf und da stand vor ihnen auf dem Weg der frustrierte Esel mit gesenktem Kopf.
Als der Müller ihn erkannte, ging er zu ihm, klopfte sein Fell sauber und sagte: “Sieh nicht alles so schwarz, du alter Esel und hilf uns, das Mehl zum Markt zu bringen.”
Das Langohr tat wie ihm geheißen. Der Müller zahlte dem Schrankenwärter den Preis, den er verlangte, stieg auf des frustrierten Esels Rücken, teilte seinen Proviant mit ihm und so trotteten sie zu dritt weiter.

Schließlich gelangten sie zum Schloss des Königs. Ihre Reise war anstrengend, der Durst plagte sie und so beschlossen sie, im Park ein wenig zu rasten und sich am Teich zu erfrischen. Als sie nun auf dem Steg saßen und verschnauften, kam mit einem Mal der fette Esel aus dem Dickicht gradewegs auf sie zugestoffelt. Er schmatzte und kaute auf einer Rübe herum. Der hölzerne Anleger bog sich bedrohlich in der Mitte durch, er knackte und knarzte, er schwankte und schaukelte, ehe er vollends entzweibrach. Der Müller und die beiden Esel konnten sich noch mit einem beherzten Sprung ans Ufer retten, der fette Esel aber platschte wie ein Komet ins Nass. Entsetzt schrie und strampelte er um sein Leben. Mit vereinten Kräften gelang es den drei Wanderern, ihn an Land zu ziehen. Japsend rang der fette Esel nach Luft und das Wasser triefte nur so aus seiner grauen Mähne. Erst jetzt erkannte er, wer ihn soeben vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
“Guter Müller”, flehte er, “nehmt mich mit. Ich kann in diesem Schlosse nicht länger sein. Der Koch will mich schlachten und zu Salami verarbeiten, sobald ich fett genug bin!”
“Alles, was recht ist, lieber Esel”, antwortete der Müller, “der Weg ins Dorf ist nicht mehr weit. Wenn du unseren restlichen Proviant trägst, dann will ich wohl mit dem Koch reden.”
Der fette Esel jedoch schüttelte nur mit dem Kopf, “das ist mir zu schwer, das schaffe ich nicht!”
Da ging der Müller zu ihm, streichelte ihm über das Fell und sagte: “Wenn du bleibst, wie du bist, wirst du nicht werden, wie du möchtest, du sturer Esel!”

Sodann gab der Müller seinen beiden Gefährten ein Zeichen, jeder schulterte sein Gepäck und sie zogen weiter ihres Weges.

Der faule und der frustrierte Esel aber halfen dem Müller fortan, wo sie nur konnten und verloren nie wieder ein schlechtes Wort.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Die Butter schmier‘ ich mir nicht aufs Brot!

Manchmal geht alles schief. Dann habe ich natürlich Schuld daran. Sagt meine Vorgesetzte. „Ich war gar nicht da“, sage ich dann, „wie kann ich es gewesen sein?!“ Aber das ist meiner Frau egal, einer muss es ja getan haben und das war dann wohl ich. Basta.
Aber was heißt hier basta? Nix basta! Es kann nicht sein, dass ich immer der Depp bin, der etwas vergessen hat und der auch nicht mehr weiß, wo er sich das aufgeschrieben hat. Ich kann doch nichts dafür, wenn der Tank alle ist und ich zu spät komme, um die Kinder abzuholen. Es liegt doch nicht an mir, dass die Ampel schon rot war! Immer soll ich perfekt sein, ein toller Vater, ein aufmerksamer Ehemann, ein potenter Liebhaber, ein prima Kollege. Und dann noch pünktlich sein. Das schaffe ich nicht alles auf einmal. Das ist mir einfach manchmal zu viel. Das funktioniert auch schon aus Prinzip nicht, ich bin schließlich ein Mann. Ja, wie Frauen das schaffen, weiß ich auch nicht! Basta!

Und überhaupt, worum geht es hier eigentlich? Natürlich habe ich die Haustür abgeschlossen, bevor ich als letzter gefahren bin!
Wie, da war noch jemand drin?

Gesichtsyoga

Fortsetzung von Freu Dich nicht zu spät! (Kapitel 1), Abstelltraum (Kapitel 2), Strebergarten (Kapitel 3), Wortgeflecht (Kapitel 4), Kassensturz (Kapitel 5) und Gleicheitrige (Kapitel 6)

