Es geht voran

  • Was treibst du eigentlich die ganze Zeit?→ Wenn ich nicht grade in der Hüpfburg bin, dann schreibe ich kräftig an meinem ersten „echten“ Roman.
  • Wie soll er heißen?→ Nicht anders als „Quergefönt“.
  • Hast du schon einen Verlagsvertrag dafür?→ Hatte Jesus selber Nägel?
  • Wann wird er erscheinen?→ Im Frühjahr 2014. Bis zum Murmeltiertag (2. Februar) schreiben Murat und ich noch am Manuskript.
  • Worum geht es?→ Um Freundschaft und die große Liebe, Fußball und Bier.
  • Ist die Geschichte autobiografisch?→ So wahr ich Franco Bollo heiße!
  • Wer ist das denn schon wieder?→ Mein alter ego, mein neues Pseudonym und mein bester Freund.
  • Warum?→ Weil ich es so will und kann.
  • Echt?→ Vielleicht! Frag nicht so dumm!
  • Ja?→ Nein!

Waswenn

Was passiert, wenn ich eines Tages berühmt bin? Halten mir junge Frauen ihre Schlüpfer zum Unterschreiben vor die Nase? Werde ich auf der Straße von wildfremden Menschen erkannt? Muss ich meine Nummer aus dem Telefonbuch streichen lassen und meinen Namen am Briefkasten überkleben? Passt das ganze Geld, das ich dann verdiene, überhaupt noch auf mein Konto oder muss ich in die Schweiz umziehen und mir Immobilien und teure Sportwagen kaufen? Bin ich öfter als einmal pro Woche zu einer Talkshow im öffentlich- rechtlichen Fernsehen geladen oder bekomme ich sogar den Deutschen Buchpreis verliehen?
Und was, wenn das alles wirklich einmal passiert?
Lass mich Arzt, ich bin durch!

Vom Sofa zum Murmeltiertag

Die Leserbewertung des Wettbewerbes „Vom Sofa in die Bestsellerliste“  mit meinem Beitrag läuft noch.

Wenn ihr nicht wisst, wohin mit eurer Stimme, dann könnt ihr sie hier Gewinn bringend anlegen.

Hinter dem Bild verbirgt sich der Link zur Abstimmung!

Vom Sofa zum Murmeltiertag

Ohne Risiken und Nebenwirkungen, außer für das Zwerchfell. Aber nicht zu früh freuen, die Pointe kommt zum Schluss!

Siehstema

Hand in Hand mit dir in die Sonne blinzeln, deine Nähe festhalten in jedem Moment, verweilen und durchatmen. Im Wiegeschritt tanzen, umplumpsen und im Gras liegen. Der blaue Himmel lädt zum Träumen ein. Ich sehe ein Schaf und einen Elefanten, für dich ist es ein Murmeltier und eine Fee.
„Die einzige Fee hier bist du“, sage ich und puste die Wolke fort.
„Liebe ist ein Segelschiff“, flüsterst du.
Ich schließe die Augen, spüre den Wind auf meiner Haut und höre mein Herz schlagen. „Ich bin gerne am Meer mit dir“, denke ich und kuschele mich näher an dich.
„Der Papst hat rote Schuhe“, meinst du.
„Ja, wie Messi!“
Schön, dass es dich gibt.

Wenn ich jemand anders wär‘, dann wär‘ ich lieber ich

Manchmal quält mich meine Liste der verpassten Gelegenheiten, das Alphabet der verstorbenen Chancen, die ich nicht nutzte, als ich die Möglichkeit dazu hatte. Dann fällt es mir schwer, zufrieden zu sein. Die süßesten Früchte wachsen bekanntermaßen ganz oben, dort, wo ich nicht hinkomme, weil ich zu klein bin, zu dick oder zu doof.
Dann wäre ich gerne jemand anderes. Pinocchio zum Beispiel. Ich würde lügen, bis ich mit meiner langen Nase das Zuckerobst pflücken kann, ehrlich. Als James T. Kirk ließe ich mich hoch in die Krone beamen und würde Spock, dem alten Spitzohr, die Kerne auf den Kopf spucken, oh ja.
Oder ich machte mich als Barbapapa einfach selbst zur Leiter und kletterte hinauf, Ra-Ro-Rick Barbatrick.

Dann könnte ich mich manchmal auch in den verwandeln, der ich bin. Das wäre schön. Ich könnte all die Sachen machen, für die Pinocchio, James T. Kirk oder Barbapapa zu klein, zu dick oder zu doof sind.
Ich würde Eisblumen am Fenster züchten. Ich möchte am Murmeltiertag in einer knarrigen Pension in Punxsutawney aufwachen und „I got you Babe“ hören. Am Strand von Helgoland würde ich einen Haifischzahn finden.
Und einmal möchte ich für 5 Minuten berühmt sein.

Gesichtsyoga

Fortsetzung von Freu Dich nicht zu spät! (Kapitel 1), Abstelltraum (Kapitel 2), Strebergarten (Kapitel 3), Wortgeflecht (Kapitel 4), Kassensturz (Kapitel 5) und Gleicheitrige (Kapitel 6)

