Dahamwadensalat

Manchmal, da sprudelt es nur so aus mir heraus. Da kann ich meine Klappe nicht halten und erzähle von kleinen Dingen oder großen Gefühlen. Von den Mohnkörnern auf dem Brötchen oder von dem Blick durchs Schlüsselloch ins elterliche Schlafzimmer.
Dann manchmal bricht mein Rede- und Gedankenschwall plötzlich tagelang ab. Regungslos verharren die Worte in meinem Kopf und sämtliche Schreibimpulse spielen Beamten- Mikado. Mir fällt einfach nichts Neues ein, wie unserer Bundeskanzlerin.

Ich könnte saufen oder kiffen, das soll ganz gut sein, habe ich mal gehört. Aber wahrscheinlich werde ich am Hauptbahnhof schon bei dem Versuch, Schnupftabak zu kaufen, verhaftet oder bekomme für den Fuffi doch nur wieder Brühwürfel angedreht. Vor lauter Verzweiflung würde ich die sogar rauchen.

Diese Idee gefällt mir. Dann hätte ich etwas zu schreiben, wenn ich es überlebe. Am anderen Morgen könnte ich aus dem Halbjenseits berichten, wie ich dem Sensenmann ins Auge geschaut und gesagt habe: „Den Rasen hinterm Haus zuerst!“

Vielleicht aber werde ich auch einfach Mitglied bei der CDU, ich habe mich noch nicht entschieden. Ob ich nun dem Tod oder der Merkel ins Angesicht schaue, ist ja wurscht.

Schlafvollzug

Manchmal bin ich müde und kann einfach nicht einschlafen. Mir geistern dann noch tausend Gespenster des Tages laut rasselnd durch den Kopf. Warum der Bofrostmann keine frischen Brötchen hat. Oder warum der Postbote Pfingsten nicht kommt. Ob der sich vielleicht zusammen mit dem lästigen Tiefkühlfahrer im Stadtpark bei einem kleinen Wippermann eins ins Fäustchen lacht? Ha, ich habe es schon immer gewusst! Denen werde ich es zeigen! Kurzerhand gehe ich zum Schuppen und hole mein Fahrrad.
„Wo willst du noch so spät hin?“, ruft mir eine Stimme nach.
„Brötchen holen“, schnaufe ich.
„Aber es ist zwei Uhr morgens?!“
„Ich habe Hunger“, grantle ich und mache mich unbeirrt auf meinen Weg. Wie ein Glühwürmchen funzelt mein Vorderlicht durch die schwarze Finsternis, ohne einen Schatten zu werfen. Es ist bitterkalt, die Eulen sind längst eingeschlafen und haben sich warm zugedeckt. Doch meine Wut kennt keine Angst, obwohl sie Brüder sind. Ich scheiße auf Familie und trampele weiter, bis ich endlich um die letzte Kurve biege. In dichten Nebel gehüllt liegt die städtische Hundescheißfläche jetzt vor mir, gefährlich und unbezwingbar wie der Marianengraben. Ich bremse ab und beobachte mein Glühwürmchen beim Sterben. Die Grabesstille ist hörbar in meinem Kopf und frage ich mich, ob ich nicht manchmal übertreibe. Jede Nacht stehe ich hier und lasse mich fressen von meinen Gedanken. Von Zweifeln und Sorgen. Von Gram und Groll. Von Mut und Matsch.
Vielleicht hätte es ein Wippermann auch getan. Oder auch zwei. Da muss ich mal drüber nachdenken, wenn ich wieder zu Hause bin.

Kaffee Hag

So dann und wann, quasi gelegentlich, also eigentlich manchmal, da packt mich die Unzufriedenheit wie der Kaufhausdetektiv den Ladendieb einfach so am Schlafittchen. Ich versuche dann noch, mich los zu reißen, boxe und trete nach dem unsichtbaren Feind. Der hingegen nimmt mich umso fester an die Kandare.
So knurrt mich heute der Morgen schon gleich nach dem Aufstehen mürrisch an, ich belle zurück. Statt eines warmen Brötchens serviert er mir einen harten Knust (= Brotendstück, anderswo auch Knäppchen genannt oder schlicht Kanten), der Kaffee ist ungesüßt, lauwarm, dünn und obendrein noch entkoffeiniert. Nichts für Liebhaber aufrüttelnder Herzrhythmusstörungen oder anregenden Bluthochdrucks.
Aber ich will nicht klagen. Mir geht das ganze Gejammere auch so was von auf die Nerven. Überall nur unzufriedene Ladendiebe. Und dann ist das Geschrei plötzlich groß, sie wollten ja gar nicht wirklich, sie hätten nur vergessen, an der Kasse zu bezahlen! Ich kann das nicht mehr hören.
Ich habe deswegen auch mit meinem Bewährungshelfer darüber gesprochen, ob er mich nicht endlich wegsperren kann, so viel Freiheit, frische Luft und Sonnenschein, das macht mich depressiv!

Habichdoch!

