Das Leben ist kein Ponyhof

Als ich noch ein kleiner Junge war, wollte ich Feuerwehrmann werden. Doch als irgendwann einmal unser Esszimmertisch durch meine Schuld brannte, haben mir meine Eltern verboten, auch nur in die Nähe einer Flamme zu gehen. Ebenso befanden sie, Zinnsoldat sei nichts für mich. Schließlich müsse ich dabei den ganzen Tag stillstehen und das könne ich keine fünf Minuten, ich sei ein Hans Dampf in allen Gassen. Aber Eisenbahnfahrer fand ich wiederum doof, da kann man ja nicht lenken.
So entschied ich mich dann eben, König zu werden und den Kies auf dem Garagendach zu harken. „Kies regiert die Welt“, sagte mein Papa immer. Wie so oft, kam es wieder einmal anders, denn er erwischte mich, dachte augenscheinlich an seinen Esszimmertisch und nahm mir die Krone und die Harke einfach weg. Ich solle lieber für die Schule lernen. Mich interessierten aber die längsten Flüsse und Primzahlen überhaupt nicht, ich fand dafür Anke prima und ihre langen Haare. Sie wohnte in einem von den Reihenhäusern gegenüber und gingen in die gleiche Klasse. Schon morgens schrieb ich ihr Zettelchen, zählte Gänseblümchenblätter ab und berechnete aus den gemeinsamen Vokalen unserer Vornamen die Wahrscheinlichkeit für unsere Hochzeit. Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass das alles Quatsch war, denn umgekehrt hätte eine Xerxes am besten zu mir gepasst, die ich gar nicht kannte, auch nicht aus der Parallelklasse.

So nicht

Es ist nicht so, dass ich nichts mehr zu sagen hätte, seit mein erster Roman Quergefönt erschienen ist. Ganz um Gegenteil, oft habe ich den ganzen Kopp voller Worte und weiß nicht, wohin damit. Dann aber ermahnt mich der gierige Autor in mir, daraus ein zweites Buch zu machen. Doch nicht alles kann ich Murat oder meinem knurrigen Ich-Erzähler in die Schuhe schieben, schließlich habe ich einen guten Ruf zu verlieren. Als Franco Bollo und als Mensch, der sich dahinter verbirgt.

Deswegen habe ich mich entschlossen, den kleinen, persönlichen und ebenso fiesen wie bösen Text, den ich eigentlich vorgesehen hatte, bis auf weiters verschlossen zu halten und stattdessen eine entfallene Szene aus dem Kapitel „Eisbärsalat“ preiszugeben, die eine Abrechnung mit meiner alten Englischlehrerin ist. Namen und Orte sind frei erfunden, entbehren aber möglicherweise nicht autobiografischer Wahrheiten. Sicher ist sicher.

Ganze Generationen von hoffnungsvollen Nachwuchskünstlern und -autoren haben sich wie ich in den frühen 80er Jahren durch einen völlig dilettantischen Englischunterricht gequält und wissen dabei bis heute nicht, was Pink Floyd heißt. Es hält sich ja hartnäckig das Gerücht, es bedeute rosa Verhütung. Doch selbst meine knöcherne und verklemmte Lehrerin konnte oder wollte das Rätsel nicht auflösen, was ja eher für diese Übersetzung spricht.
Das arme Ding hieß Frau Kornfeld und ihre Eltern hatten sie offensichtlich wegen ihrer Klugscheißerei schon als Blag satt. In einer kalten Winternacht ließen sie sie auf einem kahlen Getreideacker zurück und machten sich flink von dannen. Sie verhüteten fortan lieber mit der Hand, lebten glücklich und entspannt ohne sie und genossen die Ruhe.

