Tiefkühlpizza

Manche hat Frau Schicksal reichhaltig und lecker belegt mit Currywurst oder Gyros, während andere aussehen wie der umgepflügte Strafraum von Arminia Bielefeld und genauso schmecken. Es gibt sogar vegane Varianten mit Schotter und Rindenmulch, wie ich mich persönlich im Biomarkt überzeugen konnte. Neulich jedoch entdeckte ich in der Gefrierabteilung meines Discounters die Schokopizza eines ortsansässigen Backpulvermischers. Ich war schockiert. Was auf den ersten Blick aussah wie der Schiss einer Trottellumme auf einem tiefgefrorenen Teigfladen, änderte sich auch nach dem Backen nicht. Ganz im Gegenteil, die Ähnlichkeit war bestechender denn je. Ok, ein bisschen Tier muss sein, aber bitte nicht so!

Wennesma

Wenn es mal so einfach wäre, wie mein Therapeut sagt! Dann müsste ich mich nicht immer so aufregen, sondern könnte im Kopf leise bis Sieben zählen. Und schon wäre der Fußball nicht mehr durch die geschlossene Terrassentür ins Haus geflogen oder das Wasserrohr im Keller ausgerechnet während des Urlaubs geplatzt.
Wenn es mal so einfach wäre, dann würde ich essen können, was mir schmeckt und dennoch nicht zunehmen. Ich könnte mich sogar komplett fleischfrei ernähren und hätte trotzdem nicht das Gefühl, das mir etwas fehlt. Ich hockte nur im Streichelzoo herum und äße den Hasen und Ziegen den Salat weg, bis sie anfingen, mich dafür zu stupsen und zu stoßen. Dann würde ich vielleicht in meiner hungrigen Verzweiflung einen Zaunpfahl ausreißen, um damit um Hilfe zu winken und schlüge dabei aus Versehen alle Tiere tot. Ich wäre dann zwar immer noch Vegetarier, dürfte sie aber nicht essen und sie wären umsonst gestorben.
Wenn es mal so einfach wäre, dann wäre nicht alles gleich besser!

Mein Schweinehund namens Carpe Diem

Da soll mir noch einer erzählen, ich würde die Gelegenheiten nicht nutzen die sich mir im Leben so bieten. Das ist völliger Quatsch und sogar Bullshit, oder auf Deutsch: Ochsenpisse.

Wenn es zum Beispiel regnet, bleibe ich im Haus und überlege, was ich alles machen könnte, wenn jetzt die Sonne schiene. Das finde ich weitaus sinnvoller, als mich draußen zu grämen, dass ich klitschnass bis auf die Knochen bin und nicht weiß, wohin.
Und ist mein Kühlschrank leer wie ein Fußballstadion drei Stunden nach Abpfiff, drehe ich einfach das Birnchen heraus, so muss ich das Elend wenigstens nicht auch noch sehen. Dem Nachbarn hingegen, bei dem es so lecker aus dem Fenster riecht, bringe ich genau dann DIE Eier zurück, die mir vor mehreren Wochen geliehen hat.
Oder angenommen, ich habe tatsächlich einmal einen Strafzettel unter meinem Scheibenwischer, so bleibe ich gleich den Rest des Tages umsonst dort stehen, mache derweil in aller Seelenruhe meine Einkäufe in der Stadt, lasse mich frisieren und liften und zeige jeden dämlichen Falschparker beim Ordnungsamt an.
Und wenn wirklich wieder alle Unterhosen in der Wäsche sind und sämtliche Socken Löcher haben, dann denke ich daran, wie schön es wäre, jetzt nackt durch den Regen zu laufen.

So einfach ist das Leben, carpe diem!

Es geht voran

  • Was treibst du eigentlich die ganze Zeit?→ Wenn ich nicht grade in der Hüpfburg bin, dann schreibe ich kräftig an meinem ersten „echten“ Roman.
  • Wie soll er heißen?→ Nicht anders als „Quergefönt“.
  • Hast du schon einen Verlagsvertrag dafür?→ Hatte Jesus selber Nägel?
  • Wann wird er erscheinen?→ Im Frühjahr 2014. Bis zum Murmeltiertag (2. Februar) schreiben Murat und ich noch am Manuskript.
  • Worum geht es?→ Um Freundschaft und die große Liebe, Fußball und Bier.
  • Ist die Geschichte autobiografisch?→ So wahr ich Franco Bollo heiße!
  • Wer ist das denn schon wieder?→ Mein alter ego, mein neues Pseudonym und mein bester Freund.
  • Warum?→ Weil ich es so will und kann.
  • Echt?→ Vielleicht! Frag nicht so dumm!
  • Ja?→ Nein!

Angstwut

Manchmal ist in meinem Kopf so wenig Platz, dass ich alles, was nicht niet- und nagelfest ist, bei eBay verkaufe, aktiv vergesse oder gnadenlos wegwerfe. Selbst Geschichten, die gestern erst geschehen sind, können heute schon Ballast sein, der mich abhält, nach vorne zu schauen und den Aufstieg auf den Olymp zu schaffen. Nur selten passiert es mir dabei, dass ich doch das eine oder andere Stückchen davon gerne wieder hätte. Aber das hat mich nie wirklich gestört, denn es ereignen sich ja täglich neue Überraschungen, die mir den Kopf zumüllen. Und deswegen finde ich es sinnvoller zu vergessen. Wo soll ich auch hin mit dem alten Rotz in meiner kleinen Einzimmerwohnung der Erinnerungen? Da müssen manche Sachen eben auf der Strecke bleiben.
Es ist wie auf einer Party: Die Gäste kommen und gehen, der Alkohol fließt in Strömen, wir rauchen Kette und reden über Fußball. In der Küche stapeln sich durchweichte Pizzakartons und braune, angetrunkene Flaschen reihen sich dichtgedrängt an­ei­n­an­der wie Arminiafans in der Südkurve. Irgendwann schütten wir uns einen Schlummerschluck zusammen, pflücken die Zigarettenfilter aus dem trüben Gesöff, exen die Brühe und legen uns auf den Boden zum Pennen. Am nächsten Morgen dröhnt der Schädel wie ein Bohrhammer und die Knochen tun weh, als hätten wir unter einem Elefanten geschlafen. Das Bad ist für eine Woche unbewohnbar, aber zum Pissen im Stehen reicht es. Abends kommen ein paar neue Freunde zum Restetrinken und wir kotzen gemeinsam in die Regenschirmkanne. In der Erinnerung war es trotzdem ein rundum gelungenes Fest.

