Weite Wogen und wilder Wind

Ein Kinderlied in den Ohren, aber Text und Musik sind noch verstummt. Plötzlich taucht es wieder auf:
Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen,
der eiskalten Winde rauhes Gesicht.
Wir sind schon der Meere so viele gezogen
und dennoch sank unsre Fahne nicht.
Heio, heio …

Die Erinnerung daran ist grau, dunkelgrau. Nur klitzekleine Brocken erscheinen etwas klarer: es war irgendwann während einer Kinderkur auf einer Insel. Langsam tauchen Kiefernwälder, Meer, Dünen, Sand, Früchtetee in Edelstahlkannen und Mehrbettzimmer stichpunktartig wieder auf. Sich nachts auf die Toilette auf dem Flur schleichen oder in den Mädchentrakt. Ekeliger Kartoffelpüree mit gebratener Leber, in der Ecke stehen müssen, im Watt versinken, nasse Gummistiefel, Eimer und Schaufel. Längst ist alles wieder vergessen. Und dann plötzlich wieder diese Melodie: Wir lieben die Stürme.

Manchmal wäre ich so gerne wieder klein und möchte ein T-Shirt tragen mit meinem Namen drauf. Ich würde endlich eine so große Sandburg bauen, die niemand mehr kaputttrampeln kann. Ich möchte Früchtetee trinken und mich in den Mädchentrakt schleichen. Ich möchte Brauner Bär mit dem Karamellkern lutschen und hoffen, dass ich zu meinem Geburtstag ein Paket von zu Hause bekomme, mit einem Lenkdrachen drinne und meinem Schmuseaffen, den ich vergessen habe. Ich möchte gerne die Dünen runterkullern und lauthals singen: »Oben auf dem Berg, da steht ein Gerüst, da werden die Mädchen elektrisch geküsst.« Ich möchte mir ein Wetterfigurchen kaufen, das bei Regen die Farbe wechselt. Ich möchte Kampfmuscheln, Bernsteine und Haifischzähne sammeln, dir Juckpulver in die Jacke stecken und auf das Abendbrot warten.
Diese Zeit war schön. Es gab nur dich und mich und Früchtetee.

Wortraumbett

Der Regen drückt schwer gegen den Schirm. Die Nässe steigt die Beine empor, der Sturm schleudert die kalte Gischt hinauf, Meerschaumlawinen schieben sich gepeitscht über den Strand. Das Gesicht tief unter der Kapuze begraben, kaum wagend mit offenem Mund in den Wind zu gucken. Schwere Schritte knirschen im Sand wie brechendes Eis.
Irgendwo brennt sicher ein Kamin für mich.

Strandgut

Nach ein paar stürmischen und kalten Tagen ist wieder Ruhe eingekehrt. Handschuhe versüßen mir den Moment. Das Meer liegt sanft da, während es zuvor drohte, die Seebrücke umzuschmeißen. Das Toben der See und das Fauchen des Windes haben nachgelassen. Endlich nur ein friedliches Wogenplätschern. Andere Lichtempfindungen, andere Gedanken. Die Bank am Tisch ist frei, dafür mehr im Schatten als meine. Ich zögere noch. Solange sie niemand haben will, solange bleibe ich auch hier. Missgünstig eine Fliege verscheucht, die sich vorlaut an meinem Rucksack zu schaffen gemacht hat.
Doch den Platz getauscht. Schreibe nun am Tisch, ist einfacher. Es könnte wärmer sein, aber ich wollte nicht länger auf dem Zimmer sein. Klappse liegt weit weg. Da liegt sie gut. Am liebsten würde ich sie da auch lassen. Ich will nicht zurück, will etwas Neues. Suche und brauche Ruhe und Entspannung. Will diese verrückten Geschichten nicht mehr hören, machen mich alle. Will raus aus dem Molloch. Vielleicht ein Haus am See? Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg. Wind kommt auf, Spaziergänger mit Hund. Schurrmurr. Miniaturen. Gedanken befreien, Stoffstückchen und Worte sammeln. Piratenflagge. Hau ab und lass mich in Frieden. Scheiß Töle. Auto fährt vorbei, Mülleimerdeckel schlägt zu, Vogel zwitschert. »Trinkpause, Keks essen.« Aber nicht hier an meinem Tisch, Gott sei dank! Pferd am Strand, reitet weg. Boot am Horizont. Gebell macht die Idylle kaputt. Menschen mit Hunden glauben, es sei normal und in Ordnung, wenn ihre Köter das tun. Der Kleinste ist der lauteste. Die Blonde war auch schon mal da, wählt aber eine andere Bank. Er kläfft weiter. »Ihr Hund freut sich auf das Meer«, wenigstens einer. Boah, ist das ein dämlicher Kläffer, hoffentlich ersäufst du.
»Ich habe Hunger«, schreit ein Blag. Ihr hättet auch gerne einen Tisch? Hahaha, leider bereits besetzt.
Mistdreck, da kommt noch einer. Man könnte fast meinen, ich bin am Hundestrand.
Nie bin ich alleine, irgendwas ist immer. Lasse die Gedanken fließen, zensiere sie nicht, sortiere sie nicht. Brauche Worte, Sätze, Ideen und Anregungen.