Knapp einhundert Jahre später aber trug mich diese mental zurückgebliebene Ährenspindel mit der sexuellen Ausstrahlung eines Melkschemels aus nichtigsten und niedrigsten Gründen regelmäßig ins Klassenbuch ein. Einmal schmiss sie mich sogar aus dem Unterricht, bar jeder pädagogischen Kompetenz und jedes Verantwortungsbewusstseins.
»Ich hätte geworfen!«, erzählte das verlogene Aas meinen Erziehungsberechtigten, als sie am Abend vor unserer Haustür stand.
Natürlich habe ich geworfen, nur leider nicht getroffen, sonst hätte der Kartenständer nicht den Physiklehrer zuerst erwischt. Die dumme Sau hatte ich erst später auf meiner To-do-Liste.
Mein Papa war da echt cool, »Englisch- und Sachkundepauker braucht kein Mensch«, sagte er zu ihr, »der eine ist sich zu fein, um Scheiße zu sagen, der andere zu doof zum Hinunterspülen!«

Bedauerlicherweise war diese Unterhaltung meiner weiteren Karriere an dieser Penne nicht wirklich zuträglich, auch wenn ich ihm in der Sache heute noch recht geben muss. Wozu gibt es denn den Google-Übersetzer, Siri oder Leo?

Potpourri

Das wollte ich schon länger mal machen: Eine Geschichte schreiben, in der alle meine Schlagwörter („Tag-Links“, siehe am rechten Rand) mindestens einmal vorkommen. Ich probiere es mal alphabetisch!

Es ist Heiligabend. Soeben öffne ich das letzte Törchen vom Adventskalender. Was ist das denn? Ich traue meinen Augen nicht: Ein kleines Schokoladenauto. Und wer steigt grade aus? Der Bofrostmann! Wo will der denn so spät hin? Will der etwa noch Tiefkühl- Brötchen ausliefern? Wo denn? Hier in dieser unwirtlichen Gegend, mitten am Deich? Hier gehen die Eier zu Ende, die Frauen spielen Fußball und Haare wachsen am Horizont! Was in aller Welt hat der hier verloren? Leise schleiche ich ihm nach. Das gespenstische Licht des Mondes verzerrt die Schatten der Hühner im Garten von Kapitän Ahab zu einer Karawane Fleisch fressender Saurier. Plötzlich bleibt der Bofrostmann stehen und blickt sich misstrauisch um. Ich zucke zusammen. Hat er mich gesehen? Dämonisch sieht er aus, als würde er Kinder fressen. Ich fürchte um mein Leben, als er einige Schritte auf mein Versteck zugeht. Sein eisiger Atem stirbt in der klirrenden Kälte, kaum dass er sein Maul verlässt. „Ich bin ein Mann“ , denke ich, „zum Sterben ist jetzt keine Zeit!“ und laufe weg. Meine Schritte hallen in der Dunkelheit wie die Schläge des Belzebubs zum Altweiberfasching auf dem glühenden Amboss. Atemlos renne ich zum Meer. „Heiliges Murmeltier, steh mir bei“, schreie ich. Der graue Riese schmeißt unbarmherzig seine kalten Arme nach mir und spült Muscheln um meine Füße. Unsichtbare Möwen schreien durch die Nacht. Meine Nase saugt den salzigen Odem des Todes ein, in den Ohren knistert es nach zertretenem Playmobil. Das Radio in meinem Kopf spielt Julis „Woanders zu Hause“. Dann ist plötzlich Ruhe. Kognitiver Stromausfall. Unendliche Stille. Das Meer schweigt, als habe Neptun Mittagsschlaf verordnet und drohe jedem, der dieses Gesetz missachtet, mit einer Einzelstunde Eurythmie. Mit meinen Zehen presse ich den Sand in meinen Schuhen immer wieder zusammen, bis sich ein kleiner Damm darin bildet. Die Welt um mich herum ist stumm, wie in der Schule beim Englisch- Unterricht, mucksmäuschen still. Selbst die Segel eines trüben, vorüberziehenden Seelenverkäufers halten sich an das unausgesprochene Redeverbot. Ich fröstle.
Mit lautem Getöse poltert die Brandung Ruptus artig wieder los, glitschig wie Seife prescht sie mir ihre klamme Gischt ins Antlitz. Ich muss spucken und kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, brennt die Sonne, obwohl es eben noch stockfinster war. Bis zu den Knien eingegraben stehe ich am Strand, es ist heller Tag. Hinter mir entdecke ich eine schimmernde Tür. Das Wasser frisst gierig ihren Rahmen und drückt an die Buhnen.