Fortsetzung von Hautnah (Kapitel 1), Space Invaders (Kapitel 2), Verkorkt (Kapitel 3), Strafzimmer (Kapitel 4), Schnurlos (Kapitel 5), Murmeltier und Sehnsucht (Kapitel 6), Holzklasse (Kapitel 7), Zurück in die Zukunft (Kapitel 8), Sucht und Ordnung (Kapitel 9), Hättichmal (Kapitel 10), Nie wieder zweite Liga! (Kapitel 11), Traumfahrer (Kapitel 12), Hitzeschwelle (Kapitel 13) und Erfischend (Kapitel 14)

Das Tageslicht hatte noch längst nicht seine volle Reife erreicht, als ich erwachte. Frühstück gab es erst in zwei Stunden. Also beschloss ich, ein wenig durch die kleinen Straßen zu schlendern. Seit zwei Wochen trat ich das erste Mal wieder vors Haus und sog die faule Morgenluft Meter tief ein. Ich bog nach links in Richtung Kanal und Hebebrücke, die Carlotta und mich zum Greifen nah zerrissen hat. Auf meinem Weg begegneten mir nur ein paar Hunde, die auf die Straße kackten. Unauffällig ihre standen ihre Herrchen an der nächsten Ecke, rauchten und schauten sich auf ihrem Iphone Internet- Pornos an. In der Nähe des alten Hafenbeckens, der Darsena, ging ich einem immer dichter werdenden Strom entgegen. Alte Frauen mit knöchernen Bastkörben und weißhaarige Stockgreise mit angehängten Plastiktüten schlurften schweren Schrittes umher. Hinter einem Torbogen tat sich auf einmal ein idyllisch gelegenes Plätzchen mit einem kleinen Markt vor mir auf. Emsig und lautstark bot ein bunter Haufen Heuchler und Händler seine Waren feil. Der Maronenröster predigte neben der würzigen Käsefrau, der Obst- und Gemüsepflücker wetterte zwischen Wurst, Eiern und Blumen. Der triste Bäcker tauschte grade am Klamottenstand Brötchen gegen ein Sixpack Socken und gegenüber lockte ein süßes Marmeladenmädchen. Das eingelegte Gemüse schwieg und lauschte staunend dem tätowierten Rattengesicht, das Mikrofasertücher und Fenstergummis anpries. Jeden Meter auf diesem Einkaufsmoloch mischte Merkur ein anderes traumatisches Wahrnehmungs- und Erlebnisdrama aus der Palette der Farben von Rembrandt bis van Gogh mit Geruchssequenzen von fäkal bis floristisch.
Vor einem Metzgerwagen blieb ich stehen. Abgerissene Extremitäten verendeter Huf- und Klauentiere, gefleckter Wiederkäuer und rosiger Allesfresser baumelten an Arm dicken Tauen links und rechts hinter einem grobschlächtigen und dumpf blickenden Borg. Seine Schürze war Blut verschmiert wie nach einer Kreuzigung. Hinter der beschlagenen Auslage tobte grade eine Schlacht zwischen einem Fliegengeschwader und einer einzelnen Mücke, die verzweifelt hinter einer Motorradhelm großen Schüssel mit Sexual- und Sinnesorganen unklarer Genese Deckung vor dem nächsten Angriff suchte. Auf stumpfen Blechschalen stapelten sich Felddecken große Fleischfahnen in unterschiedlichen Eiterfarben. Angewidert brummte ich „Igitt“ in mich hinein, „was ist das denn?“ „Das ist Trippa“, sagte Carlotta, die wie aus heiterem Himmel neben mir stand, ich blickte in ein Lächeln, zart wie eine junge Rose, „ein Vormagen der Kuh, eine Spezialität der Region“. Sie nahm meine Hand und ließ sie nicht wieder los, „komm, ich lad‘ Dich zum Essen ein!“ „Was gibt es denn?“, fragte ich. „Cozze alla tarantina!“

ENDE

Traumfahrer

Fortsetzung von Hautnah (Kapitel 1), Space Invaders (Kapitel 2), Verkorkt (Kapitel 3), Strafzimmer (Kapitel 4), Schnurlos (Kapitel 5), Murmeltier und Sehnsucht (Kapitel 6), Holzklasse (Kapitel 7), Zurück in die Zukunft (Kapitel 8), Sucht und Ordnung (Kapitel 9), Hättichmal (Kapitel 10) und Nie wieder zweite Liga! (Kapitel 11)