Noch am gleichen Abend stelle ich Murat meine neue Geschäftsidee vor und zeige ihm meine Notizen in der Chinakladde. Er ist sofort hellauf begeistert, meint aber, wir müssten diesmal „solider“ an die Sache herangehen. Großzügig lade ihn zu der Unternehmermesse ein, unter der Bedingung, dass er meinen Deckel bei Renzo bezahlt und den Laden auf Vordermann bringt. Schließlich hat er ja auch seine Kehrwoche nicht eingehalten. Er zieht eine Augenbraue hoch, schielt mich an wie Angela Merkel bei der Damenwahl, stimmt dann aber zu. Ein schlauer Kopf, mein Murat.
Am Samstag schließen wir das Geschäft schon mittags. An der Tankstelle kaufe ich noch ein Duftbäumchen und zwei Dosen Haake- Beck, während Murat volltankt und nach dem Öl schaut. Ich setze mich schon mal und suche im Radio die Vorberichtserstattung der Fußball- Bundesliga. Mit einer Packung Knistertabak und zwei Dosen Efes kommt Murat aus der Kassensauna zurück. Wir stoßen euphorisch auf unseren neuen Coup an und dieseln Richtung Autobahn los. Es ist stickig und die Fensterkurbeln drehen an beiden Türen einfach durch. Murat schwitzt hinterm Steuer, als sei Biblis A kurz vor der Endabschaltung doch noch geschmolzen. Ich biege den Ventilator ein Stück weiter zu mir. Den letzten Kilometer geht es nur noch Meterweise vorwärts, frustrierte Coffee to go- Becher säumen die Straße. Endlich rücken wir auf Platz Eins der Karawane der Parkwilligen vor, als Murat plötzlich seine Mokassins hart auf die Bremse haut. Der Wagen nickt tief vor einem Männchen in Warnweste und Sicherheitsschuhen ein, das Arm wedelnd vor unserem schnaubenden Kühlergrill steht. Ich pralle mit dem Kopf an die rotierende Windmaschine, die mir eine tiefe Blitznarbe in die Stirn schneidet und stoße einen unverzeihlichen Fluch aus. Grüne Lichtblitze sirren umher, prallen aber an der massiven Karosserie unseres Rapids ab. Der selbstständige Parkplatzeinweiser taumelt, tritt dann bleich an die Seitenscheibe und will schon einmal 5€ kassieren. Ich klopfe mein Testsieger- Shirt ab, zucke mit den Schultern und schaue Murat an. Er pflückt einen klammen Schein aus seiner Hosentasche, öffnet die Tür einen Spalt weit und reicht ihn hinaus. Ein kühler Windstoß schwappt herein. Das Parkticket könnten wir von der Steuer absetzen, ruft der Wegelagerer uns fröhlich zu. Ehe ich ihn mit dem Imperius- Fluch gefügig machen kann, gibt Murat auch schon wieder Gas und rauscht den Weg an den langen Messeblechhallen vorbei. Direkt vor dem Haupteingang quetscht er sich auf einen Frauenparkplatz zwischen zwei Twingos. Durch die großzügige Kofferraumtür stolzieren wir nach draußen. Die Sonne lacht uns zu, wir lachen uns an, umarmen uns und gehen unter bewunderten Blicken auf dem roten Teppich zum Portal. Auf einmal huscht Ayse an uns vorbei und verschwindet ebenso plötzlich im Getümmel. Mir stockt der Atem, zittrig nestele ich nach dem Einlassticket, reiche Murat seines und sprinte hinterher. Erst jetzt bemerke ich, dass ich auf falschen Wegen wandele und im Fluss der zeitgleichen Eventausstellung „Einfach Frau sein“ schwimme. Panisch versuche ich noch umzudrehen, doch ich werde vom immer dichter werdenden Strom mitgerissen in den Dschungel der pastell- farbenen Begehrlichkeiten von Schmuck, Parfüm, Dessous, Wellness und Fitness, Haartrends, Dekorieren, Urlaub, Essen und Trinken und Trennungsberatung. Die letzte Welle spuckt mich direkt in einen Pulk blondierter Perückenschafe und Beratungsopfer, die am Stand der Weight Watchers Flyer, Ernährungstipps und Punktetabellen studieren. Mitgeschleifte Ehemänner in Fußball- Trikots starren abseits an einem Bierstand auf einen winzigen Fernseher, auf dem das Livespiel um den Spitzenplatz grade angepfiffen wird. Ich erkenne Renzo und will ausscheren, kann aber keinen Halt finden und werde weiter ins Innere des Plüschtempels geschoben und auf einen mintblauen Stapelstuhl gedrückt. Die Vorsitzende des Anorexie- Verbandes „Rund war die Frau“, die einer Brausestange Konkurrenz machen könnte, hält einen Multimedia- Vortrag zum Thema „Ich esse meine Suppe nicht“ und projiziert ein verzerrtes, dünnes Kerlchen auf Wand und Decke. Diät-Assistentinnen mit der eingefrorenen Mimik eines Tauschbildes reichen grüne Tees und stille Wasser zu gedünstetem Rohkostschnitzel auf einem ungeschälten Wildreismantel. Ayse ist eh verschwunden, denke ich mir und mache ich mit den Händen ein tolles Schattenbild (ein Murmeltier!), bis ich mit Süßstoffwürfeln beworfen werde. Fluchend flüchte ich hinter einen Vorhang, als ein schriller Schrei das Gebet zerreißt und von den kalten Metallwänden jäh zurückgeworfen wird. Entsetzt drehe ich mich um und blicke in Ulla Popkens nackte Augen. Noch ehe ich sie zu ihrer Figur beglückwünschen kann, bekomme ich einen Seegraskorb um die Ohren geschlagen. Pröbchen, Rabattgutscheine, Traubenzucker, bedruckte Einkaufswagenchips, Feuerzeuge und Kugelschreiber purzeln wild umher. Es sieht aus wie in Wacken am dritten Tag des Open Air- Festivals. Der übergewichtige Modeirrtum jagt mich trampelnd aus dem Zelt. Erst am Ha-Ra- Stand kann ich sie abschütteln, indem ich mich durch ein Nest damenbärtiger doppelter X- Chromosomenträger in die erste Reihe drängele. Eine gefühlte Halbzeit später schleiche ich mit einem revolutionären neuen Putzsystem mehr und einem gefühlten Monatsverdienst weniger von dannen. Erschöpft lasse ich mich in einen Massage- Sessel fallen. Das schwarze Leder klebt schwer auf meinem durchschwitzten Shirt. Geschickt streife ich mit der Hacke meine Schuhe ab, werfe 5 Euro in den Automatenschlitz und massiere meinen geschundenen Kiefer. Ich schaue auf meine Uhr und will grade die Zwischenergebnisse auf meinem Handy abrufen, als mich vier stählerne Hände von hinten packen. Zwei stiernackige PEZ- Gesichter nicken mit offenen Mündern und schiefen Nasen zur Tür. Eine Traube geifernder Weiber umkreist mich schnell, klatscht in die Hände und skandiert synchron „Ausziehen!“ Ich denke an meine Popeye- Unterwäsche und lasse mich ohne Widerstand hinausbegleiten.
Draußen steht die Sonne schon tief, ein verführerischer Bratwurstduft liegt in der warmen Abendluft. Bargeldlos, barfuß und blinzelnd folge ich ihm über den Parkplatz, bis ich in der Ferne Murat erkenne, der quatschend mit Ayse auf der Ladekante von unserem Wagen sitzt. Ich schleiche mich geduckt an und versuche, mir mein Geld aus dem Handschuhfach zu angeln. Im Radio laufen die letzten Minuten des heutigen Spieltages, es geht in allen Stadien hin und her. Als die Bayern in der Nachspielzeit einen ungerechtfertigten Elfmeter geschenkt bekommen, schlage ich fluchend aufs Blech. Plötzlich tauchen neben mir irgendeine Drahtbürste von den Gewichtsguckern und die Hand geflochtene Picknicktasche aus der Umkleidekabine auf. Die beiden Tuppertanten steigen in ihren Twingo und brausen mit meiner Deckung davon. Im letzten Moment kann ich mich mit einem kühnen Sprung unter unseren Renault retten. Durch den Unterboden muss ich dumpf den Torjubel der sprachdefizitären Südstaatentruppe mit Migrationshintergrund hinnehmen und stoße mir fast den Kopf vor lauter Zorn. Dann stellt Murat, der Banause, noch vor dem Schlusspfiff auf einen türkischen Sender um und trällert verliebt mit Ayse Tarkan´s einzigen Hit. Jetzt stoße ich mir den Kopf. Auf ein Mal steht Murat wie ein Strauß da, schaut kopfüber durch seine Beine hindurch und sieht meine Füße unter der Stoßstange heraus ragen. Ich schäle mich unter dem Wagen hervor, „alles klar“, sage ich, wische mir die öligen Hände an der neuen Jeans ab, „der Zylinder ist wieder dicht! Wir können weiter! Pass aber diesmal besser auf!“ Murat schaut mich an wie ein Playmobil- Sultan und ein winziges Lächeln huscht über Ayse´s Gesicht.
Nächste Woche ist wieder Messe, diesmal „Mann sein“. Da gehe ich sicher hin, Gina Wild gibt Autogramme!

Doch vorher führt uns unser Weg noch hierhin

Immer wieder Murmeltiertag

Ich wache durchgeschlafen auf. Es ist sechs Uhr. Der Radiowecker spielt ein Lied von Herbert Grönemeyer, der nichts mehr sehen kann, der arme Sack. Ich kann ihn nicht mehr hören und schmeiße den Brüllwürfel ins winterliche Lipperland. Raus aus den Federn. Ich suche meinen zweiten Socken und stolpere über den Wäschekorb ins Bad. Es ist saukalt da draußen. Es ist jeden Tag saukalt. Und nicht nur da. Irgendein Schlumpf hat über Nacht das Fenster offen gelassen und jetzt toben dort die Eisheiligen. Das Thermometer zeigt minus 12 Grad. Der Blasenschmerz lässt mich alle Vorsicht vergessen und ich setze mich auf die tiefgefrorene Sanitärkeramik. Mein Schrei weckt die Kinder. Die Klopapierrolle ist alle und ich muss mit wehender Banane zur Vorratskammer hüpfen. Bei der Gelegenheit schalte ich schon mal die Kaffeemaschine an. Kalkgeschwächt röchelt sie wie Helmut Schmidt auf dem Sterbebett. Wo sind wir hier? In Miami Beach? Am Küchenfenster blühen Eisblumen, im Kühlschrank gluckert nur ein homöopathischer Rest Milch und die Marmelade ist schimmelig. Schnaubend schlage ich die Tür wieder zu, es klirrt und poltert darin. Ich setzte mich, blättere bei einer trockenen Scheibe Brot durch die aufgeweichte Zeitung. Das Telefon im Flur klingelt, ich springe auf und stoße mich an der offen stehenden Geschirrspülmaschine. Der Handwerker, der die kaputte Heizung reparieren will, sagt ab, er sei erkältet.

Die erste Tasse Muckefuck ist durchgelaufen, als ich zur Arbeit losfahren muss. Und später müsst ihr mit reichlich Verkehrsstörungen rechnen, naja, weil wir, weil wir so einen Schneesturm kriegen. Und ich stehe mitten drin. Ein brennender Tulpenlaster blockiert den einen Fahrstreifen und gefrierendes Löschwasser den zweiten. Gegen Mittag komme endlich ich an, in der Kantine ist das Zigeunerschnitzel mit Pommes ausverkauft, es gibt nur noch vegetarische Pilzpfanne.

Am Abend fährt der Rechner kurz vor Ende der Auktion eines Karmann Ghia überhitzt herunter und der DVD-Player spielt die selbstgebrannte Silberscheibe mit heruntergeladenen Blockbustern nicht ab. Auf dem Weg zu meiner Freundin rutsche ich mit dem Auto gegen eine Biotonne und die Liebes- SMS schicke ich in der Hektik an die falsche Nummer. Die verhärmte Klassenlehrerin meines Sohnes bestellt daraufhin das Aufgebot.