Klotz packt aus, Klotz räumt ein. Er sitzt da, starrt aufs Meer, will raus aus seinem Alltag, der ihn belastet, den er nicht mehr verarbeiten kann. Er sucht nach Auswegen und Lösungen, findet aber keine, dafür Krach und Hundescheiße. Es muss weitergehen, ohne Pause! Unsicheres Gegickere. Blond und blind. Wellen, Vögel.

Klotz kommt einen Moment zur Ruhe, lauscht den Geräuschen, fühlt sich wohl. Kalt zwar, aber er ist am Meer. Wo alles anders ist.

Der Kugelschreiber scheint bald aufgeben zu wollen. Einen Neuen zu kaufen scheidet aus, wo doch zu Hause die ganze Schublade damit voll ist. Die Füße auf den kleinen Absatz unter dem Tisch gestellt. Unter den geht aber auch. Da ist sie wieder, die Blonde. Bewegt sich, stellt sich in die Sonne, hinterlässt Fußspuren im Sand.

Klotz muss mittendrin sein, um schreiben zu können. Schreiben! Welch wunderbares Tun.

Sie schaut mich an, Ü40, wirkt dennoch verspielt, enge Jeans, debil? Nimmt ihr Rad, schiebt es an die Straße. Wieder fast alleine an meinem Schreibplatz. Eigentlich ist es zu kalt, Finger frieren trotz Handschuhen. Dehnungsübung am Geländer. Jetzt das andere Bein, ich könnte das nicht. Einen Kugelschreiber habe ich schon weggeworfen. Schade, dass ich mit die Anfangszeit des Schreibens nicht notiert habe, wäre gespannt. 45 Minuten noch bis zum Mittagessen. Hähnchenfilet Toskana oder so. Freue mich auf Wärme. Auto hält, Türen schlagen. Eindrücke aufnehmen, staccatoartig festhalten. Stoffmuster, Nähproben, einfädeln, sonst entsteht keine Geschichte. Was?! Geht weg, will nicht reden, will euch nicht zuhören. Brauche Flow, halte ihn aufrecht. Muss das tun. Muss es wegschreiben, damit Gedanken weg sind. Lila Mütze. Noch eine, dafür mit Puschel. Karopapier oder doch lieber Linie? Ich oder der Kugelschreiber? Wer von uns beiden gibt zuerst auf? Lange kann es nicht mehr dauern. Unzensiert sein dürfen. Das ist mir wichtig. Stehenlassen können. Weg ist die Aufwärmerin, gut so, Dummbatze. Hat mir nur den Blick aufs Meer verstellt. Vielleicht ist dem Kuli auch zu kalt. Sollte ich später mal googeln oder vorsorglich nach einem anderen die Augen offen halten. In der Sparkasse einen klauen, umlagern. Stehen da oben immer noch und quatschen. Haben die kein Zuhause? Schwarzer Van. Muss nun los, will nicht stoppen, friere aber durch. Rücken, Nase, zu kurze Socken. Fetter Arsch mit Rucksack. Laterne, schief, sieht sozialistisch aus.
»Warte, Papa will noch die Jacke zumachen!« Ja, dann mach doch und halt das Maul!
Paradoxerweise hätte ich nichts zu schreiben, oder weniger, wenn die Idioten nicht hier wären. Endlich verschwinden die Tratschtaschen. Das Kind weint.
Ich gehe meinen Weg zurück.

Verraten und verkauft

Der Wind pfeift mir um die Ohren und packt die riesigen Kiefern am Gemächt. Es knackt und knarzt, es stöhnt und ächzt wie in einem Altenheim. Der Himmel ist dick und düster, die Wogen drohen jedem, der sich ihnen nähert, mit der eisigen Faust des Neptun und der Strand wird wütend durchgeschüttelt. Immer wieder peitscht mir die kalte Gischt ins Gesicht und gefriert zu bizarren Stalaktiten in meinem Bart.
Ich kämpfe mich verzweifelt durch das Unwetter und suche Schutz an einem Buswartehäuschen, das die städtischen Verkehrsbetriebe wegen der Ökobilanz und Nachhaltigkeit bereits vor Monaten abgebaut haben. Ich überlege, ob sie wenigstens die Haltestelle nach mir benennen und einen Gedenkstein aufstellen würden, wenn ich jetzt erfriere. »Hier verstarb unser letzter und einziger Fahrgast. Wir bitten, die Verspätung zu entschuldigen.« Das würde mir schon reichen, ich bin da nicht besonders anspruchsvoll.

Dabei hätte ich es wissen müssen, nichts kriegen sie hin, diese Grünen.
Noch nicht einmal den Winter können sie abschaffen, oder wenigstens die Gezeiten.

Mausetot

Es rauscht hin und her, stetig schwappen Erinnerungen in mein Bewusstsein und verschwinden wieder, ohne dass ich sie packen kann. Sie sind flüchtig und staubig wie der Wind.

Manchmal stehen sie deutlich vor mir und ich möchte sie eigentlich gerne loslassen, doch meine Hände umklammern sie, als wollten sie sie erwürgen. Dann zappeln und zucken sie noch ein paar Mal und ringen verzweifelt nach Luft. Am Ende sind sie mausetot.