Das Leben ist wie die Flut an Weihnachten“ , denke ich, „was die Welle nicht reißt, das reißt der Wichtel!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal um und blicke ein letztes Mal zum Ende der Welt. Der Wind bläst mir ins Gesicht, das hält die Windschutzscheibe nicht.

Irgendwann ist Feierabend

Irgendwann platzt mir die Wutschnur. Dann ist einfach genug. Dann muss ich meinem Ärger Luft machen. Wenn ich nicht mehr an mir halten kann, muss es raus. So spielt das Leben. Der Frust hat sich zuvor Wochen lang seinen Weg vorbei an Galle, Magen und Leber gesucht und dabei eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Letzte Woche mussten mir in einer Notoperation alle inneren Organe entfernt werden. Jetzt ist wieder Sonntag und ich stehe mit Braunüle und dem Bofrostmann im Fanblock. Der Schiedsrichter ist wie immer eine schwarze Sau, kann Abseits nicht von Abszess unterscheiden. Der hat uns nicht erst einmal verpfiffen. Wenn ich diesen plattfüßigen Schwanenprinz schon sehe, kriege ich einen optischen Tinnitus. Das fühlt sich an wie eine Pfeife im Auge. Er ist ein Schwippschwager von Ante Šapina und Sandkastenfreund von Robert Hoyzer. Auf dem Schulhof blieb er bei der Mannschaftswahl immer als einziger übrig und musste deshalb den siffigen Tennisball nach jedem Tor aus den Dornenbüschen pflücken. Ausgerechnet diesen Hobbyarchäologen haben die grauen Herren vom DFB zum Schiri gemacht. Die wären besser auch im Sandkasten geblieben. Da hätte es wenigstens was aufs Maul gegeben.
Als der Schieber wieder einmal einen Vorteil für uns in aussichtsreicher Entfernung zum Tor abpfeift, brülle ich ihm meine ganze Wut entgegen, bis ich mein Stottertrauma überwunden habe: A- A- A- Arschloch! Die Fans in schwarz- weiß- blau nicken mir anerkennend zu und schmeißen Feuerzeuge und Pfandbecher aufs Spielfeld. Ich hebe den Daumen. Mann kennt sich. Viele stehen hier seit ihren Tanzschultagen zusammen. Die meisten waren mit der schnellen Schantall hinterm Vorhang mal auf Tuchfühlung. Ich hatte Pickel und keine Puch Maxi S, sondern ein Klapprad. Arschloch hat sie zu mir gesagt, als ich es trotzdem probiert habe. Ich habe mich dann mit Pommes-Walli getröstet, die hatte ein lahmes Bein, eine Zahnspange und eine Hercules Prima mit Prilblumen. Zu ihrem 15. Geburtstag habe ich ihr ein Yes- Törtchen mit einer roten Kerze geschenkt. Sie war so gerührt, dass sie mich rangelassen hat. Ich bin einmal um den ganzen Block gefahren. Ohne Helm. Die Jungs vor der Atari- Konsole waren neidisch und die Vorstadt- Hühner schauten mir mit offenen Mündern hinterher. Sogar Schantall. Hinterm Holunder habe ich sie dann doch rumgekriegt.

Als das 1:0 für die anderen fällt, sind grade mal fünf Minuten gespielt. Ich gehe mir ein Bier holen. Kurz vor der Halbzeitpause steht es drei Bier. Im Radio stirbt Uli Zwetz, als Hoyzer unseren Kapitän wegen eines harmlosen Tacklings in der Nachspielzeit vom Platz stellt. Mit dem Pausenpfiff bauen Hartz IV- Flüchtlinge im einsetzenden ostwestfälischen Nieselregen Gartenpavillions auf und rollen Monitore auf den Rasen. Hackfressen in dunkelblauen Moderations- Sakkos analysieren das Spiel, zeigen alle Abseits- Tore noch einmal und prophezeien den Abstieg. Der gegnerische Block skandiert passend dazu: Nie wieder zweite Liga! Meine Mannschaft kommt wie verwandelt aus der Kabine, mit noch weniger Moral und verliert den Ball schon beim Anstoß. Die Arena raunt und ächzt wie die Titanic am Unglückstag. Die ging nur schneller unter, das hier dauert schon mein Leben lang.