Noch am gleichen Abend stelle ich Murat meine neue Geschäftsidee vor und zeige ihm meine Notizen in der Chinakladde. Er ist sofort hellauf begeistert, meint aber, wir müssten diesmal „solider“ an die Sache herangehen. Großzügig lade ihn zu der Unternehmermesse ein, unter der Bedingung, dass er meinen Deckel bei Renzo bezahlt und den Laden auf Vordermann bringt. Schließlich hat er ja auch seine Kehrwoche nicht eingehalten. Er zieht eine Augenbraue hoch, schielt mich an wie Angela Merkel bei der Damenwahl, stimmt dann aber zu. Ein schlauer Kopf, mein Murat.
Am Samstag schließen wir das Geschäft schon mittags. An der Tankstelle kaufe ich noch ein Duftbäumchen und zwei Dosen Haake- Beck, während Murat volltankt und nach dem Öl schaut. Ich setze mich schon mal und suche im Radio die Vorberichtserstattung der Fußball- Bundesliga. Mit einer Packung Knistertabak und zwei Dosen Efes kommt Murat aus der Kassensauna zurück. Wir stoßen euphorisch auf unseren neuen Coup an und dieseln Richtung Autobahn los. Es ist stickig und die Fensterkurbeln drehen an beiden Türen einfach durch. Murat schwitzt hinterm Steuer, als sei Biblis A kurz vor der Endabschaltung doch noch geschmolzen. Ich biege den Ventilator ein Stück weiter zu mir. Den letzten Kilometer geht es nur noch Meterweise vorwärts, frustrierte Coffee to go- Becher säumen die Straße. Endlich rücken wir auf Platz Eins der Karawane der Parkwilligen vor, als Murat plötzlich seine Mokassins hart auf die Bremse haut. Der Wagen nickt tief vor einem Männchen in Warnweste und Sicherheitsschuhen ein, das Arm wedelnd vor unserem schnaubenden Kühlergrill steht. Ich pralle mit dem Kopf an die rotierende Windmaschine, die mir eine tiefe Blitznarbe in die Stirn schneidet und stoße einen unverzeihlichen Fluch aus. Grüne Lichtblitze sirren umher, prallen aber an der massiven Karosserie unseres Rapids ab. Der selbstständige Parkplatzeinweiser taumelt, tritt dann bleich an die Seitenscheibe und will schon einmal 5€ kassieren. Ich klopfe mein Testsieger- Shirt ab, zucke mit den Schultern und schaue Murat an. Er pflückt einen klammen Schein aus seiner Hosentasche, öffnet die Tür einen Spalt weit und reicht ihn hinaus. Ein kühler Windstoß schwappt herein. Das Parkticket könnten wir von der Steuer absetzen, ruft der Wegelagerer uns fröhlich zu. Ehe ich ihn mit dem Imperius- Fluch gefügig machen kann, gibt Murat auch schon wieder Gas und rauscht den Weg an den langen Messeblechhallen vorbei. Direkt vor dem Haupteingang quetscht er sich auf einen Frauenparkplatz zwischen zwei Twingos. Durch die großzügige Kofferraumtür stolzieren wir nach draußen. Die Sonne lacht uns zu, wir lachen uns an, umarmen uns und gehen unter bewunderten Blicken auf dem roten Teppich zum Portal. Auf einmal huscht Ayse an uns vorbei und verschwindet ebenso plötzlich im Getümmel. Mir stockt der Atem, zittrig nestele ich nach dem Einlassticket, reiche Murat seines und sprinte hinterher. Erst jetzt bemerke ich, dass ich auf falschen Wegen wandele und im Fluss der zeitgleichen Eventausstellung „Einfach Frau sein“ schwimme. Panisch versuche ich noch umzudrehen, doch ich werde vom immer dichter werdenden Strom mitgerissen in den Dschungel der pastell- farbenen Begehrlichkeiten von Schmuck, Parfüm, Dessous, Wellness und Fitness, Haartrends, Dekorieren, Urlaub, Essen und Trinken und Trennungsberatung. Die letzte Welle spuckt mich direkt in einen Pulk blondierter Perückenschafe und Beratungsopfer, die am Stand der Weight Watchers Flyer, Ernährungstipps und Punktetabellen studieren. Mitgeschleifte Ehemänner in Fußball- Trikots starren abseits an einem Bierstand auf einen winzigen Fernseher, auf dem das Livespiel um den Spitzenplatz grade angepfiffen wird. Ich erkenne Renzo und will ausscheren, kann aber keinen Halt finden und werde weiter ins Innere des Plüschtempels geschoben und auf einen mintblauen Stapelstuhl gedrückt. Die Vorsitzende des Anorexie- Verbandes „Rund war die Frau“, die einer Brausestange Konkurrenz machen könnte, hält einen Multimedia- Vortrag zum Thema „Ich esse meine Suppe nicht“ und projiziert ein verzerrtes, dünnes Kerlchen auf Wand und Decke. Diät-Assistentinnen mit der eingefrorenen Mimik eines Tauschbildes reichen grüne Tees und stille Wasser zu gedünstetem Rohkostschnitzel auf einem ungeschälten Wildreismantel. Ayse ist eh verschwunden, denke ich mir und mache ich mit den Händen ein tolles Schattenbild (ein Murmeltier!), bis ich mit Süßstoffwürfeln beworfen werde. Fluchend flüchte ich hinter einen Vorhang, als ein schriller Schrei das Gebet zerreißt und von den kalten Metallwänden jäh zurückgeworfen wird. Entsetzt drehe ich mich um und blicke in Ulla Popkens nackte Augen. Noch ehe ich sie zu ihrer Figur beglückwünschen kann, bekomme ich einen Seegraskorb um die Ohren geschlagen. Pröbchen, Rabattgutscheine, Traubenzucker, bedruckte Einkaufswagenchips, Feuerzeuge und Kugelschreiber purzeln wild umher. Es sieht aus wie in Wacken am dritten Tag des Open Air- Festivals. Der übergewichtige Modeirrtum jagt mich trampelnd aus dem Zelt. Erst am Ha-Ra- Stand kann ich sie abschütteln, indem ich mich durch ein Nest damenbärtiger doppelter X- Chromosomenträger in die erste Reihe drängele. Eine gefühlte Halbzeit später schleiche ich mit einem revolutionären neuen Putzsystem mehr und einem gefühlten Monatsverdienst weniger von dannen. Erschöpft lasse ich mich in einen Massage- Sessel fallen. Das schwarze Leder klebt schwer auf meinem durchschwitzten Shirt. Geschickt streife ich mit der Hacke meine Schuhe ab, werfe 5 Euro in den Automatenschlitz und massiere meinen geschundenen Kiefer. Ich schaue auf meine Uhr und will grade die Zwischenergebnisse auf meinem Handy abrufen, als mich vier stählerne Hände von hinten packen. Zwei stiernackige PEZ- Gesichter nicken mit offenen Mündern und schiefen Nasen zur Tür. Eine Traube geifernder Weiber umkreist mich schnell, klatscht in die Hände und skandiert synchron „Ausziehen!“ Ich denke an meine Popeye- Unterwäsche und lasse mich ohne Widerstand hinausbegleiten.
Draußen steht die Sonne schon tief, ein verführerischer Bratwurstduft liegt in der warmen Abendluft. Bargeldlos, barfuß und blinzelnd folge ich ihm über den Parkplatz, bis ich in der Ferne Murat erkenne, der quatschend mit Ayse auf der Ladekante von unserem Wagen sitzt. Ich schleiche mich geduckt an und versuche, mir mein Geld aus dem Handschuhfach zu angeln. Im Radio laufen die letzten Minuten des heutigen Spieltages, es geht in allen Stadien hin und her. Als die Bayern in der Nachspielzeit einen ungerechtfertigten Elfmeter geschenkt bekommen, schlage ich fluchend aufs Blech. Plötzlich tauchen neben mir irgendeine Drahtbürste von den Gewichtsguckern und die Hand geflochtene Picknicktasche aus der Umkleidekabine auf. Die beiden Tuppertanten steigen in ihren Twingo und brausen mit meiner Deckung davon. Im letzten Moment kann ich mich mit einem kühnen Sprung unter unseren Renault retten. Durch den Unterboden muss ich dumpf den Torjubel der sprachdefizitären Südstaatentruppe mit Migrationshintergrund hinnehmen und stoße mir fast den Kopf vor lauter Zorn. Dann stellt Murat, der Banause, noch vor dem Schlusspfiff auf einen türkischen Sender um und trällert verliebt mit Ayse Tarkan´s einzigen Hit. Jetzt stoße ich mir den Kopf. Auf ein Mal steht Murat wie ein Strauß da, schaut kopfüber durch seine Beine hindurch und sieht meine Füße unter der Stoßstange heraus ragen. Ich schäle mich unter dem Wagen hervor, „alles klar“, sage ich, wische mir die öligen Hände an der neuen Jeans ab, „der Zylinder ist wieder dicht! Wir können weiter! Pass aber diesmal besser auf!“ Murat schaut mich an wie ein Playmobil- Sultan und ein winziges Lächeln huscht über Ayse´s Gesicht.
Nächste Woche ist wieder Messe, diesmal „Mann sein“. Da gehe ich sicher hin, Gina Wild gibt Autogramme!