Kurz nach Sonnenaufgang stemmte ich mich klebrig aus meiner Kajüte, mein erster Blick fiel auf mein Handy: Keine Nachricht, kein Anruf und keine Kontakte! Es schien, als habe mein Zeitsalto rückwärts nicht nur mein Handy resettet und alles gelöscht, sondern auch das von Carlotta. Wackelig taumelte ich in meine Shorts, mein lädierter Fuß schmerzte immer noch vom Sturz über meinen Rucksack. Die Ärzte meinten, ich sollte mich schonen, damit der Knochen heilen könne und nicht steif verwachse. Vorsichtig humpelte ich die steile Treppe hinunter zum Frühstückraum. Unten erwartete mich ein karges Buffet wie in einer schwäbischen WG: Brötchen, Marmelade, Caffè. Fertig. Aus. Ich packte mir brummig zwei Weißmehlkugeln und sieben Pröbchen Sauerkirschkonfitüre auf einen Teller, griff mir die Corriere della sera vom Vortag von der Theke und setzte mich an einen freien Tisch am Fenster. Tief stach ich das Messer in das hohle Weizenmausoleum, teilte es, füllte es Rand hoch mit dem klebrigen Wespenlockstoff und biss hinein. Ein dicker Spritzer Fruchtmus stürzte herab und traf Carlotta, die mich aus dem Kulturteil anblickte. Erschrocken hustete ich den Teigling wieder hoch und wischte ihr den roten Kleckshut beiseite. „Ausstellungseröffnung“ überflog ich den Artikel hektisch, schüttete mir den lauen und übersüßten Caffè in den Ösophagus, schnappte nach der Zeitung und stürzte auf die Straße.
Draußen war ein Sommer, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, nicht in Mailand, nicht in Bielefeld oder irgendeiner anderen Metropole. Trotz der Frühe waren Stehplätze im Schatten bereits ausverkauft, das Blau des Himmels geschmolzen, ich blickte einfach hindurch in die explodierende Sonne. Die Hitze war unerträglich. Im Kanal blubberte das Wasser, Tauben gingen zu Fuß, weil die Luft zu dünn zum Fliegen war. Der Asphalt auf den Straßen war weich wie eine Ritter Sport Zartbitter im Handschuhfach eines Fiat Ritmo. Teerpappe tropfte in langen Fäden von den Dächern und erschlug einen Fahrradkurier. Ich versuchte, mir mit einer Markisenkurbel sein Velo zu angeln, sank dabei aber selbst ein wie in frischer Hundewurst. Fluchend schmiss ich das glühende Brandeisen in den Kanal. Tür um Tür kämpfte ich mich voran, drückte mich eng an die Hausmauern, turnte über überbackene Nagetiere und tänzelte über Lavaschollen, aber dieser Schmelzofen erstreckte sich endlos und unbarmherzig vor mir wie eine Wüste. Mein Liquor begann zu kochen, ich stolperte und schlug breitseits in die lodernde Pfanne. Erst am Abend schälte mich ein Wasserwerfer der Carabinieri wieder heraus. Frittiert und labbrig schleppte ich mich zurück in meine Pension, trug dickschichtig Speisequark und Olivenöl auf meinen Leib auf, wickelte mich in Aluminiumfolie und schaltete den Fernseher ein. Alle privaten Kanäle brachten Sondersendungen über die größte Hitzewelle Norditaliens seit der Erstausstrahlung von Sex in the city: Auf dem Grund des ausgetrockneten Lago Maggiore tauchte das Bernsteinzimmer auf. In einer Dringlichkeitssitzung beschloss Silvio Berlusconi, es im Palazzo Grazioli, seinem Wohnhaus in Rom, wieder aufzubauen. Der schmierige Breitkopfaal grinste mich in Full HD an, Arm in Arm mit einer schlanken Brünetten. Wahrscheinlich eine Medienreferentin im Praktikum, kurz vor ihrer mündlichen Abschlussprüfung. Dann verlas er seinen 2- Punkte- Plan zur Bewältigung der Klimakatastrophe:
1.) Ab sofort darf Trinkwasser nur noch schluckweise verzehrt werden, und
2.) Auf den Verkauf von Reservekanistern, Fässern und Eimern wird eine Sondersteuer erhoben.
Noch ehe der Staubsaugervertreter mit dem Charme einer Filtertüte die Auflösung des Parlaments, sowie die Privatisierung aller öffentlichen Sendeanstalten und Verlage verkünden konnte, schaltete ich auf um. MilanoArte berichtete von einer Künstlerin, die aus Kutteln und Schmelzkäse eine lebensgroße Plastik des Ministerpräsidenten und selbsternannten Nachtclubpapstes gefertigt hat und nun eifrig in ihrem Heimatdorf im kühleren Süden an der Umsetzung des Vatikans im Maßstab 1:32 arbeitete. Die Kamera schwenkte auf eine Sägemühle, neben der Tür stand eine mir gut vertraute Bank. Zoom auf Carlotta, ein Reporter fragte sie aus dem Off, wie sie zu diesem außergewöhnlichen Material gekommen sei. Plötzlich begann das Bild zu flackern, die Stimmen rissen ab und klangen blechern. Dunkelheit legte sich über die ganze Stadt, der Strom kroch in seine unterirdischen Höhlen zurück.

Fortsetzung bitte! Hier!

Ich tue, was ich machen kann

Manchmal weiß ich nicht, was ich noch machen soll. Ich tue schon mein bestes, aber das reicht bisweilen einfach nicht. Ach, wie soll ich das erklären?! Also, es gibt Arbeit und es gibt Freizeit. Beide unterscheiden sich in vielen Punkten von einander. Arbeit hält mich von meiner Freizeit ab. Arbeit ist ein ewig gleicher Trott, ein Murmeltiertag, eine Zeitschleife, in der nichts anderes passiert, als die vergangenen Jahre auch. Hochgerechnet schon tausendsechshundert Mal bin ich den selben verschissenen Weg zum Büro schon gefahren. Baustellen im frühen Planfeststellungsverfahren bremsen mich auf die Geschwindigkeit einer Wanderdüne herab. Seit der Mondlandung soll dieser Teil der Autobahn ausgebaut werden. Eine greise Fledermaus und zwei Grottenolme haben hier bisher erfolgreich verhindert, was in Stuttgart nicht gelingt. Auf der Einfädelspur zieht feixend ein Gurkenlaster an mir vorbei und drängelt sich vor mich. Ich schlage aufs Lenkrad, hupe gestikulierend und quetsche mich ohne zu blinken auf den verengten Fahrstreifen zwischen schwarze Limousinen mit LED- Tagfahrlicht und silbernen Buchstaben-Nummern-Koordinaten auf dem Heck. Im zähen Stop and Go geht es voran, Küblböck hat mir immer ein paar Meter voraus. Dann muss ich abfahren. Auf der Abbiegespur gebe ich Gas, versuche noch gleichzuziehen und dem Bazi den längsten Finger zu zeigen, als ich abrupt abbremsen muss, weil ein Bofrostlaster ausschert. Nur Idioten auf der Straße und bei der Arbeit geht es mit Idioten weiter. Lauter Verrückte, ohne Lust und Motivation. Dummheit hat mehr Doppelkonsonanten als sie IQ besitzen und Diät mehr Vokale als ihr BMI beträgt! Aber Schuld haben immer die anderen! Wie mir das Gejammer aus den Ohren heraus hängt!

