Hautnah

Die Sonne stand schief am Himmel, die Stadt versank in rosarot. Die Luft war warm und zart, Gewittertierchen tanzten im Abendlicht. Ich fuhr mit dem Auto in die Einfahrt, stellte den Motor ab, drehte das Radio lauter und schloss die Augen. Vorsichtig zitterten sanfte Klänge in meinen Ohren, dann brüllte der Bass aus den Boxen, dass die Blumen auf der Wiese mit den Köpfen nickten. Frau Amsel setzte einen Notruf ab. Bunte Lichtwellen durchzogen meine Welt und entführten mich auf eine Reise.

Ich stand in der offenen Haustür und lauschte der Stille, hinten im Garten konnte ich die Ameisen schmatzen hören. Die Zypressen am Horizont hatten noch ihre Schlafanzüge an, das Dorf erwachte erst langsam. Ich liebte diese jungfräuliche Morgenluft, die mir ein Abenteuer versprach und nach Olivenöl, Chianti und getrockneten Tomaten schmeckte. Ich ging zum Schuppen, schob die Vespa nach vorne, setzte meinen Rucksack auf den Rücken und fuhr knatternd und knirschend den Kiesweg entlang. Unten am Tor zog ich die Corriere della sera aus dem Kasten, steckte sie in meine Manteltasche und fuhr weiter. Ich wohnte etwas abseits des Dorfes in einer kleinen alten Sägemühle. Hierhin hatte ich mich meine Expedition mit meinem Wohnmobil geführt. Hier hielt ich an und blieb. Hier packte ich meinen Koffer aus und stellte meine Staffelei auf. Wie schon einmal, als ich in jungen Jahren in Mailand Kunst studieren wollte. Dann starb mein Vater und ich kehrte zurück nach Deutschland. Ich wischte mir mit dem Handrücken eine Mücke aus dem Auge. Das Dorf lag vor mir, die letzte Kurve genoss ich wie in Zeitlupe. Marktfrauen trugen frisches Obst und Gemüse aus dreirädigen Rollermobilen zu ihren Ständen. Alte Männer saßen vor ihren Häusern und spielten. Junge Ragazzi standen zusammen und zählten einen Batzen Geldscheine. Als ich um die Ecke brummte, hob Don Pascale die Hand und winkte mich zu ihm herüber. Er hatte sich in all den Jahren als echter Freund erwiesen. Die Dorfgemeinschaft hatte mich anfänglich misstrauisch beäugt, aber er hatte es durchgesetzt, dass ich als Tedesco die Mühle kaufen konnte. „Ciao, caro amico“, begrüßte er mich. Ich umarmte ihn, nickte den Anderen zu und setzte mich. Ich erzählte ihm von dem neuen Wasserrad, das mir ein Holzbaumeister aus Torino nach alten Plänen, die ich hinter einem Küchenschrank gefunden hatte, angefertigt hat. Bald würde die Mühle wieder in altem Glanz erstrahlen. Seine Augen leuchteten. Er war dort geboren und so war es mir um so mehr Ehre, seine alte Erinnerung wieder aufzubauen und mir gleichzeitig einen Traum zu verwirklichen. Er kam jede Woche mindestens einmal vorbei, immer verbunden mit einer Einladung zum Essen. Heute mache seine Frau Elena die berüchtigten Trippa alla fiorentina. Nach ihrem fantastischen Saltimbocca alla romana beim letzten Mal zögerte ich keine Sekunde und sagte zu. Wir verabredeten uns zum Mittagessen und ich schlenderte noch ein Weilchen über den Markt. Ich kaufte mir eine Schale Oliven und ein Stück Schafskäse bei Franco. Er war eigentlich Schlosser und half mir bei der Restaurierung. Die alte marode stählerne Antriebswelle hatte er wieder zum Laufen bekommen. Wir beratschlagten uns noch ein wenig, naschten Bruschette und feixten gestikulierend.
Als ich mich zum Gehen umdrehte, stand sie plötzlich hautnah vor mir, lächelte mich an und ich wusste sofort, dass dieser Tag völlig aus den Fugen gerät. Ihre Haare glänzten kupfern in der Sonne wie frische Maroni und umspielten zart ihre Wangen wie Wellen eine Muschel. Ihre grünen Augen ließen Zucchinis in den Auslagen erblassen. Es donnerte in meinem Kopf. Nervös nestelte ich an meiner Brille, die auf einmal auf den Nasenflügeln und hinter den Ohren drückte. Plötzlich stand Don Pascale neben ihr, legte seine Arme um diesen Engel und stellte mir seine Nichte Carlotta vor, sie studiere in Milano. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fehlten deutsche und italienische Wörter für diesen Moment. Kurzatmig stellte ich mich vor. Sie lächelte mich an und reichte mir ihre Hand. Adriano Celentano brüllte in meinem Hinterkopf Dinge, die ich hier jetzt nicht wirklich wiedergeben möchte. Als ich sie hölzern berührte, durchschlug mich der Blitz wie 1771 den jungen Werther, als er sagte: Ich habe so viel und die Empfindung an ihr verschlingt alles. Ich habe so viel und ohne sie wird mir alles zu Nichts. Im Original, nicht in irgendeiner lausigen Plenzdorf– Interpretation. Der Himmel verdunkelte sich schlagartig, als ich sie wieder los ließ. „Wir müssen gehen“, sagte Don Pascale, „la mamma ist bestimmt schon so weit.“ Ich schaute auf und nickte. Carlotta hakte sich bei uns unter. Mamma Elena war eine Herzens gute Frau. Sie liebte das Leben, gutes Essen und guten Wein. Keinen Abend, den ich bei ihr und Don Pascale verbrachte, kam ich nüchtern nach Hause. So sollte es auch diesmal wieder sein. Der Rotwein gelierte süß in meinem Rachen und als ich mich weit nach Mitternacht verabschiedete, ratterte die Mühle in meinem Kopf schon. Erinnerungen und Hoffnungen gerieten zwischen die steinernen Mahlräder, ich hatte Kastanien braune Haare auf der Zunge. Irritiert sank ich in mein Bett. Der Mond rief unablässlich Carlottas Namen, in der schwülen Stille summte eine Mücke.