Als der Ball sich nach einem schnellen Konter aus Abseits verdächtiger Position doch noch in die gegnerischen Maschen senkt, hole mir ein Bier und rufe A- A- A- Arminia!

Rattenschwanz

Neulich habe ich mir einen neuen Schuhschrank gekauft. So einen schicken aus lackiertem Metall. Das ist sehr praktisch, weil ich Zettelchen von der Schulpflegschaft, dem Finanzamt oder der Altkleidersammlung vom DRK mit Magneten dranpinnen kann. An einer Klappe ist ein kleiner Griff, mit dem öffnen sich alle vier Türen dann gleichzeitig. Das ist auch sehr praktisch, weil ich so meine ganzen Schuhe sofort im Blick habe, für jede Jahreszeit ein Paar. Die Übergangsschuhe stehen darunter. Das hat System, es ist ja öfter Übergangswetter als Frühlingsanfang. Auf der obersten Klappe habe ich mit schwarzen Klebebuchstaben DRINGEND säuberlich aufgeklebt, darunter BALD, auf der dritten klebt SPÄTER und ganz unten NIE. Für die GEZ- Anmeldung oder das Jahreslos der ARD- Fernsehlotterie mit dem bettelnden Konterfei des ältesten Apotheken Umschau- Lesers aus Österreich, Frank Elstner.
Da mir der Schrank beim Öffnen aber immer entgegen kippen will, gehe ich eben in den Keller, um die Bohrmaschine zu holen. Über das Zettel Sortieren ist es schon dunkel geworden, ich will das Licht einschalten. Die Birne brutzelt ein paar Sekunden, ehe sie in der Fassung verstirbt. Scheiß Energiespardreck. Ich stolpere die letzte Stufe hinunter, reiße die Arme hoch und die Wäscheleine herunter. Das Spannbettlaken umhüllt mich, mein limbisches System schüttet vor Schmerz Endorphine aus, mir wird Tag hell vor Augen, als ich auf die Knie sinke. In dem Moment klingelt es an der Tür. Ich tapse mumifiziert nach oben und öffne. Es ist der Bofrostmann, er sieht wieder erholt aus. Ich kaufe ihm ein 2,5 Liter- Paket Fürst- Pückler- Eis ab und kühle meine Knickgelenke. Die Suppe tropft mir in die Gummistiefel, die nicht in den Schuhschrank passen und die ich deswegen im Haus anhabe. Mit dem Sand darin verdichtet sich die Dreifachcreme zu einer schnell abbindenden Masse. Freie Radikale lösen dabei eine exotherme Reaktion aus, die mich wie Pinocchio auf glühenden Kohlen steppen lässt. Ich halte mich am Schuhschrank fest. Das metallische Krachen lockt den Bofrostmann zurück, der grade meinem Nachbarn, dem pensionierten Oberstudienrat a. D. levitiertes Wasser verkauft. Er bringt mich in die Notfallambulanz. Noch in der gleichen Nacht werden mir die Stiefel amputiert, die Füße in archäologischer Puzzlearbeit entbunden und die Knie fixiert. Ich muss 14 Tage zu Hause liegen, der Bofrostmann kommt jetzt täglich.
Wenn ich wieder laufen kann, tausche ich den Schuhschrank gegen eine Magnetpinnwand um. Von dem Geld, das übrig bleibt ist, kaufe ich mir ein Jahreslos beim Grottenolm und eine neue Energiesparlampe. Und ich lade den Bofrostmann zum Eis ein. Fürst- Pückler.

Ist das Kunst …?

… oder kann das weg?