Ich mag es einfach, wenn die Dinge noch eine Ordnung und Bezug zueinander haben. Ich will mich darauf verlassen können, dass Bier seit 1516 nur mit bestem Hopfen, Hefe, Malz und Wasser gebraut ist. Deswegen verdränge ich die Realität, dass es Sorten gibt, die besser im Süßwarenregal stünden und nach bunter Zuckerwatte schmecken. „Pfui, wer so etwas trinkt, der wählt auch Trump“, sagt mein Wirt immer und ergänzt dann, nach einer kleinen andächtigen Pause: „Der letzte Schluck sollte ein Herforder sein.“ Da hat er Recht. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Pils, aber nicht an meine erste Kola.

Und das ist genau das, was ich meine: Es gibt so viele Dinge, die es sich gar nicht zu merken lohnt. Das, was ich darüber hinaus noch rauskehre, bis die Hirnstube leer ist wie ein ostdeutscher Supermarkt vor der Wende, sind unwichtige Kollateralschäden. Was gestern war, ist vorbei und kommt nicht wieder. Nur weil mich einmal der Blitz beim Scheißen im Wald getroffen hat, so hat es doch tausend Mal vorher Spaß gemacht und ich muss deswegen nicht grundlegend mein Leben ändern. Und wenn die Uhr auf Winterzeit umgestellt wird, geht zwar die Sonne eher unter, aber nicht gleich die ganze Welt. Ich habe sogar eine Stunde länger Zeit, neues Bier zu kaufen. Es spielt auch überhaupt keine Rolle, ob ich gestern irgendetwas hätte tun können. Wichtig ist einzig und allein nur, ob ich es getan habe.
Ich hasse dieses ewig wiederkehrende Lied in meinem Kopf, weil es mich verrückt macht. Jeden Tag schießen mir hundert Momente durch den Gedankenwald, wie es zum Beispiel wäre, wenn ich ihr genau jetzt sagen würde, dass ich Lust hätte, sie zu vögeln und einen Augenblick später verfluche ich mich dafür, dass ich es tat. Was geht mir das auf die Nüsse! Das darf doch wohl nicht wahr sein. Kann denn niemals etwas perfekt sein? Muss denn immer alles im Fluss sein? Ich will mich manchmal einfach nur hinsetzen und zur Ruhe kommen, bis die Dinge so bleiben, wie sie sind und sich nichts mehr verändert. Aber nein, stattdessen rast schon wieder die nächste Katastrophe mit überhöhter Geschwindigkeit die abschüssige Kurve hinab.

Gerne würde ich einmal glauben, dass alles so seine Richtigkeit hat. Doch nur zu oft packen mich Gefühle von Zweifel und Unsicherheit. Versagensängste klopfen penetrant wie der Bofrostmann an meine Tür. Beim letzten Mal hat er mir einen überteuerten Tiefkühl- Adventskalender angedreht und mich dabei angeschaut wie Klaus Kinski. Ich konnte drei Wochen lang nur mit großem Licht schlafen und habe bei der nächsten Sitzung meine Psychologin mit einer gefrorenen Laugenstange bedroht. Erschrocken meinte sie, ich solle meine Angstwut doch einmal aufmalen. Ich schnappte mir die Farben und knallte ihr ein Happening aus Rot und Schwarz schwungvoll auf die Leinwand, so dass Pollock kleinlaut um einen Praktikumsplatz bei mir gebettelt hätte. Dabei sang ich laut Dicke von Westernhagen. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich ihre nackten Brüste mit bloßen Händen anmale und ihr ein Geweih auf den knackigen Arsch schmiere. Doch die alte Kuh kroch nur tiefer und tiefer in ihren Ohrensessel, blätterte in der roten Medikamentenliste und telefonierte. Als meine Musik verstummte, nahm ich mir ein Cuttermesser und schlitzte sie langsam auf. Der erste Stich durchdrang das straff gespannte Gewebe mit dem leisen Geräusch wie ein Reißverschluss, dann färbte sich die Klinge blutrot und zeichnete wie von selbst ein Satanskreuz. Ich setzte mich still davor, rauchte und betrachtete genussvoll mein Werk, bis ein Sondereinsatzkommando die Praxis stürmte und die völlig zerstörte Leinwand beschlagnahmte.

Wie lange mag das wohl her sein? Ich weiß es nicht! Vielleicht ist es auch nie geschehen, wer kann es wissen? Vergangenheit ist wie eine alte Sendung Aktenzeichen xy, unaufklärbar, ewig her und nicht mehr zu ändern. Also brauche ich mir keinen Kopf darum zu machen, was damals war oder nicht. Es reicht, wenn ich mich an meinen Namen erinnere. Zum Glück habe ich ja zwei, falls ich den einen doch einmal vergessen sollte …

Warum ich den Rattenfänger erschoss

Ich gebe es zu: Ich habe Angst vor Flöten. Der Psychologe nennt das Aulophobie.

Wenn ich nur an Flöten denke, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Schon ein einziger Ton aus diesem löchrigen Langstock dringt mir bis ins Rückenmark und löst  einen optischen Tinnitus aus. Das fühlt sich an, als hätte man eine Flöte im Auge. Obendrein frieren temporäre Lähmungen meine Motorik ein, das ganze System fährt herunter. Da geht nix mehr mit meinen sonst so flüssigen und eleganten Bewegungskoordinationen, die sonst die Leute am Straßenrand in Staunen und Entzücken versetzt haben. Ich stake nur noch holzbeinig und hilflos wie der Bofrostmann im Tanzkurs herum.  Angst und Bange beschreiben die Reaktion der Umherstehenden jetzt besser und treffender.
Also meide ich alle Orte, an denen mir Flöten in irgendeiner auch nur erdenklichen Form begegnen könnten.

Ich mache einen großen Bogen um meine Küche, wo der Wasserkessel bedrohlich auf dem Herd darauf wartet, jeden Augenblick sein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert zu beginnen. Stattdessen hole ich mir lieber einen To- go- Kaffee an der lautesten Kreuzung der Stadt.

In die Kirche traue ich mich schon lange nicht mehr, seit in der Weihnachtszeit einmal eines dieser unsäglichen Flötenorchester aus völlig unmusikalischen Grundschulkindern im Zahnwechselalter die Empore fast zum Einsturz gebracht hätten. Ich kuschele mich stattdessen lieber wieder in meine Daunendecke und drehe mich noch einmal um.

Außerdem mache ich einen weiten Bogen um jede Musikalienhandlung und auch Einkaufsstraßen mit chilenischen Panflötisten kann ich nur mit aufgesetzten Kopfhören und Iron Maiden auf 110 dB passieren. Da bestelle ich doch alles lieber im Internet und lasse es mir dann nach Hause liefern. Und wehe die dumme Sau von Postbüttel klingelt.