In meiner Freizeit denke ich so etwas nicht. Da möchte ich den warmen Wind hauchen spüren, das Meer rauschen hören und die salzige Luft schmecken. Ich möchte in das Backfischbrötchen beißen und mir das T-Shirt mit Remoulade bekleckern. Da möchte ich in Weidenkörben nach Muscheln kramen, mir einen Kescher kaufen und schwarze Möwen vor der Sonne zählen. Ich ziehe mir die Schuhe aus und laufe barfuß am Strand entlang und springe über Wellen. Und erst, wenn die Nacht von unten durch den Horizont bricht, falle ich mit Sand in den Haaren und schmutzigen Füßen ins Bett.

Potpourri

Das wollte ich schon länger mal machen: Eine Geschichte schreiben, in der alle meine Schlagwörter („Tag-Links“, siehe am rechten Rand) mindestens einmal vorkommen. Ich probiere es mal alphabetisch!

Es ist Heiligabend. Soeben öffne ich das letzte Törchen vom Adventskalender. Was ist das denn? Ich traue meinen Augen nicht: Ein kleines Schokoladenauto. Und wer steigt grade aus? Der Bofrostmann! Wo will der denn so spät hin? Will der etwa noch Tiefkühl- Brötchen ausliefern? Wo denn? Hier in dieser unwirtlichen Gegend, mitten am Deich? Hier gehen die Eier zu Ende, die Frauen spielen Fußball und Haare wachsen am Horizont! Was in aller Welt hat der hier verloren? Leise schleiche ich ihm nach. Das gespenstische Licht des Mondes verzerrt die Schatten der Hühner im Garten von Kapitän Ahab zu einer Karawane Fleisch fressender Saurier. Plötzlich bleibt der Bofrostmann stehen und blickt sich misstrauisch um. Ich zucke zusammen. Hat er mich gesehen? Dämonisch sieht er aus, als würde er Kinder fressen. Ich fürchte um mein Leben, als er einige Schritte auf mein Versteck zugeht. Sein eisiger Atem stirbt in der klirrenden Kälte, kaum dass er sein Maul verlässt. „Ich bin ein Mann“ , denke ich, „zum Sterben ist jetzt keine Zeit!“ und laufe weg. Meine Schritte hallen in der Dunkelheit wie die Schläge des Belzebubs zum Altweiberfasching auf dem glühenden Amboss. Atemlos renne ich zum Meer. „Heiliges Murmeltier, steh mir bei“, schreie ich. Der graue Riese schmeißt unbarmherzig seine kalten Arme nach mir und spült Muscheln um meine Füße. Unsichtbare Möwen schreien durch die Nacht. Meine Nase saugt den salzigen Odem des Todes ein, in den Ohren knistert es nach zertretenem Playmobil. Das Radio in meinem Kopf spielt Julis „Woanders zu Hause“. Dann ist plötzlich Ruhe. Kognitiver Stromausfall. Unendliche Stille. Das Meer schweigt, als habe Neptun Mittagsschlaf verordnet und drohe jedem, der dieses Gesetz missachtet, mit einer Einzelstunde Eurythmie. Mit meinen Zehen presse ich den Sand in meinen Schuhen immer wieder zusammen, bis sich ein kleiner Damm darin bildet. Die Welt um mich herum ist stumm, wie in der Schule beim Englisch- Unterricht, mucksmäuschen still. Selbst die Segel eines trüben, vorüberziehenden Seelenverkäufers halten sich an das unausgesprochene Redeverbot. Ich fröstle.
Mit lautem Getöse poltert die Brandung Ruptus artig wieder los, glitschig wie Seife prescht sie mir ihre klamme Gischt ins Antlitz. Ich muss spucken und kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, brennt die Sonne, obwohl es eben noch stockfinster war. Bis zu den Knien eingegraben stehe ich am Strand, es ist heller Tag. Hinter mir entdecke ich eine schimmernde Tür. Das Wasser frisst gierig ihren Rahmen und drückt an die Buhnen.

Das Leben ist wie die Flut an Weihnachten“ , denke ich, „was die Welle nicht reißt, das reißt der Wichtel!“
In der Tür drehe ich mich noch einmal um und blicke ein letztes Mal zum Ende der Welt. Der Wind bläst mir ins Gesicht, das hält die Windschutzscheibe nicht.

Ostreise

Ich war ein paar Tage im Osten. Da, wo der Mehlwurm verhungert und der Spatz tot vom Ast plumpst. Da, wo der Regen nach kaltem Kaffee- Ersatz riecht und der Schnee schon grau vom Himmel fällt. Da, wo Aluminiumfolie im Keller zu Geld geprägt wird und Gurken im Schatten der Datsche Oberschenkel groß heranwachsen. Da, wo ich nicht tot übern Zaun hängen möchte.