Die Musik im Auto verstummte. Ich schlug die Augen auf, zertrümmerte den Blut gierigen Zweiflügler auf meinem Arm und ging ins Haus. Es roch nach Leberkäse und Bratkartoffeln.

PS: Diese Geschichte setzt sich hier fort

Ich tue, was ich machen kann

Manchmal weiß ich nicht, was ich noch machen soll. Ich tue schon mein bestes, aber das reicht bisweilen einfach nicht. Ach, wie soll ich das erklären?! Also, es gibt Arbeit und es gibt Freizeit. Beide unterscheiden sich in vielen Punkten von einander. Arbeit hält mich von meiner Freizeit ab. Arbeit ist ein ewig gleicher Trott, ein Murmeltiertag, eine Zeitschleife, in der nichts anderes passiert, als die vergangenen Jahre auch. Hochgerechnet schon tausendsechshundert Mal bin ich den selben verschissenen Weg zum Büro schon gefahren. Baustellen im frühen Planfeststellungsverfahren bremsen mich auf die Geschwindigkeit einer Wanderdüne herab. Seit der Mondlandung soll dieser Teil der Autobahn ausgebaut werden. Eine greise Fledermaus und zwei Grottenolme haben hier bisher erfolgreich verhindert, was in Stuttgart nicht gelingt. Auf der Einfädelspur zieht feixend ein Gurkenlaster an mir vorbei und drängelt sich vor mich. Ich schlage aufs Lenkrad, hupe gestikulierend und quetsche mich ohne zu blinken auf den verengten Fahrstreifen zwischen schwarze Limousinen mit LED- Tagfahrlicht und silbernen Buchstaben-Nummern-Koordinaten auf dem Heck. Im zähen Stop and Go geht es voran, Küblböck hat mir immer ein paar Meter voraus. Dann muss ich abfahren. Auf der Abbiegespur gebe ich Gas, versuche noch gleichzuziehen und dem Bazi den längsten Finger zu zeigen, als ich abrupt abbremsen muss, weil ein Bofrostlaster ausschert. Nur Idioten auf der Straße und bei der Arbeit geht es mit Idioten weiter. Lauter Verrückte, ohne Lust und Motivation. Dummheit hat mehr Doppelkonsonanten als sie IQ besitzen und Diät mehr Vokale als ihr BMI beträgt! Aber Schuld haben immer die anderen! Wie mir das Gejammer aus den Ohren heraus hängt!