Auch auf jeder Scheißlauffläche für Köter zucke ich sekündlich zusammmen, denn selbst die angeblich unhörbaren Hundepfeifen schrillen in meinen Ohren wie eine Schiffssirene. Ich sympatisiere daher eher mit Katzen, die kacken wenigstens in die Ecke.

Es gibt sogar ganze Orte, die kann ich nicht bereisen: Ferna zum Beispiel mit dem Flöte spielenden Stadtwappenengel oder die Windflöte bei Bielefeld. Nun, das ist sicher nicht weiter schade, aber ich kann auch keinem Spielmannszug in igendeiner anderen Stadt beiwohnen. Und selbst auf der Arbeit, sonst ein herrlich unmusikalischer Verein, sehe ich nur Blockflötengesichter.

Und so geschah es dann eines Tages, dass ich in Hameln den Rattenfänger während eines akuten Krankheitsschubes als mein Feindbild schlechthin auf offener Straße einfach erschoss. Es tut mir auch leid.

Was mir aber wirklich fehlt, das ist der Fußball. Ich kann nicht mehr ins Stadion gehen und schaue nur noch stumm die Sportschau. Das ist verdammt hart.
Wenn ich es mir so recht überlege, vielleicht sollte ich einfach drauf pfeifen.

Alter Zopf

Irgendwann werde ich einen Zopf tragen und einen weißen Bart. Ich lerne Pfeife rauchen und Backgammon spielen. Dann sitze ich auf der kleinen Piazza im Oleander- und Pinienschatten und erzähle mir mit den anderen Vergrauten bunte Geschichten von früher, als der Papst noch Pole war und Deutschland Fußballweltmeister. Aus den Küchenfenstern um uns herum klappert Geschirr und es duftet nach Olivenöl, Tomaten und Knoblauch. Die Spatzen in den Ästen rufen zum Essen, ich habe Hunger.

Der Riese und der Zauberer

Eine beliebte Übung in Kreativen Schreibkursen und Seminaren ist das Fortsetzen von den ersten Zeilen eines Romans. Aus den verschiedenen Vorlagen habe ich mir „Wie der Soldat das Grammophon reparierte“ von Saša Stanišić ausgesucht und die Figuren und die Handlung frei weiter entwickelt.

Opa Slavko maß meinen Kopf mit Omas Wäschestrick aus. Ich bekam einen Zauberhut, einen spitzen Zauberhut aus Kartonpapier und Opa Slavko sagte: „Eigentlich bin ich noch zu jung für so einen Quatsch und du schon zu alt.“ (Orig.)

Das verstand ich nicht, wie konnte ich zu alt und er zu jung zum Spielen sein?! Aber Opa Slavko sagte öfter Sachen, die ich nicht verstand. Zum Beispiel, dass es die beste Entscheidung war, die Oma zu erschießen. Sie war eine einfache, aber tüchtige Frau. Oben auf dem Küchenschrank hatte sie eine alte Blechdose versteckt, in der sie oft selbstgebackene Maronenkekse aufbewahrte. Sie dachte, ich käme da nicht ran, aber das stimmte nicht. Immer, wenn sie in den Keller ging, um aus dem großen Holzfass Kartoffeln zu holen, schnappte ich mir aus dem Badezimmer die wacklige Fußbank und schob sie in die Küche. Von dort kletterte ich auf den Tisch am Fenster. Einmal sah ich dabei, wie Opa Slavko die Katzenjungen fing, in einen Sack stopfte und damit hinterm Haus verschwand. Kurze Zeit später stand er mit nassen Hosenbeinen plötzlich in der Küche. Ich hockte inzwischen ganz oben auf dem Schrank und versuchte verzweifelt, den angerosteten Deckel zu lösen. Ohne ein Wort zu sagen, kam Opa auf mich zu, hob mich herunter, drehte knatschend die süße Dose auf, drückte sie mir in die Hand, nahm sich selbst einen Keks und ging ins  Schlafzimmer. Ich stopfte grade das vierte Plätzchen in den Mund, als ich die Oma die schwere Buchentreppe herauf poltern hörte. Starr vor Schreck und weiß vor Wut stand sie plötzlich in der Küchentür. Die Kartoffeln ihr polterten aus der Schürze und kullerten durch den Raum. Eine blieb direkt vor meinen Füßen liegen. Oma griff nach dem Reisigbesen, der an der Wand lehnte, und holte aus. Ich stolperte rückwärts, als Opa dazwischen trat und sagte: „Lass nur, Nada, ich habe sie ihm gegeben, er hat mir im Garten geholfen.“

So war Opa Slavko, stark wie ein Riese und jeder im Dorf zitterte vor seinem Jähzorn. Vor mich aber stellte er sich immer schützend. Auch, als ich mit dem Fußball das große Fenster in der Kirche zerschossen habe. Opa behauptete, er sei das gewesen und wenn jetzt nicht endlich Ruhe wäre, würde er noch den Beichtstuhl zertrümmern. Schließlich stünde der Winter vor der Tür und er bräuchte Holz zum Heizen. Beim nächsten Gottesdienst sammelte der Pfarrer in der Gemeinde für das neue Kapellenfenster, das im letzten Sturm zu Bruch gegangen sei. Ich gab alles, was ich hatte und das war nicht viel.

Doch eines Tages war auch Oma Nada verschwunden. Die Leute reden viel in einem kleinen Dorf.

Weitere Geschichten von Opa Slavko gibt es hier, hier und hier.
Sie beschreiben kleinen Szenen, die noch nicht in einen Erzählrahmen eingebettet sind, also keine zeitliche oder dramaturgische Reihenfolge zu einander haben.

Gesichtsyoga

Fortsetzung von Freu Dich nicht zu spät! (Kapitel 1), Abstelltraum (Kapitel 2), Strebergarten (Kapitel 3), Wortgeflecht (Kapitel 4), Kassensturz (Kapitel 5) und Gleicheitrige (Kapitel 6)