Da, wo ein Auto klingt wie die Singer- Nähmaschine meiner Mutter, die sie 1954 von dort mitgebracht hat.

Dort, wo ich 1974 von Mandy meinen ersten Kuss bekommen habe, als wir Tante Dörthe in Plau besucht haben. Wo die Schokolade knusperte und die Kola lebte. Wo City mit „Am Fenster“ einen Evergreen für Jahrhunderte geschaffen hat und meine Hand das erste Mal unter eine Bluse wanderte.

Dort, wo die Brötchen heute noch Schrippen heißen, Hühnchen Broiler und Frikadellen Buletten.

Dort ist die Welt noch in Ordnung.

Freu dich nicht zu spät!

Unerwartet blickt Murat in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.
Er bleibt wie angewurzelt stehen und starrt sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält seinem Kuckucksblick unerschrocken stand. „Wer ist das?“, flüstert er mir zu. Ich will grade antworten, als mein Handy klingelt. „Ja?“, nuschele ich hinter vorgehaltener Hand. Eine Stimme krächzt mir ins Ohr wie die letzten Worte eines verschütteten Bergmannes: „Warmmacha kaputt!“ „Wir kommen“, sage ich und klappe das Handy wieder zu. „Murat, dein Bruder hat angerufen. Ich glaube, die Heizung ist kaputt. Nimm die Eimer und los! Wir müssen zurück!“ Murat nölt, immer müsse er die schweren Malereimer schleppen. Ich fasse mir instinktiv ins Kreuz, halte ihm aber die Tür auf.

Wir müssen etwa 10 Minuten laufen bis zu unserem Rapid. Er steht mit dem rechten Hinterrad auf dem Bürgersteig in einer viel zu engen Lücke. Während Murat durch die Beifahrertür die Eimer nach hinten hievt, begutachte ich den Möwenschiss auf der Windschutzscheibe, lese mir das Knöllchen durch und klemme es beim Vordermann unter den Wischer. Das Auto ist unser ganzer Stolz. Murat nennt es gerne „Lebensabschnittsgefährt“.  Ich glaube, das hat er irgendwo aufgeschnappt. Wir haben es erst vor einer Woche bei einem Schwager des Arbeitskollegen seines Bruders gegen meine alte Taucheruhr getauscht. Seine Pizzeria lief nicht mehr gut, die Uhr auch nicht und so war es ein lohnendes Geschäft. Jetzt prangen unsere Namen in dicken Lettern auf beiden Seiten, darunter „Haushaltswarensonderposten“ und die Anschrift. Ich musste Tage lang mit Murat diskutieren, damit er alle Buchstaben von „Renzo’s Pizzeria“ vom Wagen abknibbelt. Er wollte RENZO stehen lassen und HaushaltswaRENZOnderposten davonmachen. Auf der Heckklappe grinst aber immer noch der dicke Schwager mit einem Pizzaschieber in der Hand. Der muss auch noch ab!
„Diese Frau“, beginnt Murat noch einmal, „kennst du sie?“
„Oh ja, schon viele Jahre!“
„Ich muss sie wieder sehen! Sie ist so wunderschön!“
„Murat, das war doch nur ….“, weiter komme ich nicht, denn Murat dreht das Radio auf und singt lauthals mit. Für mich klingt es wie das Vorspiel paarungsbereiter Murmeltiere.

Murat findet wieder keinen Parkplatz vor unserem Geschäft. Ich steige schon mal aus und unterhalte mich mit seinem Bruder, ob „Haushaltswarensonderposten“ nicht vielleicht doch ein zu langes Wort ist. Wir könnten es auch einfach „Renzo’s Lädchen“ nennen?! Er nickt und zeigt mir die angeschmorte Zuleitung vom Wasserkocher. Endlich kommt Murat mit den beiden Eimern angeeiert. Er stellt sie ab und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. „Murat, wir sind spät dran“, sage ich und gucke demonstrativ auf mein linkes Handgelenk, wo mich ein Stückchen helle Haut begrüßt, „wo bleibst du? Fang doch schon mal an, die Wände zu streichen. Ich muss noch ein neues Kabel besorgen und dann lade ich die anderen Kaufleute zu unserer Eröffnung nächste Woche ein!“

Mein erster Weg führt mich direkt zum Kabelbaron. Ich wühle mich durch Klappkisten voller Kabel, Schalter, Stecker und Sicherungen. Ich finde einen gut erhaltenen Raclettegrill, nehme noch ein Sortiment Knopfzellen, eine Stange günstige Zigaretten und für Murat eine breite Farbrolle mit. In den Regalen verstecke ich ein paar kopierte NEUERÖFFNUNG!- Zettel. Ich habe Glück, bekomme einen Tee und 10 % Rabatt auf meinen gesamten Einkauf und zahle 50 Cent extra für die Plastiktüte. Diese Marketingstrategie beschließe ich, mir zu merken.