Aber die große Frage, die heute jeder auf den Lippen hat:

Wie war der Sex? Reden wir nicht drüber. Morgen schaue ich mir die Drombuschs mit der unvergessenen Witta Pohl an.

Denn heute ist: MURMELTIERTAG!!!

Jagdfieber

Der Winter war nass und trüb, einfach zum Mäuse Melken. Das dachte sich auch Flummi, die Katze, denn wo Mäuse gemolken werden, da kann man auch Mäuse fangen. Und so zog sie los in einer besonders schwarzen Nacht, jenen Ort zu suchen. Sie schlich über die Wiese und den Hof, sie pirschte durch das Gras und über den Kies. Sie jagte eine Nacktschnecke und sprang mit einer Grille um die Wette. Sie fragte das Murmeltier und schaute bei den Hühnern im Stall. Aber nirgends fand sie einen Käsedieb. Es ist zum Mäuse melken, dachte sie, ging ins Haus zurück, legte sich auf die Heizung vors Fenster und schaute hinaus in den dunklen Winter.

Holzklasse

Fortsetzung von Hautnah (Kapitel 1), Space Invaders (Kapitel 2), Verkorkt (Kapitel 3), Strafzimmer (Kapitel 4), Schnurlos (Kapitel 5) und Murmeltier und Sehnsucht (Kapitel 6)

Mit Carlottas Anschrift in der Tasche stand ich in aller Herrgotts Frühe und Mutterseelen alleine auf dem einzigen Gleis unseres kleinen verschlafenen Provinzbahnhofes. Zweimal in der Woche hielt hier quietschend ein völlig überfüllter Schienenschlitten, es war die einzige Verbindung ins drei Stunden entfernte Mailand. Ich blinzelte gegen die aufgehende Sonne. Aus der Ferne konnte ich den Tross schon seit 10 Minuten schnaufen hören, jetzt endlich bog er mühsam gegen die Erdrotation um die letzte langgezogene Kurve. Als er zum Stehen kam, geriet die Welt für einen Moment in eine instabile Lage. Sensoren in Castrop-Rauxel verzeichneten ein Beben von 2,6 auf der nach oben offenen Richter- Skala, ein Kartenhaus stürzte zusammen und Oma Elli plürrte in der Zechensiedlung mit der Steckrübensuppe auf das gestärkte, leinene Tischtuch. Träge tropfte die Brühe auf den Boden, zischend und dampfend erschlug sie dabei eine Mücke, die sich über eine herunter gefallene Scheibe Blutwurst hermachte. Dat Elli wischte sich die Hände in der Kittelschürze ab und fluchte, die verklebten Gesichter an den Scheiben tauten auf. Ich balancierte mit meinen Rucksack über morsche Bretter und fand im verkokten Waggon direkt hinter der Tenderlokomotive einen Platz. Im Gepäcknetz flatterten schon ein paar Hühner, und so stopfte ich mein Hab und Gut unter die Holzbank. Langsam wie eine Wanderdüne ruckte unser schwarzer Koloss wieder an. Nach gut 20 Minuten hatte der letzte Pritschenanhänger die Bahnhofsgleise verlassen, die Pest hat sich im Mittelalter schneller verbreitet. Die Landschaft wechselte sich ab wie ostwestfälisches Wetter: Mal humpelten wir vorbei an sanft aufgewühlten Hügeln. Da Vinci wäre aus Wellen förmigen Malbewegungen gar nicht mehr herausgekommen und hätte dabei gleichzeitig die kleine Nachtmusik dirigieren können, wenn es sie schon gegeben hätte. Dann wieder balancierten wir schmale Kletterpfade empor, schroffe und zugleich abenteuerliche Felswände beugten sich zu uns herab. Einmal preschten wir über eine selbst tragende Holzbrückenkonstruktion. Mutig wie ein Bungeespringer und unbeirrbar wie Lothar Matthäus, der immer glaubte, irgendwann einmal ein deutsches Traineramt übernehmen zu können, schoben wir uns auf das fragile Mikadogerüst. Es ächzte wie ein alter Truhendeckel und bog sich in der Mitte durch, aber es hielt. Leonardo schaute stolz aus dem Fenster. Über mir gackerte es erleichtert und Federn stoben hektisch durch die Luft, als schüttele Frau Holle die Betten auf. Und schließlich durchquerten wir den letzten Finstertunnel vor der weiten Ebene Norditaliens. Die bleichen Köpfe meiner Mitreisenden begannen wieder zu schnattern. Ich hörte ihnen nur mit einem Ohr zu, mit dem anderen lauschte ich Carlottas Stimme in meinem Kopf. Ihr Lachen hatte schon beim ersten Mal ein zartes Crescendo in mir ausgelöst, begleitet von André Rieu auf seiner Quietschfiedel. Ich schloss die Augen. Mein Kopf wippte im Takt, als mich eine sonore Bassstimme ansprach und nach meinem Biglietto verlangte. Subito verstummte die Stadivari, es war Mucksmäuschen still im Konzertsaal. Übermüdete und verschwitzte Statisten drehten sich zu mir um, als er die Aufforderung wiederholte. Ich schreckte hoch, schaute in das Antlitz des Dunklen Lord und kramte hektisch in den Untiefen meines Rucksackes nach meiner Fahrkarte. Wie ein Murmeltier grub ich mich tiefer und tiefer hinein, vorbei an Tramezzini in aufgeweichten Brottüten, Ciabatta mit Marmelade, hart gekochten Eiern und einer undichten Thermoskanne. Endlich pflückte ich erleichtert eine aufgeweichte grüne Pappe hervor und reichte sie ihm Axel zuckend. Er nickte stumm und ratschte eine dicke Ecke davon ab. Ich wollte sie eben wieder in die Tasche packen, als ich feststellte, dass er Carlottas halbe Anschrift, die ich mir auf der Karte notiert hatte, abgerissen hatte! Außer Via Dora und einer fragmentarischen Telefonnummer war nichts mehr zu lesen! Entgeistert schaute ich ihm hinterher, meine Augen scannten hektisch den ganzen Subraum um mich herum ab. Ich spulte die Szene zurück, die Stimmen klangen dabei wie der Singsang verliebter Buckelwale. Dann hatte ich den Moment gefunden, stoppte und spielte ihn wieder ab: Ich gab ihm das Ticket in die Hand, er riss davon einen Batzen ab und … ließ das Stückchen einfach fallen. „Grazie“, hörte ich mich sagen. Wie Herbstlaub sah ich es noch zu Boden tänzeln. Ich starrte auf das löchrige Holzpaneel unter meinen Füßen. Pechschwarz eilten alte Bahnschwellen darunter zurück. Endlich entdeckte ich das goldene Los, den Bundesschatzbrief, das letzte fehlende Sammelbild, die Schatzkarte, den Lottoschein mit dem höchsten Jackpot seit Jack Sparrow. Ich bückte mich und behutsam streckte ich meine Hand hervor, als Oma Elli eine saubere Tischdecke auflegte und ein kräftiger Zug durch den Zug wehte. Mein Leben rutschte durch einen finsteren Spalt und flatterte davon wie eine aufgescheuchte Möwe.

Hier geht es dann weiter.

Murmeltier und Sehnsucht

Fortsetzung von Hautnah (Kapitel 1), Space Invaders (Kapitel 2), Verkorkt (Kapitel 3), Strafzimmer (Kapitel 4) und Schnurlos (Kapitel 5)