Noch am gleichen Abend stelle ich Murat meine neue Geschäftsidee vor und zeige ihm meine Notizen in der Chinakladde. Er ist sofort hellauf begeistert, meint aber, wir müssten diesmal „solider“ an die Sache herangehen. Großzügig lade ihn zu der Unternehmermesse ein, unter der Bedingung, dass er meinen Deckel bei Renzo bezahlt und den Laden auf Vordermann bringt. Schließlich hat er ja auch seine Kehrwoche nicht eingehalten. Er zieht eine Augenbraue hoch, schielt mich an wie Angela Merkel bei der Damenwahl, stimmt dann aber zu. Ein schlauer Kopf, mein Murat.
Am Samstag schließen wir das Geschäft schon mittags. An der Tankstelle kaufe ich noch ein Duftbäumchen und zwei Dosen Haake- Beck, während Murat volltankt und nach dem Öl schaut. Ich setze mich schon mal und suche im Radio die Vorberichtserstattung der Fußball- Bundesliga. Mit einer Packung Knistertabak und zwei Dosen Efes kommt Murat aus der Kassensauna zurück. Wir stoßen euphorisch auf unseren neuen Coup an und dieseln Richtung Autobahn los. Es ist stickig und die Fensterkurbeln drehen an beiden Türen einfach durch. Murat schwitzt hinterm Steuer, als sei Biblis A kurz vor der Endabschaltung doch noch geschmolzen. Ich biege den Ventilator ein Stück weiter zu mir. Den letzten Kilometer geht es nur noch Meterweise vorwärts, frustrierte Coffee to go- Becher säumen die Straße. Endlich rücken wir auf Platz Eins der Karawane der Parkwilligen vor, als Murat plötzlich seine Mokassins hart auf die Bremse haut. Der Wagen nickt tief vor einem Männchen in Warnweste und Sicherheitsschuhen ein, das Arm wedelnd vor unserem schnaubenden Kühlergrill steht. Ich pralle mit dem Kopf an die rotierende Windmaschine, die mir eine tiefe Blitznarbe in die Stirn schneidet und stoße einen unverzeihlichen Fluch aus. Grüne Lichtblitze sirren umher, prallen aber an der massiven Karosserie unseres Rapids ab. Der selbstständige Parkplatzeinweiser taumelt, tritt dann bleich an die Seitenscheibe und will schon einmal 5€ kassieren. Ich klopfe mein Testsieger- Shirt ab, zucke mit den Schultern und schaue Murat an. Er pflückt einen klammen Schein aus seiner Hosentasche, öffnet die Tür einen Spalt weit und reicht ihn hinaus. Ein kühler Windstoß schwappt herein. Das Parkticket könnten wir von der Steuer absetzen, ruft der Wegelagerer uns fröhlich zu. Ehe ich ihn mit dem Imperius- Fluch gefügig machen kann, gibt Murat auch schon wieder Gas und rauscht den Weg an den langen Messeblechhallen vorbei. Direkt vor dem Haupteingang quetscht er sich auf einen Frauenparkplatz zwischen zwei Twingos. Durch die großzügige Kofferraumtür stolzieren wir nach draußen. Die Sonne lacht uns zu, wir lachen uns an, umarmen uns und gehen unter bewunderten Blicken auf dem roten Teppich zum Portal. Auf einmal huscht Ayse an uns vorbei und verschwindet ebenso plötzlich im Getümmel. Mir stockt der Atem, zittrig nestele ich nach dem Einlassticket, reiche Murat seines und sprinte hinterher. Erst jetzt bemerke ich, dass ich auf falschen Wegen wandele und im Fluss der zeitgleichen Eventausstellung „Einfach Frau sein“ schwimme. Panisch versuche ich noch umzudrehen, doch ich werde vom immer dichter werdenden Strom mitgerissen in den Dschungel der pastell- farbenen Begehrlichkeiten von Schmuck, Parfüm, Dessous, Wellness und Fitness, Haartrends, Dekorieren, Urlaub, Essen und Trinken und Trennungsberatung. Die letzte Welle spuckt mich direkt in einen Pulk blondierter Perückenschafe und Beratungsopfer, die am Stand der Weight Watchers Flyer, Ernährungstipps und Punktetabellen studieren. Mitgeschleifte Ehemänner in Fußball- Trikots starren abseits an einem Bierstand auf einen winzigen Fernseher, auf dem das Livespiel um den Spitzenplatz grade angepfiffen wird. Ich erkenne Renzo und will ausscheren, kann aber keinen Halt finden und werde weiter ins Innere des Plüschtempels geschoben und auf einen mintblauen Stapelstuhl gedrückt. Die Vorsitzende des Anorexie- Verbandes „Rund war die Frau“, die einer Brausestange Konkurrenz machen könnte, hält einen Multimedia- Vortrag zum Thema „Ich esse meine Suppe nicht“ und projiziert ein verzerrtes, dünnes Kerlchen auf Wand und Decke. Diät-Assistentinnen mit der eingefrorenen Mimik eines Tauschbildes reichen grüne Tees und stille Wasser zu gedünstetem Rohkostschnitzel auf einem ungeschälten Wildreismantel. Ayse ist eh verschwunden, denke ich mir und mache ich mit den Händen ein tolles Schattenbild (ein Murmeltier!), bis ich mit Süßstoffwürfeln beworfen werde. Fluchend flüchte ich hinter einen Vorhang, als ein schriller Schrei das Gebet zerreißt und von den kalten Metallwänden jäh zurückgeworfen wird. Entsetzt drehe ich mich um und blicke in Ulla Popkens nackte Augen. Noch ehe ich sie zu ihrer Figur beglückwünschen kann, bekomme ich einen Seegraskorb um die Ohren geschlagen. Pröbchen, Rabattgutscheine, Traubenzucker, bedruckte Einkaufswagenchips, Feuerzeuge und Kugelschreiber purzeln wild umher. Es sieht aus wie in Wacken am dritten Tag des Open Air- Festivals. Der übergewichtige Modeirrtum jagt mich trampelnd aus dem Zelt. Erst am Ha-Ra- Stand kann ich sie abschütteln, indem ich mich durch ein Nest damenbärtiger doppelter X- Chromosomenträger in die erste Reihe drängele. Eine gefühlte Halbzeit später schleiche ich mit einem revolutionären neuen Putzsystem mehr und einem gefühlten Monatsverdienst weniger von dannen. Erschöpft lasse ich mich in einen Massage- Sessel fallen. Das schwarze Leder klebt schwer auf meinem durchschwitzten Shirt. Geschickt streife ich mit der Hacke meine Schuhe ab, werfe 5 Euro in den Automatenschlitz und massiere meinen geschundenen Kiefer. Ich schaue auf meine Uhr und will grade die Zwischenergebnisse auf meinem Handy abrufen, als mich vier stählerne Hände von hinten packen. Zwei stiernackige PEZ- Gesichter nicken mit offenen Mündern und schiefen Nasen zur Tür. Eine Traube geifernder Weiber umkreist mich schnell, klatscht in die Hände und skandiert synchron „Ausziehen!“ Ich denke an meine Popeye- Unterwäsche und lasse mich ohne Widerstand hinausbegleiten.
Draußen steht die Sonne schon tief, ein verführerischer Bratwurstduft liegt in der warmen Abendluft. Bargeldlos, barfuß und blinzelnd folge ich ihm über den Parkplatz, bis ich in der Ferne Murat erkenne, der quatschend mit Ayse auf der Ladekante von unserem Wagen sitzt. Ich schleiche mich geduckt an und versuche, mir mein Geld aus dem Handschuhfach zu angeln. Im Radio laufen die letzten Minuten des heutigen Spieltages, es geht in allen Stadien hin und her. Als die Bayern in der Nachspielzeit einen ungerechtfertigten Elfmeter geschenkt bekommen, schlage ich fluchend aufs Blech. Plötzlich tauchen neben mir irgendeine Drahtbürste von den Gewichtsguckern und die Hand geflochtene Picknicktasche aus der Umkleidekabine auf. Die beiden Tuppertanten steigen in ihren Twingo und brausen mit meiner Deckung davon. Im letzten Moment kann ich mich mit einem kühnen Sprung unter unseren Renault retten. Durch den Unterboden muss ich dumpf den Torjubel der sprachdefizitären Südstaatentruppe mit Migrationshintergrund hinnehmen und stoße mir fast den Kopf vor lauter Zorn. Dann stellt Murat, der Banause, noch vor dem Schlusspfiff auf einen türkischen Sender um und trällert verliebt mit Ayse Tarkan´s einzigen Hit. Jetzt stoße ich mir den Kopf. Auf ein Mal steht Murat wie ein Strauß da, schaut kopfüber durch seine Beine hindurch und sieht meine Füße unter der Stoßstange heraus ragen. Ich schäle mich unter dem Wagen hervor, „alles klar“, sage ich, wische mir die öligen Hände an der neuen Jeans ab, „der Zylinder ist wieder dicht! Wir können weiter! Pass aber diesmal besser auf!“ Murat schaut mich an wie ein Playmobil- Sultan und ein winziges Lächeln huscht über Ayse´s Gesicht.
Nächste Woche ist wieder Messe, diesmal „Mann sein“. Da gehe ich sicher hin, Gina Wild gibt Autogramme!