In meiner Freizeit denke ich so etwas nicht. Da möchte ich den warmen Wind hauchen spüren, das Meer rauschen hören und die salzige Luft schmecken. Ich möchte in das Backfischbrötchen beißen und mir das T-Shirt mit Remoulade bekleckern. Da möchte ich in Weidenkörben nach Muscheln kramen, mir einen Kescher kaufen und schwarze Möwen vor der Sonne zählen. Ich ziehe mir die Schuhe aus und laufe barfuß am Strand entlang und springe über Wellen. Und erst, wenn die Nacht von unten durch den Horizont bricht, falle ich mit Sand in den Haaren und schmutzigen Füßen ins Bett.

Potpourri

Das wollte ich schon länger mal machen: Eine Geschichte schreiben, in der alle meine Schlagwörter („Tag-Links“, siehe am rechten Rand) mindestens einmal vorkommen. Ich probiere es mal alphabetisch!

Es ist Heiligabend. Soeben öffne ich das letzte Törchen vom Adventskalender. Was ist das denn? Ich traue meinen Augen nicht: Ein kleines Schokoladenauto. Und wer steigt grade aus? Der Bofrostmann! Wo will der denn so spät hin? Will der etwa noch Tiefkühl- Brötchen ausliefern? Wo denn? Hier in dieser unwirtlichen Gegend, mitten am Deich? Hier gehen die Eier zu Ende, die Frauen spielen Fußball und Haare wachsen am Horizont! Was in aller Welt hat der hier verloren? Leise schleiche ich ihm nach. Das gespenstische Licht des Mondes verzerrt die Schatten der Hühner im Garten von Kapitän Ahab zu einer Karawane Fleisch fressender Saurier. Plötzlich bleibt der Bofrostmann stehen und blickt sich misstrauisch um. Ich zucke zusammen. Hat er mich gesehen? Dämonisch sieht er aus, als würde er Kinder fressen. Ich fürchte um mein Leben, als er einige Schritte auf mein Versteck zugeht. Sein eisiger Atem stirbt in der klirrenden Kälte, kaum dass er sein Maul verlässt. „Ich bin ein Mann“ , denke ich, „zum Sterben ist jetzt keine Zeit!“ und laufe weg. Meine Schritte hallen in der Dunkelheit wie die Schläge des Belzebubs zum Altweiberfasching auf dem glühenden Amboss. Atemlos renne ich zum Meer. „Heiliges Murmeltier, steh mir bei“, schreie ich. Der graue Riese schmeißt unbarmherzig seine kalten Arme nach mir und spült Muscheln um meine Füße. Unsichtbare Möwen schreien durch die Nacht. Meine Nase saugt den salzigen Odem des Todes ein, in den Ohren knistert es nach zertretenem Playmobil. Das Radio in meinem Kopf spielt Julis „Woanders zu Hause“. Dann ist plötzlich Ruhe. Kognitiver Stromausfall. Unendliche Stille. Das Meer schweigt, als habe Neptun Mittagsschlaf verordnet und drohe jedem, der dieses Gesetz missachtet, mit einer Einzelstunde Eurythmie. Mit meinen Zehen presse ich den Sand in meinen Schuhen immer wieder zusammen, bis sich ein kleiner Damm darin bildet. Die Welt um mich herum ist stumm, wie in der Schule beim Englisch- Unterricht, mucksmäuschen still. Selbst die Segel eines trüben, vorüberziehenden Seelenverkäufers halten sich an das unausgesprochene Redeverbot. Ich fröstle.
Mit lautem Getöse poltert die Brandung Ruptus artig wieder los, glitschig wie Seife prescht sie mir ihre klamme Gischt ins Antlitz. Ich muss spucken und kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, brennt die Sonne, obwohl es eben noch stockfinster war. Bis zu den Knien eingegraben stehe ich am Strand, es ist heller Tag. Hinter mir entdecke ich eine schimmernde Tür. Das Wasser frisst gierig ihren Rahmen und drückt an die Buhnen.