Gut eine Woche nach der Einladung bei Don Pascale war ich wieder bei Sinnen. Ich hatte 5 kg abgenommen und davon die Hälfte in Bartbehaarung investiert. Jeder Yeti wäre froh gewesen, endlich einen Paarungspartner gefunden zu haben, meinem Spiegel wurde aber schwarz vor Augen. Ich nahm das verstaubte Rasiermesser vom Waschbeckenrand und schäumte meinen Kopf aus. Die Klinge musste sich mehrere Male knisternd und knackend wie ein Lagerfeuer durch unwegsames Gelände graben, ehe endlich so etwas wie ein Gesicht zum Vorschein kam. Zahlreiche Glutnester brannten rot auf meiner Haut. Rückwärts pfeifend ging ich zum alten Brunnen hinter dem Haus. Grillen und Zikaden verstummten, als ich den ächzenden Eimer hochzog. Das Wasser darin war kalt und klar wie ein Gletschersee. Ich schmiss mir zwei Hände davon auf das Lavafeld, das zischend erlosch. Mit meinem Saunagesicht ging ich in die Küche und setzte einen Espresso auf. Nach ein paar Minuten röchelte es gluckernd auf dem Herd. Ich nahm die Cafetière von der Flamme, goss mir den kochenden Schwarzsirup ein und setzte ich mich auf meine wilde Terrasse. Sie war unaufgeräumt, überall standen und lagen Fundstücke herum: Rinden, Steine, Blätter, Zapfen, Kastanien, aber für mich war es der Quell verwöhnter Momente. Hier saß ich gerne, hier bekam meine Seele Flügel und erhob sich hoch über meine alte Mühle. So weit sie blicken konnte, so sehr genoss sie jeden einzelnen Moment. Jeder Baum wurde zum Drehort, jede Wiese zum Theater, jeder Bach zum Hauptdarsteller und jeder Tag zum Happy End. Mit Ausnahme der letzten Woche, da lag meine Seele zerschunden und ausgekotzt in der Ecke. Jetzt kehrte langsam wieder Leben in die Totgesagte zurück. Ich wollte mir grade einen Glühfaden anzünden, als sie von weit oben Ermes, unseren Dorfbriefträger, mit seiner alten 72er Gilera Strada über die Serpentinen brausen sah und in mir eine stille Hoffnung weckte. Kurze Zeit später hörte ich ihn den Kiesweg hinaufdonnern. Ich hatte ihn längere Zeit nicht gesehen, eigentlich niemanden und ich fühlte mich der Sprache wieder mächtig genug. So tranken wir noch einen Cappuccino zusammen und plauderten ein wenig. Über dieses und jenes, über den Sommer und den Ausbruch der Pest in Afrika, über Don Pascale, seinen Großvater, und die Frauen im Allgemeinen. Und schließlich überreichte er mir schelmisch grinsend eine Postkarte und ich wusste sofort, dass er sie gelesen hatte. Noch bevor ich ihm eine Walnuss an den Kopf werfen konnte, sprang er spottend auf seine Postkutsche und trieb die Pferde an. Als er endlich verschwunden war, betrachtete ich die Karte: Ein Mann mit schwarzem Zylinder hielt ein blinzelndes Murmeltier ins Licht. Die Bank bebte, als ich mich setzte und mir das Herz, als ich las:

Caro amico, ich musste leider schon abreisen, ohne dich noch einmal wieder gesehen zu haben. Unseren Abend bei Don Pascale habe ich sehr genossen. Und dann warst du so plötzlich verschwunden, dass ich dich nicht einmal mehr nach deiner Telefonnummer fragen konnte! Ich habe gewartet, dass du zurück kommst. Ich habe gehofft, dass du es ernst meinst, dass Deine Empfindung für mich alles verschlingt. Ich habe geglaubt, du meinst mich, nicht die Trippa! Jetzt fühlt sich mein Herz so schwer an wie ein Stein. Mein Hunger, dich wieder in meine Arme zu schließen, brennt lichterloh in mir. Komm mich doch in Mailand besuchen. Mein Onkel weiß, wo. In Liebe, Carlotta.

Und plötzlich war mir klar, was alles durch den Magen geht.

Hier geht es weiter mit dieser Geschichte.

Ich tue, was ich machen kann

Manchmal weiß ich nicht, was ich noch machen soll. Ich tue schon mein bestes, aber das reicht bisweilen einfach nicht. Ach, wie soll ich das erklären?! Also, es gibt Arbeit und es gibt Freizeit. Beide unterscheiden sich in vielen Punkten von einander. Arbeit hält mich von meiner Freizeit ab. Arbeit ist ein ewig gleicher Trott, ein Murmeltiertag, eine Zeitschleife, in der nichts anderes passiert, als die vergangenen Jahre auch. Hochgerechnet schon tausendsechshundert Mal bin ich den selben verschissenen Weg zum Büro schon gefahren. Baustellen im frühen Planfeststellungsverfahren bremsen mich auf die Geschwindigkeit einer Wanderdüne herab. Seit der Mondlandung soll dieser Teil der Autobahn ausgebaut werden. Eine greise Fledermaus und zwei Grottenolme haben hier bisher erfolgreich verhindert, was in Stuttgart nicht gelingt. Auf der Einfädelspur zieht feixend ein Gurkenlaster an mir vorbei und drängelt sich vor mich. Ich schlage aufs Lenkrad, hupe gestikulierend und quetsche mich ohne zu blinken auf den verengten Fahrstreifen zwischen schwarze Limousinen mit LED- Tagfahrlicht und silbernen Buchstaben-Nummern-Koordinaten auf dem Heck. Im zähen Stop and Go geht es voran, Küblböck hat mir immer ein paar Meter voraus. Dann muss ich abfahren. Auf der Abbiegespur gebe ich Gas, versuche noch gleichzuziehen und dem Bazi den längsten Finger zu zeigen, als ich abrupt abbremsen muss, weil ein Bofrostlaster ausschert. Nur Idioten auf der Straße und bei der Arbeit geht es mit Idioten weiter. Lauter Verrückte, ohne Lust und Motivation. Dummheit hat mehr Doppelkonsonanten als sie IQ besitzen und Diät mehr Vokale als ihr BMI beträgt! Aber Schuld haben immer die anderen! Wie mir das Gejammer aus den Ohren heraus hängt!

In meiner Freizeit denke ich so etwas nicht. Da möchte ich den warmen Wind hauchen spüren, das Meer rauschen hören und die salzige Luft schmecken. Ich möchte in das Backfischbrötchen beißen und mir das T-Shirt mit Remoulade bekleckern. Da möchte ich in Weidenkörben nach Muscheln kramen, mir einen Kescher kaufen und schwarze Möwen vor der Sonne zählen. Ich ziehe mir die Schuhe aus und laufe barfuß am Strand entlang und springe über Wellen. Und erst, wenn die Nacht von unten durch den Horizont bricht, falle ich mit Sand in den Haaren und schmutzigen Füßen ins Bett.

Potpourri

Das wollte ich schon länger mal machen: Eine Geschichte schreiben, in der alle meine Schlagwörter („Tag-Links“, siehe am rechten Rand) mindestens einmal vorkommen. Ich probiere es mal alphabetisch!

Es ist Heiligabend. Soeben öffne ich das letzte Törchen vom Adventskalender. Was ist das denn? Ich traue meinen Augen nicht: Ein kleines Schokoladenauto. Und wer steigt grade aus? Der Bofrostmann! Wo will der denn so spät hin? Will der etwa noch Tiefkühl- Brötchen ausliefern? Wo denn? Hier in dieser unwirtlichen Gegend, mitten am Deich? Hier gehen die Eier zu Ende, die Frauen spielen Fußball und Haare wachsen am Horizont! Was in aller Welt hat der hier verloren? Leise schleiche ich ihm nach. Das gespenstische Licht des Mondes verzerrt die Schatten der Hühner im Garten von Kapitän Ahab zu einer Karawane Fleisch fressender Saurier. Plötzlich bleibt der Bofrostmann stehen und blickt sich misstrauisch um. Ich zucke zusammen. Hat er mich gesehen? Dämonisch sieht er aus, als würde er Kinder fressen. Ich fürchte um mein Leben, als er einige Schritte auf mein Versteck zugeht. Sein eisiger Atem stirbt in der klirrenden Kälte, kaum dass er sein Maul verlässt. „Ich bin ein Mann“ , denke ich, „zum Sterben ist jetzt keine Zeit!“ und laufe weg. Meine Schritte hallen in der Dunkelheit wie die Schläge des Belzebubs zum Altweiberfasching auf dem glühenden Amboss. Atemlos renne ich zum Meer. „Heiliges Murmeltier, steh mir bei“, schreie ich. Der graue Riese schmeißt unbarmherzig seine kalten Arme nach mir und spült Muscheln um meine Füße. Unsichtbare Möwen schreien durch die Nacht. Meine Nase saugt den salzigen Odem des Todes ein, in den Ohren knistert es nach zertretenem Playmobil. Das Radio in meinem Kopf spielt Julis „Woanders zu Hause“. Dann ist plötzlich Ruhe. Kognitiver Stromausfall. Unendliche Stille. Das Meer schweigt, als habe Neptun Mittagsschlaf verordnet und drohe jedem, der dieses Gesetz missachtet, mit einer Einzelstunde Eurythmie. Mit meinen Zehen presse ich den Sand in meinen Schuhen immer wieder zusammen, bis sich ein kleiner Damm darin bildet. Die Welt um mich herum ist stumm, wie in der Schule beim Englisch- Unterricht, mucksmäuschen still. Selbst die Segel eines trüben, vorüberziehenden Seelenverkäufers halten sich an das unausgesprochene Redeverbot. Ich fröstle.
Mit lautem Getöse poltert die Brandung Ruptus artig wieder los, glitschig wie Seife prescht sie mir ihre klamme Gischt ins Antlitz. Ich muss spucken und kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, brennt die Sonne, obwohl es eben noch stockfinster war. Bis zu den Knien eingegraben stehe ich am Strand, es ist heller Tag. Hinter mir entdecke ich eine schimmernde Tür. Das Wasser frisst gierig ihren Rahmen und drückt an die Buhnen.