Doch vorher führt uns unser Weg noch hierhin

Bratkartoffelverhältnis

Ich drückte mein Gesicht dicht an die klebrige Busscheibe. Ein Dutzend toter Fliegen pappte daran wie an einem Leimstreifen. Der Kloß in meinem Hals war so groß wie ein Fußball, und ich wusste, dass das, was kommt, nie mehr so sein wird wie das, was war. Ich wusste nicht, was ich einmal werden wollte, aber jetzt wollte ich nur bei dir bleiben. Hier ging ein fantastisches Abenteuer zu Ende. REM spielte ein letztes Mal für uns Loosing my religion und ich verlor die Vision eines kleinen Jungen, der von der großen Liebe träumte. Ich suchte vergebens deinen Blick irgendwo da draußen und schluckte den Ball hinunter. Der Meeresspiegel stieg dadurch und drückte Salzwasser in meine Augen. Es brannte. Wut schnaubend und grollend setzte sich der Bus in Bewegung. Mit jedem Meter zurück in die verregnete Heimat wuchs die Sehnsucht, an diesen Ort zurück zu kehren und in Leidenschaft an etwas zu glauben, das so schön war wie du. Es gab nur eine Handvoll Momente in all den Jahren danach, in denen ich annähernd dachte, jemandem wie dir wieder zu begegnen. Aber keine einzige hat mich so verzaubert wie du.

Jetzt stehe ich hier auf Block 3. Das letzte Heimspiel einer völlig verschissenen Saison geht zu Ende. Abgeschlagen auf Platz 18 versinkst du in den Niederungen vorsokratischer Balltändelei. Wir waren mehr als ein Jahrzehnt auf dem Olymp, häufig auf schmalem Grat und kurz vor dem Fall. Manchmal schlugen wir die Großen, die leichtgläubig meinten, uns fressen zu können. Oft schlugen wir uns selbst. Ich habe dich bejubelt und beschimpft, dich bestaunt und verflucht. Ich habe mir schnarrende Übertragungen im Radio angehört und stand auf der Südtribüne immer hinter dir, einmal sogar mit OP- Hemd unterm Trikot und Braunüle im Handrücken. Ich habe legendäre Partien gesehen auf Schnee bedecktem Platz und ich hatte Pipi in den Schuhen im Hochsommer. Manchmal denke ich sehnsuchtsvoll an unsere erste Begegnung zurück, als wir Bonanza – Jungs mit einem muffigen Tennisball auf der Straße kickten. Ich stand mit Pickeln und Arbeitshandschuhen im Gartentor und habe 11 Buden kassiert, genau wie du an diesem Nachmittag. Mein Spitzname „Alter Finne“ war geboren.

In meinem Herzen sind deine Buchstaben eintätowiert, in meinem Garten weht stolz deine Fahne, auf meinem Auto kleben treu deine Farben. Und in meinem Hals habe ich wieder diesen Kloß. Ich kann nicht glauben, dass du jetzt gehst. Schwer verwundet liegst du auf dem Sterbebett. Die Ärzte haben keine Hoffnung mehr und schalten die Infusionen ab.

Arminia, keine einzige hat mich so verzaubert wie du.

Hühneraugen

Links und rechts habe ich sie, mitten unterm Zehenballen. Bei jedem Schritt muss ich mich entscheiden: Entweder zu staken wie der Storch im Teich oder zu huschen wie über glühende Kohlen. Das ist nicht schön anzusehen.

Letztens erst hat Variante Eins einen Ladendetektiv misstrauisch gemacht. Als rechtschaffender Mann habe ich mich natürlich über den obskuren Verdacht des Diebstahls echauffiert und mich der Taschenkontrolle verweigert. So wurde ich in einer verrauchten und dunklen Spionagezentrale festgehalten. Auf allen Monitoren flackerten Bilder aus den Eingeweiden des Konsumbabels. Aber auf keinem lief Fußball. Es dauerte geschlagene 40 Minuten nach dem rechnerischen Schlusspfiff, bis die blau-blau uniformierten Sportkameraden den Weg ins Arbeitszimmer des Nick Knatterton gefunden hatten. Meine inneren Organe waren inzwischen am Maximum ihrer Vorratsdatenspeicherung angelangt und es drückte mich heftig der Harn. In dem Moment, als die schwere Tür nach einem Klopfcode geöffnet wurde, huschte ich in Art und Weise von Variante Zwei an den Kuckucksgesichtern vorbei, den langen Flur entlang bis in die Abteilung für gebrauchte Getränke. Dort wurde ich dann unschön überwältigt, obwohl ich meine Hände noch brauchte.

Ich sag’s ja: Das ist nicht schön anzusehen. Guten Appetit!