Doch vorher führt uns unser Weg noch hierhin

Strebergarten

Fortsetzung von Freu Dich nicht zu spät! (Kapitel 1) und Abstelltraum (Kapitel 2)

Ich stehe auf und gehe am versteinerten Murat vorbei. Entschlossen schnappe ich mir die herum liegenden Bierflaschen, sammle sie in den Kasten zurück und stelle ihn dem kleinen Muck genau vor die Füße. „Musste das sein?“, frage ich ihn, „du weißt genau, dass heute Eröffnung ist!“ Murat starrt weiter in den hohlen Raum, ein bisschen Sand rieselt ihm aus den Haaren und lässt mich vermuten, dass er noch nicht ganz mumifiziert ist. „Wie siehst du überhaupt aus?“ „Also, ich, äh …, du hast …“, stammelt er sich in den Schnauz. „Ach, red jetzt keine Opern, hilf mir mal, ich krieg das Fass hier nicht auf. Bin mal gespannt, was ich da günstig ersteigert habe!“ Wortlos überreicht mir Murat die Spitzhacke. Mit einem einzigen gezielten Hieb schlage ich den Deckel ab. „O’zapft is!“, verkünde ich stolz, klettere über das Splitterholz und linse in den Container. „Ich glaub’s nicht“, rufe ich, „Murat, komm her, das musst du dir unbedingt anschauen!“ Unsicher stolpert er zu mir, den Kopf dreht er dabei nach hinten, als könne jeden Augenblick ein Flaschengeist erscheinen und ihn zur ewigen Knechtschaft zwingen.
Plötzlich steigt süßlicher Rauch empor und wirbelt immer schneller durch unser Lager. Zitternd stehen wir da, helle Lichtpunkte sausen wie Schneeflocken im Sturm auf uns zu. Murat weicht erschrocken zurück, ich greife nach dem Klappspaten und halte ihn abwehrend vor das Gesicht. Die Wucht des Tornados reißt ihn mir aus den Händen, scheppernd fliegt er durch den Laden und schlägt das große Schaufenster ein. Dumpf höre ich Murat hinter mir kreischen und drehe mich erschrocken um. Er schwebt in der offenen Tür und strampelt verzweifelt, die Füße etwa 50 cm über dem Boden. Ich will ihm zu Hilfe eilen, als mich mit einem Ruck der rasende Nebel packt, in die Höhe reißt, im Kreis herum schleudert und mit einem Drei- Punkte- Wurf gekonnt in das enge Fass einnetzt. Mit einem lauten Rums schlägt der Deckel über mir zu und verdunkelt die Welt. Minuten lang geschieht nichts, ich höre nur meinen eigenen Atmen von den Holzwänden widerhallen, die Luft ist schwül und stickig. Schließlich schiebt sich Totenstille zwischen die Ritzen.