Das Leben ist wie die Flut an Weihnachten“ , denke ich, „was die Welle nicht reißt, das reißt der Wichtel!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal um und blicke ein letztes Mal zum Ende der Welt. Der Wind bläst mir ins Gesicht, das hält die Windschutzscheibe nicht.

Beamtenklo

Ich habe Vorurteile. Viele. Ich pflege sie sogar und suche immer wieder ihre Bestätigung. Mir ist es egal, dass ich dabei pauschalisiere und sicher den einen oder anderen redlichen Randgruppenbetreuer verunglimpfe. Das macht mir nichts. Ich bin Provokateur. So schimpfe ich liebend gerne über Schiedsrichter, Lehrer, Frauen oder Friseure. Nichts von dem, was ich schreibe, ist wirklich nur erdacht. Vieles entspricht auch der Wahrheit, oder es hätte so geschehen können. Also ist es so gut wie wahr, wenn es denn geschehen wäre. Vielleicht hat sich das Theodor voll und immer zu auch gedacht, nur im umgekehrten Sinne: Wenn ich nicht schreibe, dass ich abschreibe, dann ist es doch alles meins, oder?

Es begab sich aber zu der Zeit im Jahre 01974, dass eine gewisse V. Leandros  mit einem Lied die Hitparaden stürmte. Der Text kam mir schon damals seltsam bekannt vor, weil mich meine Mutter schon Jahre zuvor sonntags um 15.30 Uhr so zu wecken pflegte:

Steh auf Du faules Murmeltier
Bevor ich die Geduld verlier

So entstand auch der Begriff „Murmeltiertag“, der seitdem bis heute jedes Jahr am 2. Februar in Amerika als Kulturereignis („Groundhog Day“) gefeiert wird.

Sie hat mir diese Zeilen sogar einmal auf ein Zettelchen geschrieben, als ich mit meiner Schwester mit dem Zug zur Kinderkur nach Wangerooge fuhr. Auf der Rückseite spielten wir Stadt – Land – Fluss. Es stand unentschieden und in der letzten Runde zählte ich leise bis „L“, als sie „Stop“ sagte. Ich weiß es noch wie heute, es ist wie das erste Mal, das vergisst man auch nicht. Wir hatten um einen ganzen Leckerschmecker gewettet und mit „Lodz“ holte ich den alles entscheidenden Punkt. Unter ihren Tränen und Gebrüll aß ich alles auf einmal und übergab mich in einer winzigen schaukelnden Toilette. Die Fliegen suchten das Weite. Beim Spülen fiel mir mein Zettel durch das dunkle Loch auf die darunter hinweg eilenden Schienen.

Und da stellen sich mir jetzt ein paar heikle Fragen:

1. Was wäre, wenn nicht Vicky diesen Zettel damals dort gefunden hätte, sondern Theodor?

2. Was hätte Vicky besungen, wenn nicht ich, sondern meine Schwester den letzten Punkt ergattert hätte und sie zu einem anderen Ergebnis als ich („Lodz“) dabei gekommen wäre? Leopoldshöhe? Oder wenn ich nicht bei „L“, sondern bei „M“ aufgehört hätte zu zählen? Milse?

3. Und letztendlich: Wo hat Theodor seine Doktorarbeit gefunden? Auf dem Beamtenklo?

Ah, ich vergaß, die Quellenangabe für den Titel zu meinem Artikel zu nennen:

G. Oogle

Schmutzige Wäsche

Ich habe schon seit Tagen so ein komisches Gefühl. Die Kollegen verstummen, sobald ich das Dienstzimmer betrete. Manchmal schrecken sie auch zusammen, wenn sie mich nicht gesehen oder gehört haben. Plötzlich stehe ich dann in der Tür. Schlagartig wechseln sie das Thema, reden über Fußball oder andere Belanglosigkeiten. Dabei hat sich früher nie einer dafür interessiert. Da galt ich immer als Außenseiter. Jetzt auf einmal versuchen sie, mich zu integrieren. Ob ich denn auch das Spiel gegen Italien geschaut hätte. Nein, habe ich nicht. Es stand aber auch so in allen Gazetten, das es ein müdes Gekicke war, das an Arminia Bielefeld erinnert, als der Abstieg in die dritte Liga mit dem 0:1 beim Tabellenvorletzten endgültig besiegelt war. Und das schon am 21. Spieltag.
Aber das ist eine andere Geschichte. Irgendwas führen die im Schilde. Ich weiß nur noch nicht, was! Aber das werde ich auch noch heraus bekommen.
Vor ein paar Tagen zum Beispiel, als ich am Büro vom Chef vorbeigekommen bin, habe ich ganz deutlich meinen Namen gehört: Murmeltiertag und es sei jetzt wieder so weit. Nur scheiße, dass die alten Holzbohlen so knarren. Zum einen machten sie mir unmöglich, noch mehr mit zu bekommen, zum anderen schweigen sie verdächtig, wenn jemand vor der Tür steht und lauscht. Also versuchte ich mit einem Wiegeschritt, einen gleichmäßigen Gang zu imitieren. Ich hielt die Luft an wie ein Igel im Winterschlaf und war so angestrengt vertieft (Es ginge alles nicht mehr, vor einem Jahr sei es auch schon so gewesen, wenn sich jetzt nicht bald etwas ändere, dann …), als meine Sauerstoffsättigung auf unter 50 % sank und ich zu Boden. Meine Kaffeetasse polterte mir aus der Hand, dabei goss ich mir den heißen Muckefuck über die Hose. Die Tür wurde aufgerissen, es polterte noch einmal und jemand hielt mir eine grelle LED-Taschenlampe in die Augen. Die blieben starr wie der Vollmond zur Sommersonnenwende. Ein Geschrei wie auf der Kirmes, wenn die nächste Rückwärtsfahrt angekündigt wird, donnerte meine Synapsen entlang, verdichtete sich am Mittelohr, drängte über die Eustachische Röhre in den Rachenraum und von da schwallartig und bitter nach draußen. Schon früher wurde mir auf der Kinderschaukel immer übel. Die Dielen knatschten auf einmal in alle Richtungen. Jemand lief zum Dienstzimmer und holte den orangefarbenen Notfallkoffer. Andere Schritte rannten zum Telefon in meinem Büro. Laufpublikum bildete eine Traube beträchtlichen Ausmaßes, mit der jeder Winzer in das Guinnessbuch der Rekorde gekommen wäre. Ich bekam eine Taucherbrille auf das Gesicht gepresst, grobe haarige Hände rissen mein Deutschlandtrikot entzwei und stauchten meinen Brustkorb auf Schokoladentafeldicke zusammen. Ich japste wie Asthmatiker beim Analverkehr. Auf einer grauen Lazaretttrage, auf der schon der tote Freud hätte liegen können, wurde ich in den kargen Sanitätsraum am Ende des Flures getragen. Dann wurde es dunkel um mich.
Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem weichen Bett. Überwachungsmonitore flimmerten bunt und piepsten, als hätte jemand den Highscore bei Space Invaders geknackt. Eine Schwester stellte die Geräte aus und führte meine Kollegen ins Zimmer, „aber nur drei Minuten, er ist noch sehr schwach!“ „Sind wir abgestiegen?“, fragte ich. „Nein, noch nicht!“

Ich sag`s ja: Das Leben ist eine Waschküche, es gibt immer was zu tun!