  • Die Socken mit den Löchern
  • Die geköpfte Eierschale
  • Die restlichen italienischen Lire
  • Die ausgebaute Kugelschreiberfeder
  • Der Stadtplan von Ostberlin
  • Die Einladung zur Millenniums- Sylvesterparty
  • Die 5,25- Zoll- Diskette
  • Die Siegerurkunde von den Bundesjugendspielen
  • Die eigene Schultüte
  • Die Tageszeitung vom 18. Geburtstag
  • Die Hotelseife aus den Flitterwochen
  • Der Sand in den Schuhen aus Hawaii
  • Die Sonnenfinsternis- Schutzbrille
  • Der leer gegessene Adventskalender
  • Die aufgehobenen Milchzähne
  • Der Aufkleber „Abi 1986“ am Auto
  • Die abgelaufene Arminia Bielefeld- Dauerkarte (1. Liga!)
  • Der Fuchsschwanz
  • Die Kinderbrille
  • Die C9o- Cassette mit Mal Sondock’s Hitparade
  • Der Esbit- Trockenbrennstoff für die Dampfmaschine
  • Das ausgeglühte Knicklicht
  • Der ausgedrückte Zigarettenfilter nach dem ersten Mal
  • Der 2 cm lange Bleistiftstummel
  • Die Wechselkurstabelle DM – EUR
  • Die Reinhard Fendrich- Single „Es lebe der Sport“
  • Die selbstgezogene Kerze aus dem Workshop „Mit Kindern wachsen!“

Lehrer und anderes Gesindel

Jawoll, ich mag Lehrer nicht. Auf meiner Skala „Was ich nie werden will“ kommt dieser Beruf gleich nach Gebrauchtwagenverkäufer und Versicherungsmakler. Diese Reihenfolge war nicht immer gleich. Als ich noch zur Schule ging, brauchte ich kein Auto und keine Assekuranz und so war dies mein einziges Feindbild. Deshalb stand er damals auf Platz 1 (wie Arminia Bielefeld am 1. Spieltag in der Saison 2002/03 nach einem furiosen 3:0 über Werder Bremen). Ich kannte auch nicht so viele Berufe. Außer vielleicht Kaufhausdetektiv. So ein Wichtel hat mich mal erwischt, als ich ein Raider zurück ins Regal legen wollte. Irgendwann hat der Leerer dann aber doch an Boden verloren (Arminia auch, aktueller Stand: Platz 18 in der zweiten Liga und kein Ende in Sicht).
Wie kam das zu Stande?
Sicher weil die aktuellen Plätze 1 und 2 noch duchtriebener und ruchloser sind: „Nein, kannstu mir echt glaube, Zahnrieme is ganz neu! Selber gemacht!“ oder „Ach, die Waschmaschine hat gar kein Aquastop- System? Das ist aber laut AHB für eine Schadenregulierug Vorraussetzung!“
Aber ich sehe natürlich auch das Leid und die Not unserer Pädagogen: Die Schüler hören nicht mehr zu (Wer die Sprache der Schüler spricht, findet auch ihr Ohr!), sie sind ungeduldig (Jeden Tag 6 Stunden in zugigen und Asbest verseuchten Klassenzimmern bei knarzenden Türen zu hocken, ist auch kein süßes Leben. Seitdem habe ich dieses Asthma!) und sie kommen ständig zu spät (aber immer noch VOR den Lehrern!).
Dafür belohnen sich die Rotstiftfunktionäre mit 13 Wochen Ferien im Jahr bei einem Halbtagsjob, einer Verbeamtung mit Anspruch auf das 13. Monatsgehalt, beitragsfreie Pensionsansprüche und Privatversicherung mit Beihilfeberechtigung im „Gesundheitssystem“. Da bleibt dann tatsächlich noch Zeit und Grund zu jammern, daheim in der pädagogischen Asservatenkammer würden vor lauter Arbeit die Kakteen auf der Fensterbank vertrocknen .
Über ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Nachbarschaftshilfe und ihre eigene traumatische Schulzeit verlieren sie kein Wort. Warum eigentlich nicht?

Countdown

Viel Zeit blieb nicht mehr. Schon in wenigen Stunden ist Annahmeschluss. Bis jetzt habe ich kein Wort geschrieben. Also, schnell die Flasche Rotwein geöffnet und eine Packung Erdnüsse, fettfrei geröstet, zurecht gelegt. Grade will ich loslegen, da klingelt das Telefon. Meine liebe alte Studienkollegin Cordula. Sie hat immer viel zu erzählen. Heute kommt sie wieder einmal auf der Single-Seite im Internet nicht klar. Ich hätte meine Freundin doch auch darüber kennen gelernt, wie ich das denn gemacht hätte?