„Schneller, die Oase ist nicht mehr weit“, schreit er mir ins Ohr. Ich blicke stumm auf. Die Wüste flimmert wie die A2 im Gegenlicht vor den Kühltürmen des Kohlekraftwerks. Müde und schwer setze ich einen Fuß vor den nächsten. Dann endlich keimen die ersten Palmenblätter am Horizont. Vor Aufregung stolpere ich eine Senke hinunter. Die kühle Hoffnung rollt sich zusammen wie eine Leinwand am Ende des Dia-Abends. „Nein“, stammele ich und sinke auf die Knie. Mit beiden Händen greife ich in den glühenden Sand und schmeiße ihn in die Luft. Ich kneife die Augen zusammen und ziehe die Schultern hoch, als er wie ein Meteoritenschauer auf mich herunter prasselt. Zornig schüttele ich mir den Kies aus den Haaren. Mein kleiner Mann ruft wieder: „Los, raff dich auf! Du schaffst es!“ Ich will ihn ignorieren. Zu oft hat er mich schon falsch beraten. Wie damals, als er meinte, ich solle mich zu diesem Kurs anmelden „Männer kochen anders“ und ich mich in einem Anti- Aggressionstraining für Akademiker wiederfand. Nur verhärmte Sozialarbeiter und Geschichtslehrer in Cordhosen. Das war vielleicht ein Reinfall. Ein anderes Mal drängte er mich zu einem Niederländisch- Sprachkurs und dann war ich im Urlaub doch wieder im Harz. Aber diesmal hat er wahrscheinlich Recht. Hier Burgen zu bauen, rettet mich nicht. Matt rappele ich mich wieder hoch. Ich blinzele in die Sonne, die erbarmungslos meinen Liquor zum Kochen bringt. Jeder Schritt gleicht dem stechenden Schmerz einer Spinalanästhesie. Mühsam schleppe ich mich durch die Senke und schon auf halben Weg höre ich das muntere Feilschen der Kamelhändler. Dann endlich tauchen Zelte aus dem Gekrümel auf und es riecht nach Bratapfel mit Zimt. „Vorsicht“, tönt es hohl in meinem Kopf. „Ruhe!“, murmele ich, „ich entscheide!“ Mit letzter Kraft krieche ich an toten Schädeln im Wüstensand vorbei bis zum ersehnten Wasserloch. Gierig stecke ich meinen Schlund hinein, in großen Schlucken saufe ich das trübe Nass. Trunken falle ich auf den Rücken, schließe die Augen und denke an die kühlen Tannen im Harz. An den trüben Sommer und die verregneten Tage in der muffigen Pension. Die alten Holzstufen knatschten und führten zu meinem kleinen und dunklen Zimmer im ersten Stock, unten wohnte die Vermieterin. Das Bad war auf dem Flur, kalt und moosgrün, wie das Wasser dieses Tümpels. Das Metallrost des Bettes quietschte bei jeder Bewegung. Der Hirsch röhrte im Dickicht und unterhielt sich mit seinem gemalten Kollegen über dem winzigen Tisch mit der Häkeldecke und den Trockenblumen im bröseligen Steckgrün. Morgens stellte die alte Hexe das Frühstück schon um 6.30 Uhr vor die Tür. Auf dem Weg zur Toilette trat ich in der ersten Nacht in die Teewurst auf dem Goldrandteller. Fluchend und humpelnd hüpfte ich über den roten Sisalläufer zum Ende des Ganges, um dann festzustellen, dass Mütterlein Gicht das Bad verschlossen hatte. Ich griff erleichternd zu der Teekanne des Herrn von Zimmer 7, als mich ein Teppichklopfer streifte.
In diesem Augenblick tritt mir ein Beduine in die Seite und zeigt grinsend seine schwarze Zahnpracht. Ich zucke zusammen, schlage die Augen wieder auf und setze mich. „Ich habe dich gewarnt“, ruft da mein kleiner Begleiter wieder, „das hast du jetzt davon.“ „Ach, halt’s Maul“, sage ich zu ihm, „Du hast mir die Suppe mit dieser Karawane doch überhaupt erst eingebrockt! Bleib doch hier, wenn du willst.“ Dann stehe ich auf und gehe auf das größte Zelt zu. Ich schiebe den schweren Baumwollstoff zur Seite und trete ein. Das Einkaufsparadies von Teppich Kibek eröffnet sich mir in seiner ganzen Pracht. Der Garten Eden des Vorwerkmannes, die Welttournee seines Kobolds, das Eldorado der Milbenallergiker. Und ich mittendrin. Der Beduine von Loch Ness betritt das Zelt. „Willst du kaufen schöne Kelim?“, fragt er. „Wie alt ist sie denn?“, frage ich zurück. „Was wie alt?“ „Die Kelim!“ „Kelim ist ganz neu! Guckst du hier“, sagt er und geht zu einem Haufen Vorleger, blättert darin herum und zupft von unten eine Katzendecke hervor. Kritisch reibe ich den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger. „Die kratzt ja“, sage ich, „hast du nicht etwas anderes?“ und gehe auf einen Stapel zu, den er mir bewusst nicht gezeigt hat. „Was ist denn mit dem da?“, will ich wissen und zeige auf einen alten Fetzen, der aussieht, als habe Ali Baba darauf an einem Stück die Sahara und alle arabischen Wüsten durchritten. Entgeistert guckt er mich an. „Das ist ganz besondere Teppich“, stammelt er. „Ich weiß“, entgegne ich, „aber genau den will ich! Den und keinen anderen! Was kostet er?“ „Du willst wirklich habe fliegende Teppich?“, fragt er noch einmal. „Ja.“ „Dann du musst mir gebe kleine Mann von deine Schulter!“ „Meinen Dschinn? Niemals!“, entrüste ich mich. Er geht einen Schritt auf mich zu, „gib!“ zischt er. Zögerlich fasse ich meinen kleinen Begleiter am Rockzipfel, er tanzt und tobt wie Daniel Küblböck in der ersten Staffel von DSDS. Ich greife fester zu und halte ihn am ausgestreckten Arm dem Zeltgesicht entgegen. Er will eben zupacken, da schnellt meine Hand mit dem Superstar zurück. „Und noch genügend Wasser für zwei, nein, für drei Tage dazu!“, pokere ich. Finster gucke ich in seine gierigen Augen. „Du bist schlimmer als wie meine Brüder“, knurrt er, schlägt dann aber doch ein. Schnell ruft er zwei Schergen hinein, die draußen den Teppich und den Kaktussaft bereit stellen sollen. Er selbst stopft den Dschinn in ein altes Holzfass und nagelt den Deckel zu. Dann schlägt er seinen Kaftan über den Arm und weist mir den Weg mit einer eleganten, fast Hesterschen Geste hinaus. Dort liegt mein Teppich plan im Streugut, mitten drauf glänzen drei pralle Bocksbeutel ledern in der Sonne. Die vermummten Gebrauchtwagenverkäufer stehen feixend und johlend drum herum, Schwielensohler schieben spöttisch ihre Kiefer vor und zurück. Ich bahne mir einen Weg hindurch, setze mich auf den zerschlissenen Fußabtreter und durchkämme mit beiden Händen akribisch den dünnen Flor. Hohn prasselt auf mich nieder wie Reis auf das vermeintlich glückliche Brautpaar. Nach endlosen Minuten ertasten meine Finger das, wonach ich suchte. Ich richte mich auf und mit einem Ruck ziehe ich einen goldenen Faden heraus. Unter den bass erstaunten Gesichtern der Campinggemeinde im luftigen Tuch hebe ich flatternd ab. Ein unfassbarer Jubel, wie ihn nur ein deutscher Außenminister auf dem Balkon der Prager Botschaft kennt, weht zu mir empor. Hoch oben über ihrem Outlet-Store blicke ein letztes Mal zurück und sage meinem alten Dschinn Lebewohl. Ich kann bis hier hören, wie er wütend an die Wände seines Gefängnisses pocht.