Manchmal aber ist es auch still in meinem Kopf und ich weiß nicht, was besser ist.

Die Stille am Teich

Ich betrachtete die Stille. Kein Wind kräuselte das Spiegelbild. Irgendetwas stimmte da nicht …

Ich überlegte, was es wohl war. Irgendwie schienen die Farben blasser zu sein und die Geräusche klangen dumpf wie im Bauch eines alten Schiffes. Was war geschehen? Wo war ich? Ich saß zwar wie immer hier im Park auf meiner Bank, aber es war es nicht so wie sonst. Verunsichert guckte ich herum. Ich wollte wissen, ob es den anderen Menschen, die um den kleinen Teich wandern, auch so geht, aber was ich sah, irritierte mich erst recht: Sie gingen alle rückwärts, jedoch fiel das offenbar niemandem außer mir auf. Nur ich saß dumm rum und verstand die Welt nicht mehr.

»Was ist, wenn die Welt plötzlich eckig wäre?«, schoss es mir durch den Kopf, »kann sie sich dann noch drehen, oder schiebt sie sich bloß wie eine Schrankwand von Ecke zu Ecke?«

Misstrauisch starrte ich ein Pärchen an, das wie selbstverständlich rückwärts auf mich zu schlenderte. Dazu hätten sie allerdings vorher schon einmal an mir vorbeigegangen sein müssen. Aber warum kann ich mich daran nicht erinnern?! Ich schaute auf meine Uhr: Stolz und rebellisch drehte der Sekundenzeiger die Runden entgegengesetzt seines üblichen Tuns.

Mir fiel fast die Kinnlade in den Schoß, als sich plötzlich eine junge, verdammt hübsche Frau zu mir auf die Bank setzte und fragte: »Tsgam ud nie sie?«

Wieder blieb mir nichts anderes übrig, als ein blödes Gesicht zu machen. Das hier ging auf keinen Fall mit rechten Dingen zu. Irgendetwas stimmte nicht und ich wusste nicht, was.

Irgendetwas ist ja immer.

Dort

Dort, wo der Wind sanft die grünen Hügel streichelt, die Sonne den Horizont in inniger Umarmung küsst und selbst der Regen nach Applaus klingt,
dort möchte ich einmal leben.
Zwischen sorgfältig restaurierten alten Olivenholzmöbeln, zwischen Kunst und Kultur richte ich mich ein in einem kleinen Natursteinhaus am Rande des Städtchens (damit ich das Kirchengebimmel nicht hören muss) und baue Marihuana an. Beim Versuch, es auf dem Marktplatz zu verticken, werde ich von Jugendlichen übers Ohr gehauen und verpfiffen. Der herbeigerufene Carabiniere stiehlt meine Autoschlüssel für das Karmann Ghia Cabriolet und buchtet mich ein. Im Gefängnis fallen mir die Zähne aus und ich erkranke an Skorbut.

Vielleicht, vielleicht aber auch nur, ist es ja doch ganz schön hier, wo ich jetzt bin, wenn auch nicht für immer. Irgendwann will ich weg.

Frei sein

Ich möchte frei sein wie das Gras in den Dünen, wie die Wolken am Horizont. Ich möchte mich auf einer Bank niederlassen, in den Tag träumen und die Füße von mir strecken. Die Sonne wärmt mein Gesicht und der Wind schmeckt nach Salz. Meine Gedanken können verweilen, wo sie sind, sie umhüllen mich wie eine weiche Decke.
So möchte ich gerne leben, frei wie ein Kurzdeckenbock im Frühlingsgras.

Zwischenstop

Mein literarisches Ich macht nun zunächst einmal eine kleine Pause. Nach vielen leichten, aber auch vielen verzweifelten Buchseiten lege ich nun die Füße hoch und mache mir ein Bier auf. Es fühlt sich gut an, wie nach langer Fahrt am Urlaubsort anzukommen und endlich die Spannung und Konzentration loszulassen und zu verschnaufen.
Vielleicht packe ich nach dem Essen das Auto aus und trage die Koffer aufs Zimmer oder erst am nächsten Morgen. Vielleicht ist es schöner, jetzt eine Weile am Meer zu stehen und mir den Wind um die Nase wehen zu lassen, solange es noch hell ist.
Es gibt kein Programm für heute Abend, nur das, was ich daraus mache.
Ich kann eine neue Geschichte schreiben, das Blinken des Leuchtturmes zählen oder ich gehe mit Murat einfach einen Döner essen.

Siehstema

Hand in Hand mit dir in die Sonne blinzeln, deine Nähe festhalten in jedem Moment, verweilen und durchatmen. Im Wiegeschritt tanzen, umplumpsen und im Gras liegen. Der blaue Himmel lädt zum Träumen ein. Ich sehe ein Schaf und einen Elefanten, für dich ist es ein Murmeltier und eine Fee.
„Die einzige Fee hier bist du“, sage ich und puste die Wolke fort.
„Liebe ist ein Segelschiff“, flüsterst du.
Ich schließe die Augen, spüre den Wind auf meiner Haut und höre mein Herz schlagen. „Ich bin gerne am Meer mit dir“, denke ich und kuschele mich näher an dich.
„Der Papst hat rote Schuhe“, meinst du.
„Ja, wie Messi!“
Schön, dass es dich gibt.