Also, was du tun musst sind zwei Dinge.
Erstens: Du musst dich über Wert verkaufen. Das tun alle und es sieht (erstmal) keiner. Das Gewicht wird um sieben bis zehn Kilogramm geschönt, das Alter verjüngt. Fotos, wenn überhaupt, sollten dich nur mit vollem Haar und kompletten Gebiss zeigen, also 1987 oder im Gegenlicht. Das Auge isst bekanntermaßen mit. Kinder?! Bloß nicht! Besser, man trifft sich sowieso erst einmal außerhalb. Viele Männer wollen eine Kuh (die meisten sogar nur die Milch), nicht eine ganze Herde. Und dann bist du, selbst wenn du zu Mutti noch die Wäsche bringst, unabhängig und stehst mit beiden Beinen im Leben. Männer wollen kein Kälbchen, das noch über die Wiese stolpert. Bedenke auch: Männer können nicht zwei Dinge gleichzeitig tun. Sie machen das Autoradio leiser, wenn sie sich verfahren haben. Sie können nicht lesen UND schreiben. Sie schauen nach den Bratkartoffeln und, wenn sie grade wieder sitzen, stehen sie auf und holen sich Bier. Deshalb dauern ihre Antworten im Chat immer etwas länger. Da musst du einfach Geduld haben. Um dir die Wartezeit zu verkürzen, ist es sinnvoll, immer mit vier bis fünf Exemplaren gleichzeitig zu chatten. Es bleibt trotzdem noch genügend Zeit für die Bügelwäsche. Und, super wichtig: Verschweige deine Schwächen! Schuhe, Handtaschen, Friseurtermine, Yoga, Nordic Walking, Tupper- und Seifenparties gehören nicht zum Vokabular eines Mannes!
Zweitens: … – Moment mal, es klopft in der Leitung …

Tut tut tut. Hä? Dummnuss!

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, beim Wein. Ich mach mir mal noch ’ne Flasche auf.

Ffffffoppp! Hihi!
Klingeling! Hä?

Ach du! Ja, das Gespräch war plötzlich weg. Da habe ich erstmal nach den Kindern geschaut und mir auf dem Rückweg noch ein Glas Wein … Was jetzt zweitens ist? Du darfst nicht so anspruchsvoll sein! Die Männer da übertreiben alle. Sie sind in Wirklichkeit nur halb so groß und doppelt so schwer, wie sie behaupten!

Dies ist mein Beitrag zu Donna’s Schreibprojekt.

Amtsärztin

Manchmal reite ich den Wahnsinn. Dann und wann falle ich auch herunter. Wenn ich mir dann dabei einen Zacken aus der Krone breche, könnt‘ ich wahnsinnig werden.

Es wird mal wieder Zeit.
Wie bei dieser dicken, osteuropäischen Amtsärztin bei der Schuluntersuchung.

Ich stelle mir das Szenario so vor: Tschernobyl 1986. Es knallt und pufft. Im Kühlschrank ist es hell, selbst wenn es dunkel ist. Hühner legen harte Eier. Tomaten wachsen auf die doppelte Größe von Kürbissen heran. Das Publikum der Live- Ausstrahlung von Wetten, dass … in Warschau wird evakuiert. In der DDR-Botschaftsschule in Moskau durchdringt die Strahlung alle Unterrichtsräume und sämtliche Lehrmaterialien werden dabei vernichtet. Ein kleines Mädchen, schon damals mit 12 Jahren nur 1,20 m groß und plump wie die Transsib, versteckt sich unter einem löchrigen MICHAIL- Schreibtisch, um etwa 25 Jahre später im Gesundheitsamt einer kleinen westfälischen Stadt ausgerechnet am Tag vor dem Fußball- Derby gegen ein katholisches Domdorf eine Schuleingangsuntersuchung vorzunehmen.

Der Untersuchungsraum gleicht bis aufs Haar jener Abhörzentrale in der Nähe der Metro- Station Jugo-Sapadnaja: Dem Bild des Möwenschisses auf dem Cortex Cerebri von Gorbatschow hinter opakem Glas, der Karte der DDR- Reichsgrenzen mit dem Anschluss nach Polen, dem Ankündigungsplakat des Moskauer Staatszirkusses mit Oleg Popov und dem Stadtplan mit dem Kreml und dem Roten Platz. Lediglich in einer kleinen Nische hinter einer Zobel- Pelzjacke aus Familienbesitz hängt das eigene Medizin- Diplom in beglaubigter Übersetzung und zeugt von dem Übergang zur Aufklärung.