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Verkorkt

Fortsetzung von Hautnah (Kapitel 1) und Space Invaders (Kapitel 2)

Baff stand ich da und grübelte. Ich versuchte, mich an besagten Abend zu erinnern, aber meine Synapsen waren noch verkorkt. Sie ließen keinen Gedanken an irgendetwas, das vor heute lag, zu. So sehr ich mich auch anstrengte, es war nur ein hohles Pfeifen und Sausen da, als bliese der Sensenmann sein Willkommenslied auf der Schalmei. Mir wurde heiß, Schweiß tropfte von meiner faltigen Stirn und verwischte die Tinte auf der Karte. Suchend bohrte sich mein Blick hindurch und fand auf der Rückseite ein abgedrucktes Rezept der Trippa. Ich würgte sofort, spuckte ein paar warme Brocken aus und rannte zum Haus, hielt aber schon auf halbem Weg an der Magnolie an und düngte sie reichlich. Sie sah schon ganz verkümmert aus. Mit einem Kanonenschlag flog mein Hirnkorken in den weiten Kosmos, eine Raumfähre musste ein riskantes Ausweichmanöver einleiten. Der gestrige Abend war wieder lebendig, Carlottas Lachen klang in meinen Ohren nach. Plötzlich schlängelten sich Scheinwerfer den Weg zu meiner Mühle hoch. Das wandernde Licht schleuderte meinen Schatten an die Hauswand. Panik breitete sich aus. Ich angelte einbeinig nach meinem Schlappen, schlug die Tür hinter mir zu und starrte in den Spiegel. Rauchen und Fleisch fressen bestrafte Gott an mir sichtbar doppelt, der Suff tat sein Übriges. Dann parkte draußen ein Auto, kurze Zeit später klopfte es. Ich gefror und merkte, dass überall im Haus das Licht brannte. Eine plausible Ausrede schien so fern wie Arminia Bielefeld vom Wiederaufstieg und so wartete ich darauf, dass der böse Wolf meine Strohhütte einfach um pustete. Es klopfte noch einmal. Ich hielt die Luft an, bis die Venen hervortraten. Eine Bande hinterhältiger Mücken nutzte meine Wehrlosigkeit schamlos aus. Ich wünschte mich auf die Autobahn in ein Stauende und dass ein Betonlaster hinein rast, mich zerkrümelt und meinen Organspendeausweis hinfällig macht. Eine zarte Stimme rief meinen Namen, dann knirschte es, Schritte entfernten sich, ein Motor sprang an und verschwand in der Dunkelheit. Fauchend atmete ich aus, mir war speiübel. Ich schleppte mich zu meinem Bett und wälzte mich unruhig hin und her. Der Mond war bleich und stumm, die Stille drückend.