Einfach zu haben

Haha, falsch gedacht! So einfach ist das nicht. Es ist manchmal viel komplizierter, als es aussieht. Zum Beispiel steckt im Mond eine kleine Lampe, die nur nachts angeht, manchmal aber auch durchbrennt. Bei der Sonne ist es fast genau anders herum, aber nur fast. Es ist schwer, das zu verstehen. Es ist leichter, das zu akzeptieren. Ich vermute mal, der Glühfaden in der Sonne ist einfach viel dicker und weniger Belastungsspitzen ausgesetzt, wie sie durchs An- und Ausschalten entstehen. Sie leuchtet ja bekanntermaßen immer, wenn nicht hier, dann genau auf der anderen Seite der Welt. Wenn man genau durch die Mitte der Erde ein langes Loch bohren könnte, könnte man sie jetzt scheinen sehen, obwohl es grade Nacht bist. Ist das nicht fantastisch? Noch einfacher wäre es, wenn die Erde transparent wäre. Die Solaranlagen auf den Dächern in meiner Reihenhaussiedlung könnten Tag und Nacht Strom und heißes Wasser produzieren und sogar noch etwas davon in die öffentlichen Versorgungsnetze speisen. Von der Vergütung dafür könnte ich mir dann Verdunkelungsrollos kaufen und mein Haus klimatisieren lassen. Ich ginge morgens im Hellen zur Arbeit und käme am Abend im Hellen zurück. Die Murmeltiere müssten Sonnenbrillen tragen, das käme der lähmenden Konjunktur zu Gute und die Grünen würden stärkste Partei in Bayern. Ich würde am Strand auch unter den Füßen braun und es gäbe bald Schuhe mit UV- Schutz. Wenn die Sonne hinter dem Horizont abtaucht, fächert sie ihr Licht wie durch ein Prisma gebrochen auf und so lange, bis sie auf der anderen Seite wieder aufgeht, überspannt ein Regenbogen den Okzident bis zum Orient. Weihnachten könnten wir die Geschenke draußen im Garten bei angenehmen 20 Grad verstecken. Das, was wir nicht wieder finden, kann bis Ostern liegen bleiben. Wir würden wieder Palmen statt Koniferen mit Christbaumkugeln und Lichterketten schmücken, ein bethlehemsches Gefühl. Darunter streuten wir künstlichen Schnee. Hühner legten nur noch braune Eier, die haben weniger Cholesterin. Zugvögel könnten sich die lange und beschwerliche Reise sparen und teilten sich fortan mit den Möwen die Sandbänke. Hase und Igel könnten schon vor dem Frühstück um die Wette laufen und der Fuchs bräuchte nicht mehr „Gute Nacht“ zu sagen. Väter oder Mütter bräuchten ihren Kindern keine Geschichte mehr zum Abend vorlesen. Der Sandmann könnte sich getrost noch einmal umdrehen. Frauen wären doppelt so oft fruchtbar und Männer hätten doppelt so oft Sex. Sie dürften schon vor 20 Uhr auf dem Sofa sitzen und „Hallo Robby“ gucken. Ein Ende der vielen Vorteile ist gar nicht abzusehen. Das ist doch ganz einfach zu haben!

Lodda du Ludda

Nach einem vergangenen Jahr voller glücklicher Momente (Lothar Matthäus wird doch nicht Trainer bei Arminia Bielefeld)

und Katastrophen (aktuell: 18. Tabellenplatz in der 2. Liga),

gepaart mit Zweifeln (wäre Lodda doch der Richtige gewesen?!)

wird das nächste Jahr sicher (in sportlicher Hinsicht) ein Sommermärchen!

FROHE WEIHNACHTEN UND EINEN GUTEN RUTSCH!
euer murmeltiertag

Rund um die Frau

Das habe ich so in einer kleinen ostwestfälischen Stadt gelesen. Da, wo ich nicht tot überm Zaun hängen möchte. Aber das ist hier jetzt nicht von Belang. Die Messe könnte unter diesem Titel überall in Deutschland stattfinden.
Auf ausgetretenen Pfaden strömt die Zielgruppe hinein in den Dschungel der pastell- farbenen Begehrlichkeiten von Schmuck, Parfüm, Dessous, Wellness und Fitness, Haartrends, Dekorieren, Urlaub, Essen und Trinken und Trennungsberatung. Ihre andersgeschlechtlichen Tragehilfen trotten mürrisch hinterher, es ist Samstag, Bundesligazeit.
Direkt am Eingang präsentiert der Ortsverein von den Weight Watchers unter dem Slogan „Rund war die Frau“ Ernährungstipps und Punktetabellen. Diät-Assistentinnen reichen ungesüßten Tee und stilles Wasser zu gedünstetem Rohkostschnitzel auf einem ungeschälten Wildreismantel. Im Inneren der Halle hält die Vorsitzende des Anorexie- Verbandes, die einer Brausestange Konkurrenz machen könnte, einen Multimedia- Vortrag zum Thema „Ich esse meine Suppe nicht“ und projiziert ein verzerrtes, dünnes Kerlchen auf Wand und Decke. Ich mache mit beiden Händen ein tolles Schattenbild (ein Murmeltier!) und werde prompt mit Süßstoffwürfeln beworfen. Fluchend flüchte ich hinter einen Vorhang, als ein schriller Schrei das Gemurmel zerreißt, der von den kalten Metallwänden zurückgeworfen wird. Entsetzt drehe ich mich um und bekomme im gleichen Augenblick einen Seegraskorb um die Ohren geschlagen. Pröbchen, Rabattgutscheine, Traubenzucker, bedruckte Einkaufswagenchips, Feuerzeuge und Kugelschreiber purzeln wild umher. Erst am Hara- Stand kann ich meine Verfolgerinnen abschütteln, indem ich mich durch den Pulk interessierter doppelter X- Chromosomenträger in die erste Reihe drängele. Mit einem revolutionären neuen Putzsystem mehr und einem gefühlten Monatsverdienst weniger schleiche ich von dannen und lasse mich erschöpft in einem Massage- Sessel nieder. Das schwarze Leder klebt schwer auf meinem durchschwitzten Trikot. Ich schaue auf die Uhr, Halbzeit. Ich werfe 5 Euro in den Automatenschlitz und will grade die Zwischenergebnisse auf meinem Handy abrufen, als mich vier stählerne Hände von hinten packen. Ich blicke in zwei stiernackige PEZ- Gesichter, die mit offenen Mündern und schiefen Nasen zur Tür nicken. Ohne Widerstand schnappe ich mir meinen Eimer und vor der Türe ein wenig frische Luft. Die Sonne sticht mir in den Augen. Die Sportschau um 18 Uhr verpasse ich, weil ich erst die Schlüssel und dann das Auto nicht finde.
Nächste Woche ist wieder Messe, diesmal „Rund um den Mann“. Da gehe ich sicher hin, Gina Wild gibt Autogramme!

Freu dich nicht zu spät!

Unerwartet blickt Murat in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.
Er bleibt wie angewurzelt stehen und starrt sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält seinem Kuckucksblick unerschrocken stand. „Wer ist das?“, flüstert er mir zu. Ich will grade antworten, als mein Handy klingelt. „Ja?“, nuschele ich hinter vorgehaltener Hand. Eine Stimme krächzt mir ins Ohr wie die letzten Worte eines verschütteten Bergmannes: „Warmmacha kaputt!“ „Wir kommen“, sage ich und klappe das Handy wieder zu. „Murat, dein Bruder hat angerufen. Ich glaube, die Heizung ist kaputt. Nimm die Eimer und los! Wir müssen zurück!“ Murat nölt, immer müsse er die schweren Malereimer schleppen. Ich fasse mir instinktiv ins Kreuz, halte ihm aber die Tür auf.

Wir müssen etwa 10 Minuten laufen bis zu unserem Rapid. Er steht mit dem rechten Hinterrad auf dem Bürgersteig in einer viel zu engen Lücke. Während Murat durch die Beifahrertür die Eimer nach hinten hievt, begutachte ich den Möwenschiss auf der Windschutzscheibe, lese mir das Knöllchen durch und klemme es beim Vordermann unter den Wischer. Das Auto ist unser ganzer Stolz. Murat nennt es gerne „Lebensabschnittsgefährt“.  Ich glaube, das hat er irgendwo aufgeschnappt. Wir haben es erst vor einer Woche bei einem Schwager des Arbeitskollegen seines Bruders gegen meine alte Taucheruhr getauscht. Seine Pizzeria lief nicht mehr gut, die Uhr auch nicht und so war es ein lohnendes Geschäft. Jetzt prangen unsere Namen in dicken Lettern auf beiden Seiten, darunter „Haushaltswarensonderposten“ und die Anschrift. Ich musste Tage lang mit Murat diskutieren, damit er alle Buchstaben von „Renzo’s Pizzeria“ vom Wagen abknibbelt. Er wollte RENZO stehen lassen und HaushaltswaRENZOnderposten davonmachen. Auf der Heckklappe grinst aber immer noch der dicke Schwager mit einem Pizzaschieber in der Hand. Der muss auch noch ab!
„Diese Frau“, beginnt Murat noch einmal, „kennst du sie?“
„Oh ja, schon viele Jahre!“
„Ich muss sie wieder sehen! Sie ist so wunderschön!“
„Murat, das war doch nur ….“, weiter komme ich nicht, denn Murat dreht das Radio auf und singt lauthals mit. Für mich klingt es wie das Vorspiel paarungsbereiter Murmeltiere.