Durchenwind

Manchmal weht er mir frontal ins Gesicht, zerzaust mir meine Frisur und ich sehe aus wie mit dem Laubbläser geküsst.
Manchmal wartet er hinter einer Ecke, und sobald ich auch nur einen Schritt nach vorne mache, packt er meinen Schirm und krempelt ihn um.
Manchmal sitzt er hinterlistig im Strandkorb, bläst mir Sand in die Augen und paniert gierig meinen eingecremten Bauch.
Manchmal schleicht er über eine Frühlingswiese, lässt kleine bunte Pollendrachen steigen oder tanzt mit den Halmen.
Und wenn ich manchmal ganz durchenwind bin, dann fange ich ihn in einer Tüte und lass ihn nicht mehr raus. Da kann er machen wassawill.

Wie ich es mag

Manchmal gibt es Momente, die mich mehr als andere herausfordern. Manchmal stelle ich mir Fragen, auf die ich selbst keine Antwort habe. Manchmal stecke ich in Schwierigkeiten, die unangekündigt und ohne zu klingelnwie die Schwiegermutter in der Tür stehen und Einlass begehren. Und immer ruft mir das Leben dann zu: „Was nun?“ und drängelt und tippelt dabei nervös und ungeduldig mit den Fingern am Rahmen herum.
Was aber soll ich bloß tun? In eine Glaskugel schauen, den Fifty- Fifty- Joker ziehen oder das Publikum befragen? Ich weiß es doch auch nicht.

Die Mühle dreht sich so lange, wie der Wind weht. Das ist zwar dem Wind egal, dem Müller aber vielleicht nicht, der bei dem Geklappere nicht schlafen kann. „Wäre ich doch Goldschmied geworden“, mag er manchmal denken! Was allerdings wäre dann? Der Wind würde immer noch blasen und die Mühle sich immer noch drehen. Vielleicht aber würde ein herabfallender Flügel den ahnungslosen Goldschmied erschlagen, der eben unter dieser Mühle im Sturm Unterschlupf gesucht hat. Ach, hätte er doch nur gewusst, dass er den Wind nicht kann besiegen, wenn er ihn anspuckt.

Der liebe Gott mag vielleicht nicht würfeln, aber muss ich deswegen nach der Musik tanzen, die er spielt?
Ich mach es lieber, wie ich es mag.

Ich mag innehalten
verweilen
genießen
spüren
eintauchen und
träumen wann es mir gefällt

Ich mag berühren
begegnen
kennenlernen
erfahren
nahe sein und
begehren wen ich möchte

Ich mag riechen
schmecken
hören
staunen
anfassen und
erfahren was ich will

Ich mag vermissen
verlieren
sehnen
verschmelzen
hinabsinken und
begreifen wie ich es mag

Ich mag ich sein, jeden Tag.

In meinem Kopf

In meinem Kopf steckt eine Postkarte. Immer wenn ich sie mir anschaue, scheint dort oben  die Sonne und mir leuchten die Augen.
Umgeben von Pinien und Zypressen steht ein Haus stolz auf einem kleinen Hügel. Malerische Bögen, weitläufige Wiesen und verträumte Terrassen tummeln sich im liebvevollen Spiel von Licht und Schatten. Zwischen Grillen und Zikaden, zwischen Rosmarin, Thymian, Origano und Basilikum wächst ein knorriger, alter Olivenbaum. Ein rostiger Spaten lehnt erschöpft an einer Steinmauer und Speck knistert in der gusseisernen Pfanne.
Kies knirscht unter meinen Schuhen und der Wind rauscht sanft in meinen Ohren. Das nahe Meer chattet vertraut mit der Stille, die diesen Ort so lebendig entstehen lässt in meinem Kopf.