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Space Invaders

Fortsetzung von Hautnah

Am nächsten Morgen rumpelte es laut in meinem Kopf. Draußen vorm Fenster wurden Stämme abgeladen und schlugen dumpf an einander. Eine schwere Kiste mit Eisenbeschlägen kippte vom Laster, zerbrach und verteilte klöternd ihren Inhalt auf dem ganzen Hof. Haarige Männerstimmen fluchten und zischten altlateinische Vulgärvokabeln.

Ich riss die Augen auf. Fliegende Fäden attackierten mich wie die Space Invaders. Sie wurden immer schneller und kamen näher. Ich lag starr im Bett, konnte mich nicht regen. Zuerst eroberten sie meine Zunge, dann meine Zähne und schließlich verfilzten sie meinen gesamten Mundraum. Instinktiv hielt ich die Luft an, um den Verwesungsgestank der Gefallenen nicht einatmen zu müssen. Mordor war eine Parfümerie dagegen. Schnappatmend rannte ich nach einer Viertelminute zum Fenster, schwallartig erbrach ich mich eine Viertelstunde lang davor. Ein rotes Ufo traf mich und ich sackte zusammen. Blut lief mir aus den Augen, mein rechter Arm hing baumelnd über dem Fensterbrett. Dann fiel ich in den Schlaf zurück.

Als ich aufwachte, blinzelte bereits der Abend im Auenland. Mein Schädel brummte wie der von Mario Basler nach der Nacht der legendären 1:2 Niederlage im Champions League-Finale 1999 gegen Manchester United. Ächzend schüttelte ich mir den Staub aus den Haaren und ging zur Tür. Die Luft war klar und rein, wie nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut. Ich drehte mir eine Zigarette und pumpte die Teergase mit hohem Druck bis in die Alveolen, wo sie zu einem Gerinnsel verklumpten, das mich plötzlich und unerwartet mit 103 Jahren jäh aus dem Leben reißen wird. Ich war 46 und ließ es mir schmecken. Eben, als ich mich umdrehte, um wieder ins Haus zu gehen, entdeckte ich auf der Bank neben der Tür einen Korb. Rotkäppchen hatte ihn schön abgedeckt mit einem rotkariertem Geschirrtuch. Ich nahm es hoch, wischte mir damit die Tabakkrümel vom Mund und schaute in das Weidengeflecht. Mein Hunger starrte auf Oliven, Schafskäse, eine luftgetrocknete Salami und eine Flasche Chianti. Mein Herz stolperte über eine Hand geschriebene Karte: Danke für den wunderschönen Abend. C

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Hautnah

Die Sonne stand schief am Himmel, die Stadt versank in rosarot. Die Luft war warm und zart, Gewittertierchen tanzten im Abendlicht. Ich fuhr mit dem Auto in die Einfahrt, stellte den Motor ab, drehte das Radio lauter und schloss die Augen. Vorsichtig zitterten sanfte Klänge in meinen Ohren, dann brüllte der Bass aus den Boxen, dass die Blumen auf der Wiese mit den Köpfen nickten. Frau Amsel setzte einen Notruf ab. Bunte Lichtwellen durchzogen meine Welt und entführten mich auf eine Reise.

