Das letzte Einhorn

Manchmal kann ich mich einfach nicht entscheiden.

Ich möchte meine Ruhe, aber auch nichts verpassen.
Ich möchte gut essen, aber schlanker sein.
Ich wäre gerne jünger, aber nicht unreif.

Ich würde gerne mehr aus mir herauskommen, verlasse aber tagelang das Haus nicht.
Ich würde gerne etwas anders machen, hasse aber Veränderungen.
Ich möchte einfach nur, dass eins plus eins eins ist.

Ich möchte nachts nicht mehr raus müssen und morgens liegen bleiben.
Ich wünsche mir mehr Zeit, um am Meer zu sein.
Ich möchte raus aus meiner Haut.

Ich möchte mein Gegenüber finden. Jemanden, der mich aushält. Der mich trotz meiner Sorgen und Ängste liebt. Vor dem ich nichts erklären und rechtfertigen muss. Der mich versteht, auch wenn ich schweige. Der mir Antworten gibt, mich aber nicht in Frage stellt. Der im passenden Moment meine Hand nimmt und wieder loslässt. Jemanden, mit dem ich lachen kann, der aber den Ernst der Lage erkennt, wenn ich wieder einmal mit meinen Widersprüchen nicht zurechtkomme.

Auge um Auge

Es ist mein letzter Wurf.
Danach ist das Spiel aus. Aus und vorbei. Es gibt keine Verlängerung, kein Rückspiel. Es gibt nur diesen einen Wurf.
Ich stehe an der Abwurflinie, gehe in die Knie, wiege die schwere Kugel in der Hand, streiche den Sand herunter, versuche die Entfernung abzuschätzen, den Winkel zu treffen und das Spiel mit diesem letzten Wurf herumzureißen. Alles oder nichts. Ich hole vorsichtig Schwung, pendele den Arm vor und zurück, halte inne, stocke, zögere, schaue noch einmal.
Der kleine Holzball liegt etwa fünf Meter von mir entfernt, verdeckt durch zwei andere Spielkugeln.

Es ist mein letzter Wurf.

Er entscheidet, ob ich dem Teufel meine Seele geben muss. Ich weiß, dass mich jetzt nur ein göttlicher Treffer retten kann, um seine beiden Kugeln wegzustoßen und meine eigene am nächsten an die Holzkugel zu platzieren. Doch mit Gott war ich noch nie per du.
Trotzdem murmele ich ein Gebet vor mich hin: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“, und schaue dem Teufel dabei tief in seine rotorange glühenden Augen. Doch anstatt meine Kugel wohlüberlegt in Richtung der anderen zu werfen, hole ich weit von unten nach oben aus. In dem Moment, als meine Hand schnurstracks zum Himmel zeigt, sage ich: „Amen.“
„Ich sehe nichts!“, zischt der Teufel wütend und blinzelt gegen das gleißende Licht der Sonne.
Schnell trete ich einige Schritte nach vorne, „von hier kannst du besser gucken!“, behaupte ich und winke ihn zu mir.
Widerwillig folgt er meiner Aufforderung, ohne seinen Blick vom Himmel abzuwenden. Unbemerkt lasse ich die Kugel aus meiner anderen Hand plumpsen. Sie schubst seine beiden mit einem leisen Klonk zur Seite.
„Oah, jetzt hast du sie verpasst“, stöhne ich, buffe ihn in die Rippen und zeige zu Boden. „Das, das …“, stottert er irritiert und glotzt mich an, als wäre er eben dem Schöpfer begegnet.

„Hüte dich“, blaffe ich ihn harsch an und hebe meinen Zeigefinger, „du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“

„Revanche?“, fragt er kleinlaut und ich nicke.