Das Leben ist wie die Flut an Weihnachten“ , denke ich, „was die Welle nicht reißt, das reißt der Wichtel!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal um und blicke ein letztes Mal zum Ende der Welt. Der Wind bläst mir ins Gesicht, das hält die Windschutzscheibe nicht.

Wir lieben die Stürme

Fortsetzung von Der Jever- Mann (Kapitel 1), Faltiger Autist (Kapitel 2), Du bist nicht mehr mein Freund! (Kapitel 3), Zauberpuste (Kapitel 4) und Die Augen gucken mit (Kapitel 5)

Kapitel 6 (ursprünglicher Beitrag vom 16.02.2010. Ich war so frei, ihn zu verschieben!)

„Matschpatsch“ macht es immer wieder. Ich greife mit den Händen in das trübe Wasserloch, das ich mit einem kleinen Deich vom Meer abgetrennt habe. Die Schippe habe ich gegen den Plattmacher getauscht, klopfe damit die Mauern fest. Auf einer Seite habe ich so viel Sand heraus gebuddelt, dass ein richtiger Berg entstanden ist. Aus beiden Fäusten lasse ich die Matschepampe von weit oben darauf fallen. Es sieht aus, als hätte ein ganzer Möwenschwarm nur auf diesen einen Fleck geschissen und ich sehe aus wie ein paniertes Schnitzel. Ich weiß schon selbst nicht mehr, ob ich überhaupt eine Badehose anhabe.
Ich beauftrage meinen Bruder aufzupassen, so lange ich Muscheln suche. Papa hat mir erklärt, dass da, wo viel kleines schwarzes Holz an den Strand gespült wird, ich auch Bernsteine und Haifischzähne finden kann. Ich marschiere los, sammle Krebspanzer, Seesterne und kräftige Herzmuscheln zum Kämpfen. Mein Eimer ist bald randvoll. Ich schmeiße tote Quallen zurück ins Meer und laufe weiter. Endlich habe ich eine Stelle gefunden. Erst bohre ich mit dem Bockermann in dem Prütt herum, dann schiebe ich ihn mit dem ganzen Fuß hin und her. Schließlich lasse ich mich auf die Knie fallen und siebe mit den Händen. Alles, was gelb oder honigfarben ist, lecke ich ab. Harz schmeckt man doch! Ich finde ein altes Gummibärchen, eine geschliffene Glasscherbe und einen Feuerstein, sogar ein noch eingepacktes Campino- Bonbon. Es ist weich und salzig. Plötzlich scheucht mich eine große Welle auf und schmeißt meinen Eimer um. Erschrocken greife ich nach dem Henkel. Meine Schätze flüchten dabei mit dem rückfließenden Wasser: Bernsteine so groß wie Kiesel und Haifischzähne so scharf wie Säbel!

ENDE

Zauberpuste

Fortsetzung von Der Jever- Mann (Kapitel 1), Faltiger Autist (Kapitel 2) und Du bist nicht mehr mein Freund! (Kapitel 3)