Mit dem Einkauf unter dem Arm schlendere ich weiter. Ich komme an einem Haushaltswarenfachgeschäft vorbei. „Oh“, denke ich, „da muss ich doch mal gucken.“ Das Schaufenster ist hübsch dekoriert mit Hutschenreuther- Figürchen, die in der Preisklasse unseres Rapids liegen. Schmuckes Geschirr von Rosenthal und Dibbern verspricht, jeden Abendbrottisch zum perfekten Dinner zu machen. Mir fällt ein, dass bei meinem Raclettegrill noch etwas fehlt. Ich ziehe die Tür auf, ein Klingeling signalisiert mein Eintreten. Ein ergrauter Chefverkäufer tritt aus einem Nebenraum durch einen schweren Brokat- Vorhang auf mich zu, „womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?“
„Ja“, sage ich, „ich suche Holzspatel, damit ich mir die Raclette- Pfännchen hier nicht mit der Metallgabel verkratze“ und halte den verschlissenen Karton hoch, „haben Sie so etwas?“
Das Korkgesicht wird puterrot. Er hat wohl an diesem Tag noch keinen erfreulichen und einträglichen Verkaufsabschluss verzeichnet oder ich störe ihn grade hinter seinem Vorhang bei einer Bio- Orange zum Abendbrot. Seine Schwiegermutter ist ein Drachen und die eigentliche Herrin im Geschäft. Seine Frau hat einen deutlich jüngeren Liebhaber, den sie aushält und die Kinder heißen Kevin und Chantalle, was alleine schon ausreicht für ihre psychiatrische Einweisung. Die Putzfrau hat sich krankgemeldet, beim SLK rutscht die Kupplung und der TÜV ist abgelaufen. Sein Handicap hat sich verschlechtert, die Aktienkurse fallen und die Moral verkommt.
„Wo haben Sie den denn gekauft?!“, blufft er mich an.
„Och“, sage ich, „ich mache mit meinem Knastkumpel Murat drüben einen Haushaltswarensonderpostenladen auf.“ Ich zeige in die Richtung. „Die Spatel fehlen uns noch im Sortiment.“  Ich nicke ihm höflich zu, drehe mich in der Tür noch einmal um, „auf gute Geschäftsbeziehungen!“
Klingeling!

Als ich zurück komme, deckt Murat grade den Fußboden mit Zeitungspapier ab. Auf der Fensterbank steht ein durchweichter Pizzakarton. Eine Melange aus Lösungsmitteln, Knoblauch und Bier steigt mir in die Nase. Ich entdecke eine Werbebeilage vom Baumarkt ohne Tiernahrung und Pflanzen und nehme sie hoch. „Guck mal“, sage ich zu ihm, „hier gibt es Farbe, die nicht riecht, nicht kleckert und schnell trocknet! Was hältst du davon?“ Ich lehne mich an den Türrahmen, ehe er antworten kann. Er rollt mit den Augen. Meine schwarze Lederjacke pappt am Rahmen wie eine Fliege am Klebestreifen. Mit einem Ruck und einem Geräusch wie Leukoplast am haarigen Unterarm reiße ich mich los.
Motzend gehe ich in den Nebenraum und mache ich mich daran, das versengte Kabel vom Wasserkocher auszutauschen. Die Zigaretten schmecken nach getragenen Schuhen. Ich überlege, sie später Murat anzudrehen, dem ich noch Geld schulde.
„Weißt du, wen ich getroffen habe?“, rufe ich ihm durch den Vorhang zu. Murat klettert von der Leiter und steht mit der alten Pernod- Kappe, dem blauen Overall und seinem Dalmatiner- Gesicht in der Tür. „Renzo?“
„Nein, du weißt schon! Die Frau!“
Murat wird ganz hektisch, geht zum Waschbecken und schrubbt sich die Farbe aus dem Gesicht.
„So willst du ja wohl nicht los“, sage ich und zeige auf seine Kappe, „außerdem: Meinst du nicht, sie ist ein bisschen zu alt für dich?“
„Nun erzähl schon!“
Ich biete ihm eine Zigarette an, er stochert aufgeregt mit seinen Farbfingern in der Schachtel umher. „Also“, beginne ich, „du weißt doch noch, wo …“
„PFUMP!“, macht es, als ich den Stecker in die Dose drücke und alles ist dunkel.
„Oh“, mache ich, „Warmmacha kaputt!“