Sturm in der Brandung

Der Jever- Mann
Ich gehe noch einmal in den Garten hinaus, hinten zum Stall und schaue hinein. Aber Klopf ist nirgends zu sehen. Vorsichtig hebe ich das Holzhäuschen hoch und schiebe das Stroh ein wenig zur Seite. Glück gehabt, er ist auch diesmal in seinem Lieblingsversteck. Schnell stopfe ich ihn in meinen Rucksack, er tut so, als merke er es gar nicht. Dann renne ich zum Auto. Papa hupt schon und fächert mit den Armen. „Wo warst du denn noch?“, will er prompt wissen. „Ich habe nur Klopf auf Wiedersehen gesagt“, flunkere ich. Schon brausen wir los.
Nach zähen und unendlichen Stunden auf der Autobahn, einem Dutzend Fünf Freunde- CDs und ebenso vielen Nutellabrötchen kommen wir endlich am Fähranleger in Rømø an. Seit vor ein paar Jahren ein Sturm einen Laster vom Sylt- Shuttle gepustet hat, fahren wir immer über Dänemark auf unsere Urlaubsinsel. Papa ist da abergläubisch, „wer einen Laster umschmeißt“, sagt er immer, „der macht auch vor einer E- Klasse nicht halt.“
Wir sind spät dran diesmal und der Kapitän trötet bereits dreimal, als Papa endlich die Tickets in der Hand hat und wir auf den Autokutter fahren können. Im Internet zu buchen ist auch nicht so seine Sache. Auf dem völlig überfüllten Deck quetschen wir uns zwischen Fahrräder und Kinderwagen auf eine hölzerne Backskiste. Der Wind pfeift uns um die Ohren und die Abendsonne lächelt müde. Dann brummen die schweren Dieselmotoren los. Das Schiff vibriert wie eine alte Waschmaschine, dunkler Rauch steigt empor, die Möwen stieben von den schiefen Birken im Fahrwasser auf und hoffen auf einen Bissen.
Ich schaue meinen Bruder an, er nickt und schon wuseln wir durch Wolfstatzen- Jacken, Fleece- Pullovern, Softshell- Westen zum Bug. Doch ausgerechnet dort feiern die Kicker vom Team Sylt lautstark das Erreichen des Achtelfinales beim Dana- Cup in Nord- Jütland mit Koffein haltigen Kaltgetränken, Fassbrause und Eistee. Kurzerhand machen wir kehrt und schlängeln uns zum Heck mit den riesigen Propellern. Wir packen unsere Toggo- Lutscher aus und spucken ins aufgeschäumte Wasser. Papa ist sitzengeblieben und muss auf unsere Sachen aufpassen.
Am Inselhafen List fallen mir die Augen zu. Ich träume von Knicklichtern, Taschenlampen, Gartenfackeln und Grillen am Strand. Erst als Papa mich zudeckt und mir einen Gute- Nacht- Kuss gibt, blinzele ich ihn schlaftrunken an. „Wo sind wir?“, will ich wissen. „Da, wo der Klabautermann auf Kaperfahrt geht“, sagt er lieb. Dann schlafe ich wieder ein. Papa geht zurück ins Wohnzimmer und fällt um wie der Jever- Mann.

Faltiger Autist
Am nächsten Morgen wache ich mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Endlich kann ich mich um Klopf kümmern. Vorsichtig hole ich ihn aus meinem Rucksack und schaue ihn an. Er scheint noch zu schlafen. Manchmal denke ich, er könnte mich verstehen, wenn er mich anschaut und seinen faltigen Hals reckt. Dann erzähle ich ihm, wie ich einmal das Feuerwehrauto von meinem Bruder im Sand verbuddelt habe, weil ich so eins auch gerne hätte. Oder wie ich Lauf, seinem Hamster, die Füßchen mit Tesafilm umwickelt habe, weil er schneller war als Klopf. Oder dass ich mir kurz vorm Einschlafen heimlich die Bettdecke in den Schlafanzug stopfe, damit ich morgens nicht nass bin. Sonst dürfte ich Klopf nicht behalten, hat Papa gesagt. Dann nickt Klopf immer und gibt mir Recht. Er ist auch der einzige, der weiß, dass ich gerne Leuchtturmwärter werden möchte. So wie Herr Tur Tur auf Lummerland. Das muss schön sein, abends einmal die Wendeltreppe raufsteigen, die Petroleumlampe anzünden und morgens wieder löschen. Keine Nacht darf es ausbleiben, meinen fünften Geburtstag nicht, nicht Weihnachten, und nicht freitags, wenn die Schmutzfrau kommt. Ich muss immer da hoch. Mit Einbruch der Dunkelheit muss das Licht brennen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Klopf versteht mich. Papa nennt ihn manchmal faltiger Autist. Ich weiß nicht, was das ist.
Nach dem Frühstück geht Papa mit uns in einen kleinen Laden in der Friedrichstraße. Postkarten mit Zackenrand erzählen Legenden aus Wilhelminischen Zeiten. Dutzende Stocknägel mit Strandkorbmotiven und Insel- Silhouetten reihen sich in kleinen, offenen Schächtelchen. Leuchttürme in allen Größen von der F- bis zur A- Jugend, Schneekugeln, Bernsteinfigürchen, Buddelschiffe und ganze Kutterflotten verteidigen ihre Regalwand gegen eine Korblandschaft aus plüschigen Wattwürmern, Möwen und Seehunden fernöstlicher Produktion. Papa versucht ständig, unser eigenes Taschengeld zu sparen. Wir hätten genug Spielzeug zu Hause. Aber eben keinen Riesenkraken, der Wasser spritzen kann! Dann meint er wieder, das Wellenbrett sei zu groß, das kriegten wir in keinen Koffer rein. Oder die Ritterfestung sei zu teuer, das Aufblaskrokodil zu gefährlich. Muscheln, Seesterne und Kescher hätten wir noch vom letzten Urlaub zu Hause, im Keller! Boah, ich habe echt keine Lust mehr und zeige auf mein T- Shirt. I’m the boss steht da. Das zählt nicht, erklärt Papa mir, Papa sei mehr als Chef. Dann will ich doch lieber Leuchtturmwärter werden. Oder faltiger Autist.