Kapitel 4

Am nächsten Morgen werde ich davon geweckt, dass Papa verzweifelt seine Reisetasche sucht. Durch die Schlitze der Jalousie sehe ich, wie er auf dem Balkon fündig wird. Er entdeckt den zerfetzten Kicker, flucht dreimal laut und gibt mir und meinem Bruder in Abwesenheit die rote Karte. Das heißt: Kein Eis heute und kein Fernsehen vor dem Schlafen gehen mehr. Ich husche schnell zurück in mein Bett und kneife die Augen zusammen. Was ist, wenn er Klopf entdeckt? Das würde bestimmt rote Karte bedeuten bis ich zehn bin, oder hundert. Und nie wieder Delfino- Eis und Wickie gucken. Ich stupse meinen Bruder an, der zieht sich die Decke über den Kopf. Ich trete die Flucht nach vorn an, kneife mir den Schnippel zu und renne zum Klo, um zu sehen, was Papa vorhat. Kurz vor dem Bad bleibe ich wie angewurzelt stehen: Er greift tief in die Tasche und zieht ein angefressenes Salatblatt heraus. Ich stoße mir plötzlich das Knie und fange an zu weinen. Papa legt die Tasche zur Seite und tröstet mich. Dabei linse ich über seine Schulter und sehe, wie Klopf sich unter dem Kleiderschrank verkrümelt. Mit Zauberpuste tut das Knie auch schon nicht mehr weh.
Schlaftrunken kommt mein Bruder aus unserem Zimmer. „Was ist denn hier los?“, will er wissen. „Ich habe mich gestoßen“, sage ich, ehe sich Papa an die verschwundene Reisetasche und den Kicker erinnern kann.

“Was wollt ihr heute machen?“, fragt er nach dem Frühstück. „Shoppen“, antworten wir aus einem Mund und klatschen uns ab. Widerstand ist zwecklos, das weiß auch Papa, weil wir uns sonst ständig streiten oder über Langeweile klagen. Trotzdem packt er die Strandmuschel, die Liegedecke und das Beachball- Spiel zusammen und verstaut alles in unsere Salewa- Rucksäcke. Die geschmierten Brötchen und den aufgebrühten Tee trägt er in einem Stoffbeutel mit Delial- Aufdruck.
Im einzigen Laden hat das ehemals samtweiße Holzpaneel bereits einen bahama- beigen Ton angenommen. Postkarten mit Zackenrand erzählen Legenden aus Wilhelminischen Zeiten. Dutzende Stocknägel mit Strandkorbmotiven und Insel- Silhouetten reihen sich in kleinen, offenen Schächtelchen. Leuchttürme in allen Größen von der F- bis zur A- Jugend, Schneekugeln, Bernsteinfigürchen, Buddelschiffe und ganze Kutterflotten verteidigen ihre Regalwand gegen eine Korblandschaft aus plüschigen Wattwürmern, Möwen und Seehunden fernöstlicher Produktion. Papa versucht ständig, unser eigenes Taschengeld zu sparen. Wir hätten genug Playmobil zu Hause. Aber eben keinen Riesenkraken, der Wasser spritzen kann! Dann meint er, das Wellenbrett sei zu groß, das kriegten wir in keinen Koffer rein. Oder die Ritterfestung sei zu teuer, das Aufblaskrokodil zu gefährlich. Muscheln, Seesterne und Kescher hätten wir noch vom letzten Urlaub zu Hause, im Keller!
Boah, ich habe echt keine Lust mehr und kaufe mir einen Zungenmalerlutscher und saure Colabonbons und gehe mit ihm an den Strand.

Und es hört nicht auf, sondern geht noch weiter!

Du bist nicht mehr mein Freund!

Fortsetzung von Der Jever- Mann (Kapitel 1) und Faltiger Autist (Kapitel 2)

Kapitel 3

Der Sturm schmeißt Standkörbe und drückt dicke Kinder die Rutsche wieder hoch. Er treibt die Gischt des Meeres noch kilometerweit übers Land auf die Gleitsichtgläser alter Frauen im Straßencafé. Volleyballnetze stehen steif im Wind wie schwer gefüllte Reusen, Klaffmuscheln graben sich tiefer in den Sand. Ein losgerissener Drache scheucht Thalasso- Wanderer vor sich her und sprengt schließlich eine Gruppe Qigong- Tänzer im Dünengras auseinander. Es ist oberhammerscheiß Wetter und heute ist Strandfest.