Mit haarigen Unterarmen überreicht sie dem Kind eine eingerissene Blaupause mit dem Geruch von angereichertem Uran und fragt ihn: „Was verrab-rreicht die Frrrau demm Jun-gän?“ (Anmerkung d. A.: Sie füttert ihn mit Möhren!).

PS: Stumm wie ein treuer Staatsbürger blieb der Proband und wurde trotzdem eingeschult. Na sdorowje!

Elternabend

Grundschule, Dienstag Abend zeitgleich mit dem DFB- Pokalspiel. Das hätte kein Mann so geplant. Zumindest keiner mit Verstand und Anstand. Da muss Mann Prioritäten setzen. Habe ich dann auch. Deswegen sitze ich auf einem viel zu kleinem Stuhl zwischen lauter Drahtbürsten mit Hartz IV- Fingernägeln.

Beim Thema „Klassenfahrt“ signalisiert mein Handy brummend „Tor“. Ich huste in die Innentasche meiner Jacke und schaue verstohlen auf das Display. Mist. Vielleicht schaffe ich es ja noch zur zweiten Halbzeit in die Sportsbar!

Klassenfahrt? Jop! Machen wir!
Insel? Auch!
Welche? Wie welche? Welche kostet Zeit! Insel reicht doch! Ich muss ja heute noch nicht die Fähre buchen!

Brmmm, brmmm zappelt meine Tasche wieder. Tor!!

„Fuck!“
„War das eine Wortmeldung, Herr Murmeltiertag?“
„Äh, ja! Fakten! Ich finde, wir sollten uns an Fakten halten und nicht über das Wetter im September 2011 diskutieren! Hell wird es am Tag werden und Schnee wird es nicht geben!“
Uh! Damit habe ich nicht gerechnet. Diese Diskussion dauert länger als die Halbzeitpause.

Beim Wiederanpfiff waren wir bei TOP 2 von 7: „Gesundes Frühstück“
Ach du scheiße! „Chips und Cola, fertig!“, entrutscht es mir.
16 Wasserwellen und Kosmetikabos starren mich mit gekalkten Augen an.
Die Luft wird dünn im Strafraum. Ich strauchele, als habe mir Frings grade von hinten in die Beine gegrätscht. Ungebremst schlage ich mit dem Gesicht mitten auf den Elfmeterpunkt.

Brmmm, brmmm durchzuckt es mich wieder. Dann durchdringen gellende Töne die Arena: „Piep Piep Piep! Verkehrsunfall in der Schlossallee. Sonderrechte zugelassen!“

Ich rappele mich auf, „Einsatz in Manhattan!“, rufe ich und laufe zur Tür hinaus.

„Papa? Wie findest du den neuen Klingelton? Hab ich dir drauf gemacht! Und darf ich noch Fußball gucken?“
„Na klar, aber nur mit Chips und Cola!“

Und das tue ich auch jetzt!