Murat findet wieder keinen Parkplatz vor unserem Geschäft. Ich steige schon mal aus und unterhalte mich mit seinem Bruder, ob „Haushaltswarensonderposten“ nicht vielleicht doch ein zu langes Wort ist. Wir könnten es auch einfach „Renzo’s Lädchen“ nennen?! Er nickt und zeigt mir die angeschmorte Zuleitung vom Wasserkocher. Endlich kommt Murat mit den beiden Eimern angeeiert. Er stellt sie ab und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. „Murat, wir sind spät dran“, sage ich und gucke demonstrativ auf mein linkes Handgelenk, wo mich ein Stückchen helle Haut begrüßt, „wo bleibst du? Fang doch schon mal an, die Wände zu streichen. Ich muss noch ein neues Kabel besorgen und dann lade ich die anderen Kaufleute zu unserer Eröffnung nächste Woche ein!“

Mein erster Weg führt mich direkt zum Kabelbaron. Ich wühle mich durch Klappkisten voller Kabel, Schalter, Stecker und Sicherungen. Ich finde einen gut erhaltenen Raclettegrill, nehme noch ein Sortiment Knopfzellen, eine Stange günstige Zigaretten und für Murat eine breite Farbrolle mit. In den Regalen verstecke ich ein paar kopierte NEUERÖFFNUNG!- Zettel. Ich habe Glück, bekomme einen Tee und 10 % Rabatt auf meinen gesamten Einkauf und zahle 50 Cent extra für die Plastiktüte. Diese Marketingstrategie beschließe ich, mir zu merken.

Mit dem Einkauf unter dem Arm schlendere ich weiter. Ich komme an einem Haushaltswarenfachgeschäft vorbei. „Oh“, denke ich, „da muss ich doch mal gucken.“ Das Schaufenster ist hübsch dekoriert mit Hutschenreuther- Figürchen, die in der Preisklasse unseres Rapids liegen. Schmuckes Geschirr von Rosenthal und Dibbern verspricht, jeden Abendbrottisch zum perfekten Dinner zu machen. Mir fällt ein, dass bei meinem Raclettegrill noch etwas fehlt. Ich ziehe die Tür auf, ein Klingeling signalisiert mein Eintreten. Ein ergrauter Chefverkäufer tritt aus einem Nebenraum durch einen schweren Brokat- Vorhang auf mich zu, „womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?“
„Ja“, sage ich, „ich suche Holzspatel, damit ich mir die Raclette- Pfännchen hier nicht mit der Metallgabel verkratze“ und halte den verschlissenen Karton hoch, „haben Sie so etwas?“
Das Korkgesicht wird puterrot. Er hat wohl an diesem Tag noch keinen erfreulichen und einträglichen Verkaufsabschluss verzeichnet oder ich störe ihn grade hinter seinem Vorhang bei einer Bio- Orange zum Abendbrot. Seine Schwiegermutter ist ein Drachen und die eigentliche Herrin im Geschäft. Seine Frau hat einen deutlich jüngeren Liebhaber, den sie aushält und die Kinder heißen Kevin und Chantalle, was alleine schon ausreicht für ihre psychiatrische Einweisung. Die Putzfrau hat sich krankgemeldet, beim SLK rutscht die Kupplung und der TÜV ist abgelaufen. Sein Handicap hat sich verschlechtert, die Aktienkurse fallen und die Moral verkommt.
„Wo haben Sie den denn gekauft?!“, blufft er mich an.
„Och“, sage ich, „ich mache mit meinem Knastkumpel Murat drüben einen Haushaltswarensonderpostenladen auf.“ Ich zeige in die Richtung. „Die Spatel fehlen uns noch im Sortiment.“  Ich nicke ihm höflich zu, drehe mich in der Tür noch einmal um, „auf gute Geschäftsbeziehungen!“
Klingeling!

Als ich zurück komme, deckt Murat grade den Fußboden mit Zeitungspapier ab. Auf der Fensterbank steht ein durchweichter Pizzakarton. Eine Melange aus Lösungsmitteln, Knoblauch und Bier steigt mir in die Nase. Ich entdecke eine Werbebeilage vom Baumarkt ohne Tiernahrung und Pflanzen und nehme sie hoch. „Guck mal“, sage ich zu ihm, „hier gibt es Farbe, die nicht riecht, nicht kleckert und schnell trocknet! Was hältst du davon?“ Ich lehne mich an den Türrahmen, ehe er antworten kann. Er rollt mit den Augen. Meine schwarze Lederjacke pappt am Rahmen wie eine Fliege am Klebestreifen. Mit einem Ruck und einem Geräusch wie Leukoplast am haarigen Unterarm reiße ich mich los.
Motzend gehe ich in den Nebenraum und mache ich mich daran, das versengte Kabel vom Wasserkocher auszutauschen. Die Zigaretten schmecken nach getragenen Schuhen. Ich überlege, sie später Murat anzudrehen, dem ich noch Geld schulde.
„Weißt du, wen ich getroffen habe?“, rufe ich ihm durch den Vorhang zu. Murat klettert von der Leiter und steht mit der alten Pernod- Kappe, dem blauen Overall und seinem Dalmatiner- Gesicht in der Tür. „Renzo?“
„Nein, du weißt schon! Die Frau!“
Murat wird ganz hektisch, geht zum Waschbecken und schrubbt sich die Farbe aus dem Gesicht.
„So willst du ja wohl nicht los“, sage ich und zeige auf seine Kappe, „außerdem: Meinst du nicht, sie ist ein bisschen zu alt für dich?“
„Nun erzähl schon!“
Ich biete ihm eine Zigarette an, er stochert aufgeregt mit seinen Farbfingern in der Schachtel umher. „Also“, beginne ich, „du weißt doch noch, wo …“
„PFUMP!“, macht es, als ich den Stecker in die Dose drücke und alles ist dunkel.
„Oh“, mache ich, „Warmmacha kaputt!“

Am nächsten Tag will ich Sicherungen und einen Wasserkocher kaufen. Murat besteht darauf mitzukommen, vielleicht träfen wir sie ja?! Ich überlege, ob wir noch mal in dieses nette Geschäft gehen, entscheide mich dann aber für Bijou Praktiker. Da können wir dann auch die andere Farbe kaufen, die Türrahmen müssen dringend gestrichen werden.
Im Eingang laufen wir Renzo in die Arme. Er hat da einen kleinen Stand mit mediterranen Spezialitäten. Heute gibt es bei ihm auf Alles 20 %, verkündet er stolz. Sein neues Geschäft liefe gut, die Leute seien verrückt nach seinem eingelegten Gemüse. Murat probiert neugierig eine Piri- Piri- Salsa. Hummerrot hustet er sich in die Faust. „Hast du dich erkältet?“, frage ich. Murat nickt mit dem Kopf. Renzo wiegt ihm darauf hin eine große Portion in einem klaren Becher ab, tippt eine zweistellige Zahl ein, wickelt alles in schweinefarbenes Papier und packt es in eine Tüte. Er nimmt sein Handy von der Waage und stellt die Salsa auf die Glastheke. „Und ein Fladenbrot umsonst, weil ihr es seid! Das macht dann genau zwanzig Euro“, sagt er. Murat stutzt. „Minus zwanzig Prozent, sind, äh, achtzehn“, schiebt Renzo schnell hinterher. Murat nestelt einen großen Schein aus der Hosentasche und überreicht ihn Renzo. Er flüstert mir zu: „So ein alter Gauner, der wollte mich glatt bescheißen!“ Ich gehe schon mal  zu den Sonderposten, während Murat auf sein Wechselgeld wartet und schaue mir einen Laubbläser an. Der hat ein schönes Grün und 3000 Watt. „Boah“, denke ich, „ganz schön laut!“
Murat taucht wieder auf. Wir beschließen uns zu trennen. Er fährt mit dem Karren ins Untergeschoss zu den Farben, ich schlendere mit zwei weißen Plastiktüten durch die Werkzeugabteilung. Bei den Spannungsprüfern mache ich Halt. Ich will einen Verkäufer fragen, ob der auch für Niederspannung geht, aber zwischen den Hochregalen spricht nur der Preis. Ich nehme ihn trotzdem, er ist reduziert. Beim Autozubehör treffen wir uns wieder. Kritisch begutachte ich seinen Wagen mit Farbe, einem Edelstahl- Wasserkocher, einem Knopfzellensortiment und einer breiten Farbrolle.
„Was willst du denn mit den Batterien?“, frage ich ihn.
„Oh“, meint Murat, „Renzo hatte kein Wechselgeld. Da hat er mir noch günstig diese Taucheruhr verkauft“ und hält sie mir triumphierend unter die Nase. „Ich glaube, da ist nur die Batterie alle!“
Die Kasse ist wieder die Hölle. Die Aushilfskassiererin kann Styropor nicht von Porenbeton unterscheiden und tippt beim Spannungsprüfer doch den Original-Preis ein. Bis endlich die Kassenaufsicht kommt, ist Arminia Bielefeld einmal auf- und einmal abgestiegen. Am Imbiss draußen kaufen wir zwei halbe Hähne und rauchen getragene Schuhe.