Am nächsten Tag will ich Sicherungen und einen Wasserkocher kaufen. Murat besteht darauf mitzukommen, vielleicht träfen wir sie ja?! Ich überlege, ob wir noch mal in dieses nette Geschäft gehen, entscheide mich dann aber für Bijou Praktiker. Da können wir dann auch die andere Farbe kaufen, die Türrahmen müssen dringend gestrichen werden.
Im Eingang laufen wir Renzo in die Arme. Er hat da einen kleinen Stand mit mediterranen Spezialitäten. Heute gibt es bei ihm auf Alles 20 %, verkündet er stolz. Sein neues Geschäft liefe gut, die Leute seien verrückt nach seinem eingelegten Gemüse. Murat probiert neugierig eine Piri- Piri- Salsa. Hummerrot hustet er sich in die Faust. „Hast du dich erkältet?“, frage ich. Murat nickt mit dem Kopf. Renzo wiegt ihm darauf hin eine große Portion in einem klaren Becher ab, tippt eine zweistellige Zahl ein, wickelt alles in schweinefarbenes Papier und packt es in eine Tüte. Er nimmt sein Handy von der Waage und stellt die Salsa auf die Glastheke. „Und ein Fladenbrot umsonst, weil ihr es seid! Das macht dann genau zwanzig Euro“, sagt er. Murat stutzt. „Minus zwanzig Prozent, sind, äh, achtzehn“, schiebt Renzo schnell hinterher. Murat nestelt einen großen Schein aus der Hosentasche und überreicht ihn Renzo. Er flüstert mir zu: „So ein alter Gauner, der wollte mich glatt bescheißen!“ Ich gehe schon mal  zu den Sonderposten, während Murat auf sein Wechselgeld wartet und schaue mir einen Laubbläser an. Der hat ein schönes Grün und 3000 Watt. „Boah“, denke ich, „ganz schön laut!“
Murat taucht wieder auf. Wir beschließen uns zu trennen. Er fährt mit dem Karren ins Untergeschoss zu den Farben, ich schlendere mit zwei weißen Plastiktüten durch die Werkzeugabteilung. Bei den Spannungsprüfern mache ich Halt. Ich will einen Verkäufer fragen, ob der auch für Niederspannung geht, aber zwischen den Hochregalen spricht nur der Preis. Ich nehme ihn trotzdem, er ist reduziert. Beim Autozubehör treffen wir uns wieder. Kritisch begutachte ich seinen Wagen mit Farbe, einem Edelstahl- Wasserkocher, einem Knopfzellensortiment und einer breiten Farbrolle.
„Was willst du denn mit den Batterien?“, frage ich ihn.
„Oh“, meint Murat, „Renzo hatte kein Wechselgeld. Da hat er mir noch günstig diese Taucheruhr verkauft“ und hält sie mir triumphierend unter die Nase. „Ich glaube, da ist nur die Batterie alle!“
Die Kasse ist wieder die Hölle. Die Aushilfskassiererin kann Styropor nicht von Porenbeton unterscheiden und tippt beim Spannungsprüfer doch den Original-Preis ein. Bis endlich die Kassenaufsicht kommt, ist Arminia Bielefeld einmal auf- und einmal abgestiegen. Am Imbiss draußen kaufen wir zwei halbe Hähne und rauchen getragene Schuhe.

Noch drei Tage bis zur Eröffnung. Murat ist echt fleißig. Er ackert und schuftet von früh bis spät, tapeziert, streicht und lackiert die Türen. Ich lade die anderen Ladenbesitzer ein, auch die Bio- Orange von gegenüber, und verteile Zettel an die Passanten. Beim Kabelbaron finde ich tatsächlich Holzspatel. Ich tausche die verschmorte Zuleitung um und bekomme noch einen putzigen Krümelsauger in Form eines kleinen Marienkäfers zur Entschädigung. Die Taucheruhr schwatze ich Murat gegen die Zigaretten wieder ab. Ich schraube den Boden auf und will die alte Batterie mit dem Spannungsprüfer testen, weiß aber nicht, wie das geht. Zum Glück hat Murat ja noch neue. Er braucht die ja nicht mehr. Um Mitternacht ist er endlich fertig mit den Fußleisten, die Uhr piept. Klasse! Ich schnorre mir noch eine von seinen Zigaretten und schicke ihn nach Hause. Erschöpft ziehe ich das Buschfeuer in meine Lungen. Ich sitze da und probiere den Marienkäfer aus. Er schafft sogar ganze Maiskörner. An einer Olive verschluckt er sich röchelnd. Ich muss ihn wohl zurückbringen. Mir fällt ein, dass ich Murat noch versprochen habe, sauber zu machen, weil morgen unsere erste Lieferung ankommen soll. Ich hole den Laubbläser aus dem Auto und fange an.

Zufrieden über mein gestriges Tagewerk lade ich Murat am nächsten Morgen auf einen Kaffee beim SB- Bäcker ein.
Und da passiert es:
Unerwartet blicke ich in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.
Irritiert schaue ich mich um. Doch da ist niemand außer mir und Murat und der stöbert in einer Ecke in Heimwerker- Zeitschriften. Dieses Lächeln gilt also mir?! Umso schlimmer! Was mache ich denn jetzt? Wie sehe ich überhaupt aus? Seit Tagen nicht rasiert, die Haare zottelig wie ein Fraggle. Und jetzt so was! Ausgerechnet! Es gibt sieben andere Tage in der Woche, da fühle ich mich attraktiver!
Ich bleibe wie angewurzelt stehen und starre sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält meinem Kuckucksblick unerschrocken stand.
PFUMP! Es knistert und knallt in meinem Kopf. Gefühle explodieren in bunten Farben.
PFUMP! Du wirbelst Erinnerungen auf. Für einen Moment dachte ich, ich kenne Deine Stimme oder bin dir als Ameise schon mal begegnet.
PFUMP! Deine Augen blicken direkt in mein Epizentrum der Begierde und der Neugier.
PFUMP! Ich bin Feuer und Flamme, gründe in Gedanken eine Familie, habe den besten Sex meines Lebens.
Ich höre nicht, wie hinter mir die automatische Tür aufgeht, alle Geräusche verschwinden hinter einem vergessenen Geruch von Nähe. Plötzlich stößt mich der grauhaarige Holzspatel mit der Kraft der zwei Herzen von hinten an, „junger Mann, das ist hier kein Stehimbiss! Wollen Sie jetzt bestellen?“
Ich schrecke hoch. Murat steht auf einmal neben mir, legt mit einem kühlen Lächeln eine Ausgabe von „Selbst gemacht  leicht gemacht“ auf die Theke und sagt: „Hallo Ayse, zwei Kaffee bitte!“  Meine Taucheruhr piept und zeigt die Fehlfunktion meines Sprachzentrums an, „Warmmacha kaputt!“ stammele ich mit rotem Kopf wie nach einem Esslöffel von Murats Salsa. Ayse blinzelt kurz, als habe sie einen Regentropfen abbekommen. Dann huscht wieder die warme Sonne des Frühlings über ihr Gesicht und ich kann gar nichts dagegen tun.