Wir lieben die Stürme
Der Wind kurvt mit uns im Slalom um jeden Poller, jeden Anker und jede Boje herum. Er taumelt über rot geklinkerte Wege, braust an Juckpulverbüschen, Knallerbsensträuchern und kahlen Kiefern vorbei, saust mit Schwung über eingegrabene Paletten die Dünentäler hinunter und mit uns an Papas Hand wieder hinauf. Auf dem Sandgipfel bleiben wir stehen und staunen: Groß, weit und dunkel erstreckt sich der graue Riese bis zum Horizont. Grollend wirft er seine kalten Arme ans Ufer, als sei er nie weg gewesen. Sein eisiger Atem fegt feuchte Gischt wie eine Horde aufgescheuchter Krabben beim Schulausflug vor sich her, schmeißt Standkörbe um und drückt dicke Kinder die Rutsche wieder hoch. Volleyballnetze stehen steif in der eisigen Brise wie schwer gefüllte Reusen, Klaffmuscheln graben sich tiefer in den Sand. Mein Käppi reißt sich los wie ein wild gewordenes Seeungeheuer, scheucht Thalasso- Wanderer vor sich her und sprengt eine Gruppe Qigong- Tänzer im Dünengras auseinander.
Benommen stolpern wir in die Villa Kunterbunt zum Piratentag. Laut brüllend entern wir die Welt, lotsen unser Boot durch gefährliche Untiefen und an Monster- Riffen vorbei. Wir schießen mit Korken- Kanonen auf Kokosnüsse, schruppen das Deck und pumpen Wasser aus den Kajüten. Wir überstehen die Pest und Skorbut, verlieren dabei alle Zähne und ein Bein. Wir jagen Ratten von Bord, Wale im tiefen Meer und heben auf einer einsamen Insel einen großen Schatz.
Erst bei Sonnenuntergang laufen wir wieder in unseren Hafen ein. In der Kombüse gibt es salziges Pökelfleisch und faules Wasser. Der leuchtende Zyklop blinzelt uns aufmunternd zu. Der Sturm hat sich gelegt.

Du bist nicht mehr mein Freund!
“Matschpatsch” macht es immer wieder. Ich greife mit den Händen in das trübe Wasserloch, das ich mit einem kleinen Deich vom Meer abgetrennt habe. Mit dem Plattmacher klopfe ich die Mauern fest. Auf einer Seite habe ich so viel Sand heraus gebuddelt, dass ein richtiger Berg entstanden ist. Aus beiden Fäusten lasse ich die Matschepampe von weit oben darauf fallen. Es sieht aus, als hätte ein ganzer Möwenschwarm nur auf diesen einen Fleck geschissen und ich sehe aus wie ein paniertes Schnitzel. Ich weiß schon selbst nicht mehr, ob ich überhaupt eine Badehose anhabe.
Ich beauftrage meinen Bruder aufzupassen, so lange ich Muscheln suche. Aber der Stinkstiefel will meinen Kescher dafür haben. „Ich bin nicht mehr dein Freund“, brülle ich, trampele meine Burg selbst kaputt und marschiere los. Papa hat mir erklärt, dass da, wo viel kleines schwarzes Holz an den Strand gespült wird, ich auch Bernsteine und Haifischzähne finden kann. In meinen Eimer sammle ich Krebspanzer, Seesterne und kräftige Herzmuscheln zum Kämpfen, er ist bald randvoll. Ich schmeiße tote Quallen zurück ins Wasser und laufe weiter. Endlich habe ich eine Stelle gefunden. Erst bohre ich mit dem Bockermann in dem Prütt herum, dann schiebe ich ihn mit dem ganzen Fuß hin und her. Schließlich lasse ich mich auf die Knie fallen und siebe mit den Händen. Alles, was gelb oder honigfarben ist, lecke ich ab. Harz schmeckt man doch! Ich finde ein altes Gummibärchen, eine geschliffene Glasscherbe und einen Feuerstein, sogar ein noch eingepacktes Campino- Bonbon. Es ist weich und salzig. Plötzlich scheucht mich eine große Welle auf und schmeißt meinen Eimer um. Erschrocken greife ich nach dem Henkel. Meine Schätze flüchten dabei mit dem rückfließenden Wasser: Bernsteine so groß wie Kiesel und Haifischzähne so scharf wie Säbel! Mein Bruder wird staunen.

PS: Es handelt es sich hierbei um ältere, überarbeitete Beiträge, sozusagen alter Wein in neuen Schläuchen.

Werwiewasweissobi

Manchmal fehlt nur ein letztes kleines Sammelbildchen oder ein Würfelchen Zucker. Das ist nicht einfach für einen Wegschmeißer wie mich, der den Kaffee ungesüßt trinkt.
Manchmal ist das große Glück auch nur einen Schritt entfernt und manchmal Lichtjahre. Das ist eine noch viel größere Herausforderung. Denn das Glück besucht nur denjenigen, der es nicht erwartet und nicht damit rechnet. Das wiederum bedeutet, dass nur der Pessimist, der ewige Nörgler, der Schwarzseher oder der Unkenrufende Grund zu jubeln hätten. Eigentlich könnten sie sich ganz entspannt und zufrieden zurücklehnen, Lose auf der Kirmes kaufen oder das Gesicht in die Sonne halten. Sie tun das aber nicht, es könnte ja Regen geben, und beklagen stattdessen, dass sie noch nie etwas gewonnen haben.
Der Optimist, der Idealist, der Tüchtige oder der Tapfere hingegen jagen das Glück vergebens. Ihnen wird niemals ein fetter Lottogewinn anheim fallen, so viel Tippscheine sie auch abgeben werden. Und wenn ihnen irgendwann einmal der Wind doch ein Freilos vor die Füße bläst, dann freuen sie sich darüber, als hätten sie das letzte, fehlende Sammelbildchen gewonnen.