Schnittblumen

In jeder Gala, Brigitte und Für Ihr steht etwas über dieses Thema geschrieben. Wie Schnittblumen das Leben verändern. Wie sie Licht in die Dunkelheit bringen. Was sie bedeuten. Wie man sie verschenkt. Wie sie länger frisch Schnittblumen oder welche Blumen zu welchem Anlass passen. Männer können darüber nur lächeln. Warum sollte ich dafür 20€ ausgeben? Damit ich sie nach drei Tagen tot in die Schnittblumentonne trage? Und ich dann noch aus Pietät Kollegen auf den braunen Sargdeckel lege? Was soll ich mit Grünobst, von dem ich nicht weiß, wie man es schreibt oder wie es aussieht? Krisantheme? Hüazinte? Da halte ich mich doch lieber an Bier! Das hat wenigstens immer Saison. Es ist auch geselliger beim Fußball gucken. Das kann ich auch schreiben! Und es ist Pfand drauf!

In der nächsten Halbzeitpause kann ich ja meinen Kumpels mal ein zartes Röschen statt eines kühlen Krombachers mitbringen. Das wird ein Spaß! Und nach Spielende erzähle ich ihnen, dass ich noch zur Fußpflege muss. Dann darf ich mich aber nicht wundern, wenn ich zum Geburtstag ein Ikebana- Gesteck und einen Gutschein für einen Kursus im Trockenfilzen beim Verein für Hausfrauen und Schwiegermütter (VHS) bekomme.

Und ehe ich mich versehe, flattern mir die ersten Kataloge von Tupper, Teutonia und Co in den Briefkasten. Vorsichtshalber habe ich den Boden heraus gesägt und die geöffnete Papiertonne darunter geschoben. So erspare ich mir gleichzeitig nervige Erinnerungsschreiben von der Medienmafia GEZ. Die plumpsen halbjährlich direkt auf den Stapel der Sonntagszeitungen, Kirchenblätter und Pizzataxizettel. Nur an die Straße schieben muss ich den schweren Rollkoffer noch selber.

Ach so, meine Blumen bringt mir der Bofrostmann, gekühlt halten sie länger frisch! Und die Nachbarn merken nichts!

Pokalfinalistbezwinger

Als Fan eines vom Abstieg bedrohten Zweitliga- Fußballvereins habe ich nicht wirklich viel zu lachen.
Das 2:1 gestern erlebte ich aber wie ein kleiner Junge mit einer klöternden Blechdose am Weltspartag, wenn mir der greise Filialleiter einen muffigen Plüschhasen überreicht und gleichzeitig Kontoführungsgebühren belastet: Glücklich über das Unnütze.
Das kann nur ein echter Fan!

Potpourri

Das wollte ich schon länger mal machen: Eine Geschichte schreiben, in der alle meine Schlagwörter („Tag-Links“, siehe am rechten Rand) mindestens einmal vorkommen. Ich probiere es mal alphabetisch!

Es ist Heiligabend. Soeben öffne ich das letzte Törchen vom Adventskalender. Was ist das denn? Ich traue meinen Augen nicht: Ein kleines Schokoladenauto. Und wer steigt grade aus? Der Bofrostmann! Wo will der denn so spät hin? Will der etwa noch Tiefkühl- Brötchen ausliefern? Wo denn? Hier in dieser unwirtlichen Gegend, mitten am Deich? Hier gehen die Eier zu Ende, die Frauen spielen Fußball und Haare wachsen am Horizont! Was in aller Welt hat der hier verloren? Leise schleiche ich ihm nach. Das gespenstische Licht des Mondes verzerrt die Schatten der Hühner im Garten von Kapitän Ahab zu einer Karawane Fleisch fressender Saurier. Plötzlich bleibt der Bofrostmann stehen und blickt sich misstrauisch um. Ich zucke zusammen. Hat er mich gesehen? Dämonisch sieht er aus, als würde er Kinder fressen. Ich fürchte um mein Leben, als er einige Schritte auf mein Versteck zugeht. Sein eisiger Atem stirbt in der klirrenden Kälte, kaum dass er sein Maul verlässt. „Ich bin ein Mann“ , denke ich, „zum Sterben ist jetzt keine Zeit!“ und laufe weg. Meine Schritte hallen in der Dunkelheit wie die Schläge des Belzebubs zum Altweiberfasching auf dem glühenden Amboss. Atemlos renne ich zum Meer. „Heiliges Murmeltier, steh mir bei“, schreie ich. Der graue Riese schmeißt unbarmherzig seine kalten Arme nach mir und spült Muscheln um meine Füße. Unsichtbare Möwen schreien durch die Nacht. Meine Nase saugt den salzigen Odem des Todes ein, in den Ohren knistert es nach zertretenem Playmobil. Das Radio in meinem Kopf spielt Julis „Woanders zu Hause“. Dann ist plötzlich Ruhe. Kognitiver Stromausfall. Unendliche Stille. Das Meer schweigt, als habe Neptun Mittagsschlaf verordnet und drohe jedem, der dieses Gesetz missachtet, mit einer Einzelstunde Eurythmie. Mit meinen Zehen presse ich den Sand in meinen Schuhen immer wieder zusammen, bis sich ein kleiner Damm darin bildet. Die Welt um mich herum ist stumm, wie in der Schule beim Englisch- Unterricht, mucksmäuschen still. Selbst die Segel eines trüben, vorüberziehenden Seelenverkäufers halten sich an das unausgesprochene Redeverbot. Ich fröstle.
Mit lautem Getöse poltert die Brandung Ruptus artig wieder los, glitschig wie Seife prescht sie mir ihre klamme Gischt ins Antlitz. Ich muss spucken und kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, brennt die Sonne, obwohl es eben noch stockfinster war. Bis zu den Knien eingegraben stehe ich am Strand, es ist heller Tag. Hinter mir entdecke ich eine schimmernde Tür. Das Wasser frisst gierig ihren Rahmen und drückt an die Buhnen.

Das Leben ist wie die Flut an Weihnachten“ , denke ich, „was die Welle nicht reißt, das reißt der Wichtel!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal um und blicke ein letztes Mal zum Ende der Welt. Der Wind bläst mir ins Gesicht, das hält die Windschutzscheibe nicht.

Beamtenklo

Ich habe Vorurteile. Viele. Ich pflege sie sogar und suche immer wieder ihre Bestätigung. Mir ist es egal, dass ich dabei pauschalisiere und sicher den einen oder anderen redlichen Randgruppenbetreuer verunglimpfe. Das macht mir nichts. Ich bin Provokateur. So schimpfe ich liebend gerne über Schiedsrichter, Lehrer, Frauen oder Friseure. Nichts von dem, was ich schreibe, ist wirklich nur erdacht. Vieles entspricht auch der Wahrheit, oder es hätte so geschehen können. Also ist es so gut wie wahr, wenn es denn geschehen wäre. Vielleicht hat sich das Theodor voll und immer zu auch gedacht, nur im umgekehrten Sinne: Wenn ich nicht schreibe, dass ich abschreibe, dann ist es doch alles meins, oder?