Noch drei Tage bis zur Eröffnung. Murat ist echt fleißig. Er ackert und schuftet von früh bis spät, tapeziert, streicht und lackiert die Türen. Ich lade die anderen Ladenbesitzer ein, auch die Bio- Orange von gegenüber, und verteile Zettel an die Passanten. Beim Kabelbaron finde ich tatsächlich Holzspatel. Ich tausche die verschmorte Zuleitung um und bekomme noch einen putzigen Krümelsauger in Form eines kleinen Marienkäfers zur Entschädigung. Die Taucheruhr schwatze ich Murat gegen die Zigaretten wieder ab. Ich schraube den Boden auf und will die alte Batterie mit dem Spannungsprüfer testen, weiß aber nicht, wie das geht. Zum Glück hat Murat ja noch neue. Er braucht die ja nicht mehr. Um Mitternacht ist er endlich fertig mit den Fußleisten, die Uhr piept. Klasse! Ich schnorre mir noch eine von seinen Zigaretten und schicke ihn nach Hause. Erschöpft ziehe ich das Buschfeuer in meine Lungen. Ich sitze da und probiere den Marienkäfer aus. Er schafft sogar ganze Maiskörner. An einer Olive verschluckt er sich röchelnd. Ich muss ihn wohl zurückbringen. Mir fällt ein, dass ich Murat noch versprochen habe, sauber zu machen, weil morgen unsere erste Lieferung ankommen soll. Ich hole den Laubbläser aus dem Auto und fange an.

Zufrieden über mein gestriges Tagewerk lade ich Murat am nächsten Morgen auf einen Kaffee beim SB- Bäcker ein.
Und da passiert es:
Unerwartet blicke ich in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.
Irritiert schaue ich mich um. Doch da ist niemand außer mir und Murat und der stöbert in einer Ecke in Heimwerker- Zeitschriften. Dieses Lächeln gilt also mir?! Umso schlimmer! Was mache ich denn jetzt? Wie sehe ich überhaupt aus? Seit Tagen nicht rasiert, die Haare zottelig wie ein Fraggle. Und jetzt so was! Ausgerechnet! Es gibt sieben andere Tage in der Woche, da fühle ich mich attraktiver!
Ich bleibe wie angewurzelt stehen und starre sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält meinem Kuckucksblick unerschrocken stand.
PFUMP! Es knistert und knallt in meinem Kopf. Gefühle explodieren in bunten Farben.
PFUMP! Du wirbelst Erinnerungen auf. Für einen Moment dachte ich, ich kenne Deine Stimme oder bin dir als Ameise schon mal begegnet.
PFUMP! Deine Augen blicken direkt in mein Epizentrum der Begierde und der Neugier.
PFUMP! Ich bin Feuer und Flamme, gründe in Gedanken eine Familie, habe den besten Sex meines Lebens.
Ich höre nicht, wie hinter mir die automatische Tür aufgeht, alle Geräusche verschwinden hinter einem vergessenen Geruch von Nähe. Plötzlich stößt mich der grauhaarige Holzspatel mit der Kraft der zwei Herzen von hinten an, „junger Mann, das ist hier kein Stehimbiss! Wollen Sie jetzt bestellen?“
Ich schrecke hoch. Murat steht auf einmal neben mir, legt mit einem kühlen Lächeln eine Ausgabe von „Selbst gemacht  leicht gemacht“ auf die Theke und sagt: „Hallo Ayse, zwei Kaffee bitte!“  Meine Taucheruhr piept und zeigt die Fehlfunktion meines Sprachzentrums an, „Warmmacha kaputt!“ stammele ich mit rotem Kopf wie nach einem Esslöffel von Murats Salsa. Ayse blinzelt kurz, als habe sie einen Regentropfen abbekommen. Dann huscht wieder die warme Sonne des Frühlings über ihr Gesicht und ich kann gar nichts dagegen tun.

Hier geht es endlich weiter.

Ohne Komma

Der Puls steigt, als ich vier Sekunden vor Ablauf der Auktion auf Bieten klicke. Federfliege war bis dahin Höchstbietender. Lächerliche 5,11 €, das sind exakt 10 DM, war er bereit, für ein Fußballtrikot aus dem Jahre 1974 zu bezahlen. Mit original Unterschriften von Sepp Herberger, Franz Beckenbauer und vielen anderen und eben jener legendären Rückennummer 9, Jürgen Grabowski.

1974 war das Jahr, in dem Deutschland Weltmeister wurde. Es war ein heißer Sommer, die Sonne betäubte schon morgens ab 6.30 Uhr alle Vitalfunktionen. Die Reifen vom Bonanzarad versanken in der weichen Teerdecke. Der schwarz gepolsterte Bananensattel erreichte Temperaturen einer Kernschmelze und die Radlaufklingel schnitt den Mantel am verzogenen Vorderrad entzwei. Dea war noch Texaco und das Traumauto der Generation Oberlippenbart war ein Karmann Ghia Cabriolet. Frauen durften noch nicht fahren, der Schminkspiegel links kam erst 1980 bei der Charleston- Ente.

Noch drei Sekunden. Der Preis klettert auf 19-78.
Ich war 11, bekam meinen ersten Zungenkuss und Haare am Sack. Die Forschung konnte bis heute keinen Zusammenhang dazwischen beweisen. Sie hieß Stefanie und ich war ihr zweiter Freund. Meine Hände schwitzten und zitterten, als ich ihr pochendes Herz unter ihrem Pullover fühlen sollte. Ihre Eltern haben uns erwischt und brachten mich im Derby nach Hause. Stefanie Nr. 2 lernte ich im Park kennen. Ich war ihr erster Freund und diesmal schlug mein Herz ganz wild, als wir im Zelt im Garten ihrer Eltern übernachten.

Noch zwei Sekunden trennen mich von diesem einmaligen Unikat.
Das Höchstgebot liegt bei 19-90. Deutschland wurde in Italien Weltmeister. Ich war da, stand in Mailand beim Public Viewing (das gab`s da schon), als Brehme in der 85. Minute den Foulelfmeter gegen Argentiniens Goycochea zum 1:0 – Endstand verwandelte. Die Squadra Azzura war im Halbfinale gegen jene Argentinier rausgeflogen und so feierten die italienischen Tifosi mit mir, als hätte ihr Schillacci sein 7. Tor geschossen. Auf dem Heimweg zu meiner italienischen Au pair- Familie fuhr ich im Freudentaumel den linken Rückspiegel von meinem C- Kadett ab.

In der letzten Sekunde vor Ablauf explodiert der Preis. Ich traue meinen Augen kaum. Ich dachte, das geht nicht. Wir sind bei 20-06.
Es war das deutsche Sommermärchen, auch wenn diesmal die Italiener sich 0:2 gegen Deutschland im Halbfinale durchsetzten und lamentierend den Cup entführten. Ich boykottierte Pizza, Lasagne und dolce vita, versägte Fiats im E- Kadett, bis ich Charlotta bei einem Eisbecher Coppa del Mondo kennenlernte. Bella donna! Muste du probiere!

Die letzte Millisekunde senkt sich quälend langsam zu Boden wie eine isländische Vulkanaschewolke. Leiber schwitzen, Augen durchdringen den Bildschirm, einzelne rote, grüne und blaue LED- Pixel beginnen einen Samba zu tanzen, ehe endlich im Rausch von 16,2 Millionen Farben ein Jingle ertönt: Tä Tä Tätä!
Gewonnen! Ich hab`s! Tatsächlich! Ich schau noch mal genau hin:
Herzlichen Glückwunsch, murmeltiertag. Sie haben diesen Artikel gekauft. Das Original DFB- Fußballtrikot 1974, Jürgen Grabowski, Rückennummer 9 gehört Ihnen! Bitte zahlen Sie jetzt 2014 Euro.

Stolz wie der Oktopus Paul schalte ich den Rechner aus und summe leise mit:

54, 74, 90, 2014