Ich will da nicht hin. Um 14 Uhr macht der Laden auf, in dem ich gestern die coolen Bionicles gesehen habe. Papas Geld hat nicht mehr gereicht und er hat mir versprochen, da heute mit uns wieder hinzugehen. Jetzt ist 11 Uhr und ich setze mich demonstrativ vor die Eingangstür. Ich will da warten, ich will nicht an den Strand. Da ist es doof, das weiß ich jetzt schon. Papa nimmt die Tupperdose mit dem Brezel und den Fruchttiger aus dem Rucksack, stellt es mir vor die Füße, damit ich nicht verhungere und geht. Mein Bruder, der Verräter, läuft mit. „Ich bin nicht mehr dein Freund“, brülle ich ihm hinterher und trete mit den Füßen die Flasche weg. Als die beiden um die Ecke sind, hole ich sie mir schnell wieder, das ist mein ganzer Vorrat. Nach zehn Minuten sind die Brezel und der Fruchttiger alle und mit einem Malstein schreibe ich meinen Namen auf die Treppe vorm Geschäft. Dann sause ich hinterher. Die beiden Doofen sitzen am alten Rettungskreuzer auf einer Bank und lecken Eis. Noch bevor ich wieder los krähen kann, fragt mich Papa, ob ich auch eins möchte. Stolz gehe ich mit einem grünen Becher und einer Kugel Delfino- Eis mit zum Strand. Da ist es picke packe voll. Piratenkinder und Seeräubereltern lotsen Boote durch gefährliche Untiefen und an Monster- Riffen vorbei. Sie schießen mit Korken- Kanonen und pumpen Wasser aus dem Schiff. Sie überstehen die Pest und Skorbut, verlieren dabei alle Zähne und ein Bein. Sie jagen die Ratten von Bord und heben auf einer einsamen Insel einen großen Schatz. In der Kombüse gibt es Pökelfleisch und faules Wasser. Der Sturm hat sich gelegt.

Wo liegt denn eigentlich Taka-Tuka-Land? Hier!

Erdnussbutter

Zugegeben: Ich habe noch nie welche gegessen. Ich habe so viele „Dinge“ noch nicht gegessen: Schnecken zum Beispiel. Oder Froschschenkel (ob Froschschutzmittel dagegen hilft?). Muscheln, Hummer, Hund und Katze auch nicht. Bei Hund bin ich mir nicht ganz sicher. Das Bildsymbol am Buffet im letzten Urlaub sah schon aus wie Schäferhund. Wenn ich Glück habe, war es Schaf. Das will ich alles aber auch gar nicht probieren.
Aber Erdnussbutter? Das klingt zwischen süß und salzig im Geschmack, auf jeden Fall aber klebrig und fest. Zu fest. Aus dem Kühlschrank sowieso. Es soll Menschen geben, die bewahren dort auch ihr Nutella auf. Im Kühlschrank! Das Zeug wird hart wie Omis Zartbitterschokolade von Lindt. Wenn man damit sein frisches Brötchen bestreicht, gleicht es schnell dem Inhalt einer Krümelschublade im Toaster! Deswegen kommt die Plömpe bei mir erst Mal pauschal 2 Minuten bei 800 Watt in die Mikrowelle. Dann kriegt man es fein raus aus dem Glas. In die Tasse. Mit einem Klecks Sprühsahne ist das echt lecker!
Ob das wohl mit Erdnussbutter auch schmeckt?

Stille Sehnsucht

Direkt am Meer. Dort, wo die Sonne untergeht. Da stehe ich auf dem Deich, schaue den Möwen beim Scheißen zu. Der Wind pfeift mir um die Nase. Hier oben ist das Gefühl der Freiheit näher als das der Kälte. Die Luft riecht nach Salz und Fisch.
In der Nacht wird die Stille hörbar: Das Rauschen des Meeres, das metallische Schlagen der Segel am Mast, das Knallen der Fahnen im Wind, das Klingen der Glocken auf den Schiffen und Booten, das dumpfe Stöhnen der sich spannenden Taue. Lichter am Horizont blinzeln zu mir herüber. Die Flut drückt Wellen an den Strand, spült Muscheln und Tang immer ein Stückchen näher an den Deich.
Stille Sehnsucht nach Sand in den Schuhen, Krabbenkuttern und Kiefernwäldern, Leuchttürmen und Lachsbrötchen, Dünen und Dorschen.