Ich stand in der offenen Haustür und lauschte der Stille, hinten im Garten konnte ich die Ameisen schmatzen hören. Die Zypressen am Horizont hatten noch ihre Schlafanzüge an, das Dorf erwachte erst langsam. Ich liebte diese jungfräuliche Morgenluft, die mir ein Abenteuer versprach und nach Olivenöl, Chianti und getrockneten Tomaten schmeckte. Ich ging zum Schuppen, schob die Vespa nach vorne, setzte meinen Rucksack auf den Rücken und fuhr knatternd und knirschend den Kiesweg entlang. Unten am Tor zog ich die Corriere della sera aus dem Kasten, steckte sie in meine Manteltasche und fuhr weiter. Ich wohnte etwas abseits des Dorfes in einer kleinen alten Sägemühle. Hierhin hatte ich mich meine Expedition mit meinem Wohnmobil geführt. Hier hielt ich an und blieb. Hier packte ich meinen Koffer aus und stellte meine Staffelei auf. Wie schon einmal, als ich in jungen Jahren in Mailand Kunst studieren wollte. Dann starb mein Vater und ich kehrte zurück nach Deutschland. Ich wischte mir mit dem Handrücken eine Mücke aus dem Auge. Das Dorf lag vor mir, die letzte Kurve genoss ich wie in Zeitlupe. Marktfrauen trugen frisches Obst und Gemüse aus dreirädigen Rollermobilen zu ihren Ständen. Alte Männer saßen vor ihren Häusern und spielten. Junge Ragazzi standen zusammen und zählten einen Batzen Geldscheine. Als ich um die Ecke brummte, hob Don Pascale die Hand und winkte mich zu ihm herüber. Er hatte sich in all den Jahren als echter Freund erwiesen. Die Dorfgemeinschaft hatte mich anfänglich misstrauisch beäugt, aber er hatte es durchgesetzt, dass ich als Tedesco die Mühle kaufen konnte. „Ciao, caro amico“, begrüßte er mich. Ich umarmte ihn, nickte den Anderen zu und setzte mich. Ich erzählte ihm von dem neuen Wasserrad, das mir ein Holzbaumeister aus Torino nach alten Plänen, die ich hinter einem Küchenschrank gefunden hatte, angefertigt hat. Bald würde die Mühle wieder in altem Glanz erstrahlen. Seine Augen leuchteten. Er war dort geboren und so war es mir um so mehr Ehre, seine alte Erinnerung wieder aufzubauen und mir gleichzeitig einen Traum zu verwirklichen. Er kam jede Woche mindestens einmal vorbei, immer verbunden mit einer Einladung zum Essen. Heute mache seine Frau Elena die berüchtigten Trippa alla fiorentina. Nach ihrem fantastischen Saltimbocca alla romana beim letzten Mal zögerte ich keine Sekunde und sagte zu. Wir verabredeten uns zum Mittagessen und ich schlenderte noch ein Weilchen über den Markt. Ich kaufte mir eine Schale Oliven und ein Stück Schafskäse bei Franco. Er war eigentlich Schlosser und half mir bei der Restaurierung. Die alte marode stählerne Antriebswelle hatte er wieder zum Laufen bekommen. Wir beratschlagten uns noch ein wenig, naschten Bruschette und feixten gestikulierend.
Als ich mich zum Gehen umdrehte, stand sie plötzlich hautnah vor mir, lächelte mich an und ich wusste sofort, dass dieser Tag völlig aus den Fugen gerät. Ihre Haare glänzten kupfern in der Sonne wie frische Maroni und umspielten zart ihre Wangen wie Wellen eine Muschel. Ihre grünen Augen ließen Zucchinis in den Auslagen erblassen. Es donnerte in meinem Kopf. Nervös nestelte ich an meiner Brille, die auf einmal auf den Nasenflügeln und hinter den Ohren drückte. Plötzlich stand Don Pascale neben ihr, legte seine Arme um diesen Engel und stellte mir seine Nichte Carlotta vor, sie studiere in Milano. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fehlten deutsche und italienische Wörter für diesen Moment. Kurzatmig stellte ich mich vor. Sie lächelte mich an und reichte mir ihre Hand. Adriano Celentano brüllte in meinem Hinterkopf Dinge, die ich hier jetzt nicht wirklich wiedergeben möchte. Als ich sie hölzern berührte, durchschlug mich der Blitz wie 1771 den jungen Werther, als er sagte: Ich habe so viel und die Empfindung an ihr verschlingt alles. Ich habe so viel und ohne sie wird mir alles zu Nichts. Im Original, nicht in irgendeiner lausigen Plenzdorf– Interpretation. Der Himmel verdunkelte sich schlagartig, als ich sie wieder los ließ. „Wir müssen gehen“, sagte Don Pascale, „la mamma ist bestimmt schon so weit.“ Ich schaute auf und nickte. Carlotta hakte sich bei uns unter. Mamma Elena war eine Herzens gute Frau. Sie liebte das Leben, gutes Essen und guten Wein. Keinen Abend, den ich bei ihr und Don Pascale verbrachte, kam ich nüchtern nach Hause. So sollte es auch diesmal wieder sein. Der Rotwein gelierte süß in meinem Rachen und als ich mich weit nach Mitternacht verabschiedete, ratterte die Mühle in meinem Kopf schon. Erinnerungen und Hoffnungen gerieten zwischen die steinernen Mahlräder, ich hatte Kastanien braune Haare auf der Zunge. Irritiert sank ich in mein Bett. Der Mond rief unablässlich Carlottas Namen, in der schwülen Stille summte eine Mücke.

Die Musik im Auto verstummte. Ich schlug die Augen auf, zertrümmerte den Blut gierigen Zweiflügler auf meinem Arm und ging ins Haus. Es roch nach Leberkäse und Bratkartoffeln.