Es begab sich aber zu der Zeit im Jahre 01974, dass eine gewisse V. Leandros  mit einem Lied die Hitparaden stürmte. Der Text kam mir schon damals seltsam bekannt vor, weil mich meine Mutter schon Jahre zuvor sonntags um 15.30 Uhr so zu wecken pflegte:

Steh auf Du faules Murmeltier
Bevor ich die Geduld verlier

So entstand auch der Begriff „Murmeltiertag“, der seitdem bis heute jedes Jahr am 2. Februar in Amerika als Kulturereignis („Groundhog Day“) gefeiert wird.

Sie hat mir diese Zeilen sogar einmal auf ein Zettelchen geschrieben, als ich mit meiner Schwester mit dem Zug zur Kinderkur nach Wangerooge fuhr. Auf der Rückseite spielten wir Stadt – Land – Fluss. Es stand unentschieden und in der letzten Runde zählte ich leise bis „L“, als sie „Stop“ sagte. Ich weiß es noch wie heute, es ist wie das erste Mal, das vergisst man auch nicht. Wir hatten um einen ganzen Leckerschmecker gewettet und mit „Lodz“ holte ich den alles entscheidenden Punkt. Unter ihren Tränen und Gebrüll aß ich alles auf einmal und übergab mich in einer winzigen schaukelnden Toilette. Die Fliegen suchten das Weite. Beim Spülen fiel mir mein Zettel durch das dunkle Loch auf die darunter hinweg eilenden Schienen.

Und da stellen sich mir jetzt ein paar heikle Fragen:

1. Was wäre, wenn nicht Vicky diesen Zettel damals dort gefunden hätte, sondern Theodor?

2. Was hätte Vicky besungen, wenn nicht ich, sondern meine Schwester den letzten Punkt ergattert hätte und sie zu einem anderen Ergebnis als ich („Lodz“) dabei gekommen wäre? Leopoldshöhe? Oder wenn ich nicht bei „L“, sondern bei „M“ aufgehört hätte zu zählen? Milse?

3. Und letztendlich: Wo hat Theodor seine Doktorarbeit gefunden? Auf dem Beamtenklo?

Ah, ich vergaß, die Quellenangabe für den Titel zu meinem Artikel zu nennen:

G. Oogle

Irgendwann ist Feierabend

Irgendwann platzt mir die Wutschnur. Dann ist einfach genug. Dann muss ich meinem Ärger Luft machen. Wenn ich nicht mehr an mir halten kann, muss es raus. So spielt das Leben. Der Frust hat sich zuvor Wochen lang seinen Weg vorbei an Galle, Magen und Leber gesucht und dabei eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Letzte Woche mussten mir in einer Notoperation alle inneren Organe entfernt werden. Jetzt ist wieder Sonntag und ich stehe mit Braunüle und dem Bofrostmann im Fanblock. Der Schiedsrichter ist wie immer eine schwarze Sau, kann Abseits nicht von Abszess unterscheiden. Der hat uns nicht erst einmal verpfiffen. Wenn ich diesen plattfüßigen Schwanenprinz schon sehe, kriege ich einen optischen Tinnitus. Das fühlt sich an wie eine Pfeife im Auge. Er ist ein Schwippschwager von Ante Šapina und Sandkastenfreund von Robert Hoyzer. Auf dem Schulhof blieb er bei der Mannschaftswahl immer als einziger übrig und musste deshalb den siffigen Tennisball nach jedem Tor aus den Dornenbüschen pflücken. Ausgerechnet diesen Hobbyarchäologen haben die grauen Herren vom DFB zum Schiri gemacht. Die wären besser auch im Sandkasten geblieben. Da hätte es wenigstens was aufs Maul gegeben.
Als der Schieber wieder einmal einen Vorteil für uns in aussichtsreicher Entfernung zum Tor abpfeift, brülle ich ihm meine ganze Wut entgegen, bis ich mein Stottertrauma überwunden habe: A- A- A- Arschloch! Die Fans in schwarz- weiß- blau nicken mir anerkennend zu und schmeißen Feuerzeuge und Pfandbecher aufs Spielfeld. Ich hebe den Daumen. Mann kennt sich. Viele stehen hier seit ihren Tanzschultagen zusammen. Die meisten waren mit der schnellen Schantall hinterm Vorhang mal auf Tuchfühlung. Ich hatte Pickel und keine Puch Maxi S, sondern ein Klapprad. Arschloch hat sie zu mir gesagt, als ich es trotzdem probiert habe. Ich habe mich dann mit Pommes-Walli getröstet, die hatte ein lahmes Bein, eine Zahnspange und eine Hercules Prima mit Prilblumen. Zu ihrem 15. Geburtstag habe ich ihr ein Yes- Törtchen mit einer roten Kerze geschenkt. Sie war so gerührt, dass sie mich rangelassen hat. Ich bin einmal um den ganzen Block gefahren. Ohne Helm. Die Jungs vor der Atari- Konsole waren neidisch und die Vorstadt- Hühner schauten mir mit offenen Mündern hinterher. Sogar Schantall. Hinterm Holunder habe ich sie dann doch rumgekriegt.

Als das 1:0 für die anderen fällt, sind grade mal fünf Minuten gespielt. Ich gehe mir ein Bier holen. Kurz vor der Halbzeitpause steht es drei Bier. Im Radio stirbt Uli Zwetz, als Hoyzer unseren Kapitän wegen eines harmlosen Tacklings in der Nachspielzeit vom Platz stellt. Mit dem Pausenpfiff bauen Hartz IV- Flüchtlinge im einsetzenden ostwestfälischen Nieselregen Gartenpavillions auf und rollen Monitore auf den Rasen. Hackfressen in dunkelblauen Moderations- Sakkos analysieren das Spiel, zeigen alle Abseits- Tore noch einmal und prophezeien den Abstieg. Der gegnerische Block skandiert passend dazu: Nie wieder zweite Liga! Meine Mannschaft kommt wie verwandelt aus der Kabine, mit noch weniger Moral und verliert den Ball schon beim Anstoß. Die Arena raunt und ächzt wie die Titanic am Unglückstag. Die ging nur schneller unter, das hier dauert schon mein Leben lang.

Als der Ball sich nach einem schnellen Konter aus Abseits verdächtiger Position doch noch in die gegnerischen Maschen senkt, hole mir ein Bier und rufe A- A- A- Arminia!