Ich wünsche mir manchmal einfach nur einen Werwiewasweissobi, eine Art Akinator, der auf alle meine Fragen die richtige Antwort weiß: Bin ich glücklich oder bin ich depressiv? Was ist besser? Schmeckt Zucker im Kaffee? Wo geht er dann hin? Warum habe ich noch nie etwas gewonnen? Und was ist eine Zusatzzahl?

Dawo

Manchmal möchte ich da sein, wo der Wind warm ist, wenn er weht. Wo der Regen klar ist, wenn er fällt. Wo einfach alles so ist, wie es sein soll. Wo die Dinge da sind, wo sie hingehören.
Da, wo ich morgens keinen Schlüssel suchen muss oder den zweiten Socken. Da, wo keiner den Toaster hochdreht und das letzte Blatt Klopapier aufbraucht. Da, wo sich das Essen selber kocht und die Waschküche immer leer ist.
Manchmal wünsche ich mir, mit einer kuschligen Decke unter dem Schreibtisch an der warmen Heizung zu sitzen. Die Geräusche verstummen und die Zeit hört auf zu ticken. Diesen winzigen Moment von Geborgenheit und Gelassenheit bewahre ich mir dann in einem Marmeladenglas auf und schnuppere daran, wenn der kalte Wind bläst und trüber Regen ans Fenster klatscht.
Manchmal möchte ich bei der Aktion Sorgenkind gewinnen.
Manchmal wünsche ich mir eine Fee, die sich um mich kümmert und mir die Sorgen nimmt. Sie muss auch nicht jung sein oder hübsch, auch wenn mich das nicht stören würde. Es reicht, wenn sie die Hecke schneidet oder Playmobil sortiert, die Schuhe zum Schuster bringt oder das Paket von der Post holt. Sie könnte für mich zum Friseur gehen und zum Sport, die Blumen gießen oder das Laub fegen. Und ab und zu sollte sie einen kleinen Kuchen für mich backen oder eine Pesto zubereiten.

Dann hätte ich wieder einmal Zeit für mich. Ich käme unter meinem Schreibtisch hervor, würde in der Nase bohren und das goldene Seepferdchen machen.

Der Müller und die undankbaren Esel

Es war einmal ein rechtschaffender Müller, der hatte drei Esel, einen Faulen, einen Frustrierten und einen Fetten. Der faule Esel blieb schon morgens einfach liegen, der Frustrierte zählte immer wieder seine grauen Haare und der Fette fraß von früh bis spät. Dennoch kümmerte sich der Müller um sie, so gut er konnte, und obwohl sie ihm nicht von Nutzen waren, verlor er nie ein böses Wort über sie.

An einem Abend aber ging der Müller noch einmal zum Stall, um den Eseln frisches Stroh und Wasser zu bringen, weil er es am Tag vor lauter Arbeit versäumt hatte. Als er vor der Türe stand, da hörte er, wie sie ihr schlechtes Leben beklagten. Ihm sei so langweilig, stöhnte der Erste. Der Zweite schimpfte, sogar die Zebras hätten Streifen und der Dritte schmatzte, das Futter mache dick. Da fasste der Müller einen Entschluss und schlich sich wieder ins Haus.

Gleich am nächsten Tag führte er die drei Graurücken ins Dorf auf den Markt. Den faulen Esel verschenkte er an einen Wanderzirkus, den frustrierten Esel tauschte er bei einem Schrankenwärter gegen ein altes Kursbuch der Deutschen Bahn und den Fetten verkaufte er dem Koch des Königs.
Zufrieden kehrte der Müller in seine Mühle zurück, mahlte ein Dutzend Säcke Korn, schaute noch einmal in den leeren Stall, lächelte und ging zu Bett.

In dieser Nacht stand der Mond schon hoch am Firmament, als die Zirkuswagen endlich stoppten und der faule Esel angeleint wurde. Seine Hufe schmerzten ihm von dem weiten Weg und er war müde. Er wollte sich schlafen legen, aber der Boden war hart und kalt, und der wilde Wind wirbelte Stock und Stein hin und her, dass es nur so krachte.
Er sehnte sich zurück in seinen Stall und dachte: “Oh je, was bin ich doch für ein dummer Esel gewesen!”

Auch der frustrierte Esel konnte nicht schlafen. Jede Stunde schnaubte ein tonnenschwerer Dampfzug an dem kleinen Bahnhäuschen vorbei. Der Kessel qualmte, die Räder ratterten, schaurige Schatten tanzten über die wackelnden Wände und dicker, dunkler Rauch fraß gierig alle Farben auf. Der Esel hustete, kniff die Augen zu und zitterte am ganzen Leib.
Er sehnte sich zurück in seinen Stall und dachte: “Oh je, was bin ich doch für ein dummer Esel gewesen!”