Pubertät = format c:\

Mittendrin statt nur dabei. Meine Tochter ist in der Pubertät.
Vom Eierlikör (nur für mein Walnusseis, ehrlich!) fehlt plötzlich ein Daumen breit aus der Flasche. Ich entdecke chemische Gärungsversuche mit Apfelsaft unter ihrem Bett und eine merkwürdige Unterschrift unter der Sportentschuldigung. Der Einzelverbindungsnachweis zur Telefonrechnung weist immer dann Spitzen und Häufungen auf, wenn ich nicht zu Hause bin oder schon schlafe. Die versteckten Schokoriegel in meinem Kleiderschrank werden trotzdem unaufhörsam weniger, ganze Chipstüten verschwinden über Nacht. Das monatliche Taschengeld ist bereits zum ersten Wochenende aufgebraucht. Dadurch entsteht auch in meinem Portemonnaie eine merkwürdige Inflation meiner Devisen oder aber es häuft sich mit Namensschuldverschreibungen. Die Luft im („Kinder-„) Zimmer wird dichter, der Schmutzwäscheberg in eben diesem höher wie auch die Ansprüche, auch nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen bleiben zu dürfen. Die Bereitschaft, im Haushalt mit zu helfen, oder etwas für die Schule zu tun, nimmt mit dem Körpergewicht ab. Auf meinem Parkplatz vorm Haus stehen auf einmal frisierte Mofas und im Flur fremde Schuhe, die beim Wettbewerb „Das älteste Schlauchboot“ in den Kategorien „Farbe“, „Aussehen“ und „Geruch“ mit Abstand den ersten Platz belegen würden. Der Wasserverbrauch sinkt, während der Deo- und Haarsprayverbrauch steigt. Die Lillifee- Bettwäsche ist urplötzlich albern und der Schulranzen mit den schönen Schmetterlingen bringt bei ebay mit Federmappe, Schlamper und Turnbeutel im gleichen Design auch nur noch 4,38 € plus Versand und eine neutrale Bewertung. Der war mal teuer! Das Radioprogramm ist ständig verstellt, meine Oberhemden verschwinden auf die gleiche mysteriöse Weise wie CDs, USB- Sticks und Speicherkarten.
Und das alles ohne ihr Wissen?!

Das kann nur eins bedeuten: Pubertät = format c:\

Vielen Dank meiner lieben Freundin für diese geniale Überschrift!

Generation Langstrumpf

Ich komme aus der Pipi Langstrumpf– Generation, als 2 x 3 noch 4 machte. Freitags Abend lief Väter der Klamotte in schwarz- weiß. Das machte nichts, der Fernseher hatte ja auch noch keine Farbe. Ich und meine drei Schwestern wurden alle in der Badewanne durch das selbe Wasser gezogen (lieber Gott, lass mich wenigstens zweiter gewesen sein, der Geburtsreihenfolge nach!). Ede Zimmermann ging mit Konrad Töns aus Zürich und Peter Nidetzky aus Wien in Aktenzeichen XY…  ungelöst auf Verbrecherjagd. In Western von Gestern flogen die Kugeln tief. Pinocchio bekam eine lange Nase und rote Ohren, wenn er nur an Schneewittchen dachte. Biene Maja sammelte Honig und es war noch ein bisschen Frieden. Heintje kriegte seine ersten Pickel.

Dann wurde ich eingeschult. Vor dem Genossenschaftshaus stand ich mit Holger unter meinem Kletterbaum, meine gold- metallicfarbene Schultüte im Arm. Papa bestach den Eismann, dass er uns die Kugel für 10 Pfennig verkaufte. Der Sommer war heiß, auch wenn Rudi Carrell das nicht wahr haben wollte. Ich saß in Papas altem Opel Kapitän, setzte mir seine Prinz- Heinrich- Mütze aus Cord auf und fühlte mich wie wohl wie Ernst August von Hannover. Der aber legte viele Jahre später oft einen Gang zu, ich nahm ihn raus. Im Schatten meines Kletterbaumes rollte ich dann ganz langsam rückwärts. Bis unter Holgers Papas Kohlenlaster. Als dann die Reparaturrechnung bei uns im Briefkasten war, obwohl der ja auf unser Auto gefahren ist, malte ich alle Kästen an. Bis auf unseren, ich bin ja nicht doof.

Das alles geschah noch lange, bevor ich schreiben konnte. Ich war ein helles Kerlchen, spielte gerne Bananenkästchen in der Schule und hörte wohl gerade zu, als die Rechtschreibung von das und daß erklärt wurde. Ich merkte mir die Regel, dass das Das mit, wenn das Das nicht, dass es dann ohne sz geschrieben wird, gut und schrieb im Diktat trotzdem eine 6. Ich hatte 17 Mal daß mit s und z geschrieben.

Ich brauchte lange, um mich von diesem Schock zu erholen. Erst mit der ersten Liebe, die mich überfiel, schrieb ich im Unterricht mit (Willst du mit mir gehen? Kreuze an: Ja, nein, vielleicht). Lesen lernte ich so auch: Ja, aber erst, wenn ich mit Holger Schluss gemacht habe!