Schmutzige Wäsche

Ich habe schon seit Tagen so ein komisches Gefühl. Die Kollegen verstummen, sobald ich das Dienstzimmer betrete. Manchmal schrecken sie auch zusammen, wenn sie mich nicht gesehen oder gehört haben. Plötzlich stehe ich dann in der Tür. Schlagartig wechseln sie das Thema, reden über Fußball oder andere Belanglosigkeiten. Dabei hat sich früher nie einer dafür interessiert. Da galt ich immer als Außenseiter. Jetzt auf einmal versuchen sie, mich zu integrieren. Ob ich denn auch das Spiel gegen Italien geschaut hätte. Nein, habe ich nicht. Es stand aber auch so in allen Gazetten, das es ein müdes Gekicke war, das an Arminia Bielefeld erinnert, als der Abstieg in die dritte Liga mit dem 0:1 beim Tabellenvorletzten endgültig besiegelt war. Und das schon am 21. Spieltag.
Aber das ist eine andere Geschichte. Irgendwas führen die im Schilde. Ich weiß nur noch nicht, was! Aber das werde ich auch noch heraus bekommen.
Vor ein paar Tagen zum Beispiel, als ich am Büro vom Chef vorbeigekommen bin, habe ich ganz deutlich meinen Namen gehört: Murmeltiertag und es sei jetzt wieder so weit. Nur scheiße, dass die alten Holzbohlen so knarren. Zum einen machten sie mir unmöglich, noch mehr mit zu bekommen, zum anderen schweigen sie verdächtig, wenn jemand vor der Tür steht und lauscht. Also versuchte ich mit einem Wiegeschritt, einen gleichmäßigen Gang zu imitieren. Ich hielt die Luft an wie ein Igel im Winterschlaf und war so angestrengt vertieft (Es ginge alles nicht mehr, vor einem Jahr sei es auch schon so gewesen, wenn sich jetzt nicht bald etwas ändere, dann …), als meine Sauerstoffsättigung auf unter 50 % sank und ich zu Boden. Meine Kaffeetasse polterte mir aus der Hand, dabei goss ich mir den heißen Muckefuck über die Hose. Die Tür wurde aufgerissen, es polterte noch einmal und jemand hielt mir eine grelle LED-Taschenlampe in die Augen. Die blieben starr wie der Vollmond zur Sommersonnenwende. Ein Geschrei wie auf der Kirmes, wenn die nächste Rückwärtsfahrt angekündigt wird, donnerte meine Synapsen entlang, verdichtete sich am Mittelohr, drängte über die Eustachische Röhre in den Rachenraum und von da schwallartig und bitter nach draußen. Schon früher wurde mir auf der Kinderschaukel immer übel. Die Dielen knatschten auf einmal in alle Richtungen. Jemand lief zum Dienstzimmer und holte den orangefarbenen Notfallkoffer. Andere Schritte rannten zum Telefon in meinem Büro. Laufpublikum bildete eine Traube beträchtlichen Ausmaßes, mit der jeder Winzer in das Guinnessbuch der Rekorde gekommen wäre. Ich bekam eine Taucherbrille auf das Gesicht gepresst, grobe haarige Hände rissen mein Deutschlandtrikot entzwei und stauchten meinen Brustkorb auf Schokoladentafeldicke zusammen. Ich japste wie Asthmatiker beim Analverkehr. Auf einer grauen Lazaretttrage, auf der schon der tote Freud hätte liegen können, wurde ich in den kargen Sanitätsraum am Ende des Flures getragen. Dann wurde es dunkel um mich.
Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem weichen Bett. Überwachungsmonitore flimmerten bunt und piepsten, als hätte jemand den Highscore bei Space Invaders geknackt. Eine Schwester stellte die Geräte aus und führte meine Kollegen ins Zimmer, „aber nur drei Minuten, er ist noch sehr schwach!“ „Sind wir abgestiegen?“, fragte ich. „Nein, noch nicht!“

Ich sag`s ja: Das Leben ist eine Waschküche, es gibt immer was zu tun!

Meine Perle und ich

Da liegt sie nun. Ich stehe einen Moment nackt vor dem Bett und schaue sie an. Dann gehe ich leise ins Bad. Unter der Dusche lasse ich mir das Wasser auf den zerschundenen Rücken prasseln. Ich schließe die Augen und sehe die Szenen von gestern Nacht wieder vor mir: Als ich nach der Arbeit nach Hause kam, wartete sie schon. Ich hatte Blumen mitgebracht und stellte sie auf den Küchentisch. Im ganzen Haus roch es nach frischer Farbe, die Maler konnten noch nicht lange weg sein. Es war schön, die Wohnung jetzt nach Wochen langer Renovierungsphase so zu sehen. Für alle hat das Einschränkungen bedeutet. Tagsüber waren die Handwerker da und abends waren wir einfach zu erschöpft und zu erschlagen, um noch einen Spaziergang am Meer zu machen und den Sand auf der Haut zu spüren. Ich war früher zurück als sonst. Die Sonne stand glühend am Horizont. Durch das offene Fenster konnte ich hören, wie die Wellen an den Strand schlugen und die Möwen riefen. Die Luft war noch warm und Himmel blau. Es war perfekt.
Ich nahm mir die Eis kalte Flasche Krombacher vom Kopfkissen, schmiss die Schmutzwäsche von meiner auf die andere Seite, schaltete den Fernseher ein und legte mich in voller Montur aufs Bett: Bundesliga- Rückrundenstart. Mit meiner Perle der Natur.

Ist das Kunst …?

… oder kann das weg?

  • Die Socken mit den Löchern
  • Die geköpfte Eierschale
  • Die restlichen italienischen Lire
  • Die ausgebaute Kugelschreiberfeder
  • Der Stadtplan von Ostberlin
  • Die Einladung zur Millenniums- Sylvesterparty
  • Die 5,25- Zoll- Diskette
  • Die Siegerurkunde von den Bundesjugendspielen
  • Die eigene Schultüte
  • Die Tageszeitung vom 18. Geburtstag
  • Die Hotelseife aus den Flitterwochen
  • Der Sand in den Schuhen aus Hawaii
  • Die Sonnenfinsternis- Schutzbrille
  • Der leer gegessene Adventskalender
  • Die aufgehobenen Milchzähne
  • Der Aufkleber „Abi 1986“ am Auto
  • Die abgelaufene Arminia Bielefeld- Dauerkarte (1. Liga!)
  • Der Fuchsschwanz
  • Die Kinderbrille
  • Die C9o- Cassette mit Mal Sondock’s Hitparade
  • Der Esbit- Trockenbrennstoff für die Dampfmaschine
  • Das ausgeglühte Knicklicht
  • Der ausgedrückte Zigarettenfilter nach dem ersten Mal
  • Der 2 cm lange Bleistiftstummel
  • Die Wechselkurstabelle DM – EUR
  • Die Reinhard Fendrich- Single „Es lebe der Sport“
  • Die selbstgezogene Kerze aus dem Workshop „Mit Kindern wachsen!“