Dem fetten Esel erging es auch nicht besser als seinen beiden Verwandten. Der Koch hatte ihn eigentlich sofort schlachten wollen, aber der Narr des Königs band eine Möhre an einen Faden, knotete das andere Ende an seinen Schellenstab und lockte das Giermaul in den Thronsaal. Dort saß der König mit seinem Hofstaat bei einem Festmahl. Als der Esel das frische Obst und die vielen Leckereien auf den langen Tischen sah, lief ihm das Wasser im Maul zusammen und er glaubte, er sei eingeladen mitzuessen und wollte sich setzen. Aber die feine Gesellschaft verhöhnte und verspottete ihn und jagte ihn zum Tor hinaus.
Hungrig lag er nun am Teichufer, sehnte sich zurück in seinen Stall und dachte: “Oh je, was bin ich doch für ein dummer Esel gewesen!”

Das Jahr wechselte die Farben und auch der nächste Sommer kam und ging. Die große Ernte war eingefahren und der Müller hatte viel zu tun. Als endlich alles Korn gemahlen war, lud er die schweren Säcke auf seinen Karren, schnürte sich ein kleines Proviantpaket und machte sich auf die lange Reise zum Markt.

Auf halbem Wege kam er an einer Wiese vorbei. Ein Zirkus brach grade seine Zelte ab, tannengroße Männer stemmten riesige Stoffrollen auf einen Wagen, ein klitzekleiner Kerl brüllte Kommandos und bunte Vogelfrauen führten Pferde in ihre Boxen. Der Müller blinzelte gegen die Sonne und schaute dem munteren Treiben eine ganze Weile zu, als er schließlich den faulen Esel erblickte. Er lag im schmutzigen Staub und starrte in den Himmel.
Da ging der Müller zu ihm, streichelte sein Fell und sagte: “Steh auf, du alter Esel und hilf mir, ich habe viel zu tragen!”
Das Langohr tat wie ihm geheißen. Der Müller zahlte dem Zirkusdirektor den Preis, den er verlangte, spannte den faulen Esel vor den Karren, teilte seinen Proviant mit ihm und so marschierten sie los.

Es war längst Nachmittag geworden, als sie an ein kleines, verrußtes Bahnhäuschen kamen. Sie hielten an und lauschten den seltsamen Klängen aus der Ferne, als sich plötzlich scheppernd die Schranken senkten. Der Boden begann, laut zu grollen und zu grummeln und dichter Qualm hüllte sie ein. Der Müller und der faule Esel klammerten einander fest und wagten kaum zu atmen, als mit einem Mal ein Eisenross mit glühenden Augen fauchend an ihnen vorbeidonnerte. Erst nach langen, bangen Minuten war der Spuk beendet und es wurde wieder hell um sie herum. Sie schauten auf und da stand vor ihnen auf dem Weg der frustrierte Esel mit gesenktem Kopf.
Als der Müller ihn erkannte, ging er zu ihm, klopfte sein Fell sauber und sagte: “Sieh nicht alles so schwarz, du alter Esel und hilf uns, das Mehl zum Markt zu bringen.”
Das Langohr tat wie ihm geheißen. Der Müller zahlte dem Schrankenwärter den Preis, den er verlangte, stieg auf des frustrierten Esels Rücken, teilte seinen Proviant mit ihm und so trotteten sie zu dritt weiter.

Schließlich gelangten sie zum Schloss des Königs. Ihre Reise war anstrengend, der Durst plagte sie und so beschlossen sie, im Park ein wenig zu rasten und sich am Teich zu erfrischen. Als sie nun auf dem Steg saßen und verschnauften, kam mit einem Mal der fette Esel aus dem Dickicht gradewegs auf sie zugestoffelt. Er schmatzte und kaute auf einer Rübe herum. Der hölzerne Anleger bog sich bedrohlich in der Mitte durch, er knackte und knarzte, er schwankte und schaukelte, ehe er vollends entzweibrach. Der Müller und die beiden Esel konnten sich noch mit einem beherzten Sprung ans Ufer retten, der fette Esel aber platschte wie ein Komet ins Nass. Entsetzt schrie und strampelte er um sein Leben. Mit vereinten Kräften gelang es den drei Wanderern, ihn an Land zu ziehen. Japsend rang der fette Esel nach Luft und das Wasser triefte nur so aus seiner grauen Mähne. Erst jetzt erkannte er, wer ihn soeben vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
“Guter Müller”, flehte er, “nehmt mich mit. Ich kann in diesem Schlosse nicht länger sein. Der Koch will mich schlachten und zu Salami verarbeiten, sobald ich fett genug bin!”
“Alles, was recht ist, lieber Esel”, antwortete der Müller, “der Weg ins Dorf ist nicht mehr weit. Wenn du unseren restlichen Proviant trägst, dann will ich wohl mit dem Koch reden.”
Der fette Esel jedoch schüttelte nur mit dem Kopf, “das ist mir zu schwer, das schaffe ich nicht!”
Da ging der Müller zu ihm, streichelte ihm über das Fell und sagte: “Wenn du bleibst, wie du bist, wirst du nicht werden, wie du möchtest, du sturer Esel!”

Sodann gab der Müller seinen beiden Gefährten ein Zeichen, jeder schulterte sein Gepäck und sie zogen weiter ihres Weges.

Der faule und der frustrierte Esel aber halfen dem Müller fortan, wo sie nur konnten und verloren nie wieder ein schlechtes Wort.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.