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Sündenbock

Immer ich! Ich bin es leid. Dabei habe ich gar nichts damit zu tun! Ich war überhaupt nicht da! Ich kann es nicht gewesen sein! Aus, Schluss, basta!
Aber dann steht eines Tages dieser Mann vor meinem Haus. Ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Klemmbrett unterm Arm. Neben sich hat er einen dunklen Lederkoffer abgestellt. Mit einem merkwürdigen Gefühl öffne ich die Tür. Er hält mir gleich seinen Dienstausweis knapp vor die Brille und stellt mir seltsame Fragen. Ob ich hier wohnen würde. Und wo ich denn am 3. Mai gewesen wäre? Moment, das ist doch noch nicht so lange her. Genau, er sei schon einmal dagewesen und obwohl das Auto in der Einfahrt stand, habe niemand aufgemacht. Das sei doch mein Wagen? Mir sei doch klar, dass der TÜV abgelaufen ist? Ich müsste mit empfindlichen Strafen rechnen, das wüsste ich doch, oder?
Erschrocken wie Thomas Gottschalk nach der verlorenen Saalwette starre ich ihn an. So langsam platzt mir die Wutschnur. Ich greife nach dem Schuhlöffel auf der Fensterbank. Plötzlich vibriert der Boden und ein Getöse durchschneidet die warme Frühlingsluft, als starte in meinem Flur ein Viertakt- Rasenmäher. Die Sonne kneift die Augen zu, als sich ein dunkler Schatten auf den Rasen senkt und meine Magnolie abknickt. Im nächsten Moment markieren rote Laserpunkte meine empfindlichsten Körperstellen und eine vermummte GSG9- Spezialeinheit überwältigt mich auf dem Treppenabsatz. Mein Kopf schlägt dumpf auf die Kokosmatte, die mich stur willkommen heißt. Roter Dicksaft kriecht aus meiner Nase und mischt sich mit der eingetrockneten Blutspende des Bofrostmannes vom vergangenen Herbst zu einer negativen Kreuzprobe. Kabelbinder ratschen und ich werde brutal in den Flur gestoßen. Der schwarze Mann tritt neben mich und hält mir die neue Kehrverordnung unter die Nase. „Darf ich jetzt?“ fragt er.

Hühneraugen

Links und rechts habe ich sie, mitten unterm Zehenballen. Bei jedem Schritt muss ich mich entscheiden: Entweder zu staken wie der Storch im Teich oder zu huschen wie über glühende Kohlen. Das ist nicht schön anzusehen.

Letztens erst hat Variante Eins einen Ladendetektiv misstrauisch gemacht. Als rechtschaffender Mann habe ich mich natürlich über den obskuren Verdacht des Diebstahls echauffiert und mich der Taschenkontrolle verweigert. So wurde ich in einer verrauchten und dunklen Spionagezentrale festgehalten. Auf allen Monitoren flackerten Bilder aus den Eingeweiden des Konsumbabels. Aber auf keinem lief Fußball. Es dauerte geschlagene 40 Minuten nach dem rechnerischen Schlusspfiff, bis die blau-blau uniformierten Sportkameraden den Weg ins Arbeitszimmer des Nick Knatterton gefunden hatten. Meine inneren Organe waren inzwischen am Maximum ihrer Vorratsdatenspeicherung angelangt und es drückte mich heftig der Harn. In dem Moment, als die schwere Tür nach einem Klopfcode geöffnet wurde, huschte ich in Art und Weise von Variante Zwei an den Kuckucksgesichtern vorbei, den langen Flur entlang bis in die Abteilung für gebrauchte Getränke. Dort wurde ich dann unschön überwältigt, obwohl ich meine Hände noch brauchte.

Ich sag’s ja: Das ist nicht schön anzusehen. Guten Appetit!

Schnittblumen

In jeder Gala, Brigitte und Für Ihr steht etwas über dieses Thema geschrieben. Wie Schnittblumen das Leben verändern. Wie sie Licht in die Dunkelheit bringen. Was sie bedeuten. Wie man sie verschenkt. Wie sie länger frisch Schnittblumen oder welche Blumen zu welchem Anlass passen. Männer können darüber nur lächeln. Warum sollte ich dafür 20€ ausgeben? Damit ich sie nach drei Tagen tot in die Schnittblumentonne trage? Und ich dann noch aus Pietät Kollegen auf den braunen Sargdeckel lege? Was soll ich mit Grünobst, von dem ich nicht weiß, wie man es schreibt oder wie es aussieht? Krisantheme? Hüazinte? Da halte ich mich doch lieber an Bier! Das hat wenigstens immer Saison. Es ist auch geselliger beim Fußball gucken. Das kann ich auch schreiben! Und es ist Pfand drauf!

In der nächsten Halbzeitpause kann ich ja meinen Kumpels mal ein zartes Röschen statt eines kühlen Krombachers mitbringen. Das wird ein Spaß! Und nach Spielende erzähle ich ihnen, dass ich noch zur Fußpflege muss. Dann darf ich mich aber nicht wundern, wenn ich zum Geburtstag ein Ikebana- Gesteck und einen Gutschein für einen Kursus im Trockenfilzen beim Verein für Hausfrauen und Schwiegermütter (VHS) bekomme.

Und ehe ich mich versehe, flattern mir die ersten Kataloge von Tupper, Teutonia und Co in den Briefkasten. Vorsichtshalber habe ich den Boden heraus gesägt und die geöffnete Papiertonne darunter geschoben. So erspare ich mir gleichzeitig nervige Erinnerungsschreiben von der Medienmafia GEZ. Die plumpsen halbjährlich direkt auf den Stapel der Sonntagszeitungen, Kirchenblätter und Pizzataxizettel. Nur an die Straße schieben muss ich den schweren Rollkoffer noch selber.

Ach so, meine Blumen bringt mir der Bofrostmann, gekühlt halten sie länger frisch! Und die Nachbarn merken nichts!