Hier geht es endlich weiter.

Zauberpuste

Fortsetzung von Der Jever- Mann (Kapitel 1), Faltiger Autist (Kapitel 2) und Du bist nicht mehr mein Freund! (Kapitel 3)

Kapitel 4

Am nächsten Morgen werde ich davon geweckt, dass Papa verzweifelt seine Reisetasche sucht. Durch die Schlitze der Jalousie sehe ich, wie er auf dem Balkon fündig wird. Er entdeckt den zerfetzten Kicker, flucht dreimal laut und gibt mir und meinem Bruder in Abwesenheit die rote Karte. Das heißt: Kein Eis heute und kein Fernsehen vor dem Schlafen gehen mehr. Ich husche schnell zurück in mein Bett und kneife die Augen zusammen. Was ist, wenn er Klopf entdeckt? Das würde bestimmt rote Karte bedeuten bis ich zehn bin, oder hundert. Und nie wieder Delfino- Eis und Wickie gucken. Ich stupse meinen Bruder an, der zieht sich die Decke über den Kopf. Ich trete die Flucht nach vorn an, kneife mir den Schnippel zu und renne zum Klo, um zu sehen, was Papa vorhat. Kurz vor dem Bad bleibe ich wie angewurzelt stehen: Er greift tief in die Tasche und zieht ein angefressenes Salatblatt heraus. Ich stoße mir plötzlich das Knie und fange an zu weinen. Papa legt die Tasche zur Seite und tröstet mich. Dabei linse ich über seine Schulter und sehe, wie Klopf sich unter dem Kleiderschrank verkrümelt. Mit Zauberpuste tut das Knie auch schon nicht mehr weh.
Schlaftrunken kommt mein Bruder aus unserem Zimmer. „Was ist denn hier los?“, will er wissen. „Ich habe mich gestoßen“, sage ich, ehe sich Papa an die verschwundene Reisetasche und den Kicker erinnern kann.

“Was wollt ihr heute machen?“, fragt er nach dem Frühstück. „Shoppen“, antworten wir aus einem Mund und klatschen uns ab. Widerstand ist zwecklos, das weiß auch Papa, weil wir uns sonst ständig streiten oder über Langeweile klagen. Trotzdem packt er die Strandmuschel, die Liegedecke und das Beachball- Spiel zusammen und verstaut alles in unsere Salewa- Rucksäcke. Die geschmierten Brötchen und den aufgebrühten Tee trägt er in einem Stoffbeutel mit Delial- Aufdruck.
Im einzigen Laden hat das ehemals samtweiße Holzpaneel bereits einen bahama- beigen Ton angenommen. Postkarten mit Zackenrand erzählen Legenden aus Wilhelminischen Zeiten. Dutzende Stocknägel mit Strandkorbmotiven und Insel- Silhouetten reihen sich in kleinen, offenen Schächtelchen. Leuchttürme in allen Größen von der F- bis zur A- Jugend, Schneekugeln, Bernsteinfigürchen, Buddelschiffe und ganze Kutterflotten verteidigen ihre Regalwand gegen eine Korblandschaft aus plüschigen Wattwürmern, Möwen und Seehunden fernöstlicher Produktion. Papa versucht ständig, unser eigenes Taschengeld zu sparen. Wir hätten genug Playmobil zu Hause. Aber eben keinen Riesenkraken, der Wasser spritzen kann! Dann meint er, das Wellenbrett sei zu groß, das kriegten wir in keinen Koffer rein. Oder die Ritterfestung sei zu teuer, das Aufblaskrokodil zu gefährlich. Muscheln, Seesterne und Kescher hätten wir noch vom letzten Urlaub zu Hause, im Keller!
Boah, ich habe echt keine Lust mehr und kaufe mir einen Zungenmalerlutscher und saure Colabonbons und gehe mit ihm an den Strand.

Und es hört nicht auf, sondern geht noch weiter!

Faltiger Autist

Fortsetzung von Der Jever- Mann (Kapitel 1)

Kapitel 2

Papa schläft pünktlich zum Sandmann ein und ich kann mich endlich um Klopf kümmern. Vorsichtig hole ich ihn aus meinem Rucksack und schaue ihn besorgt an. Er regt sich nicht. Ich klopfe an seinen Panzer, als mein Bruder ins Bad platzt. „Was hast du denn da?“, fragt er misstrauisch. Ich will Klopf grade hinter meinem Rücken verstecken, als er sein Köpfchen herausstreckt. „Das sage ich Papa!“, kräht er und er weiß, dass er mich damit in der Hand hat. Der Preis, den ich für sein Schweigen bezahlen muss, ist hoch: Meinen Lieblings- Knickjoghurt und eine Woche sein Geschirr mit abräumen. Dafür schwört er, nichts zu sagen, großes Indianer- Ehrenwort. Er hilft mir sogar, auf dem Balkon in Papas Reisetasche ein neues Geheimversteck für Klopf zu bauen. Die Fußball- Zeitschrift, die Papa sich am Bahnhof gekauft hat, knüddeln wir zu einem gemütlichen Nest und sein Brillenetui klappen wir ganz auf, in eine Hälfte kommt ein bisschen Müsli, in die andere füllen wir Wasser. Klopf scheint ganz zufrieden mit seinem neuen Heim.
Am nächsten Tag bin ich als erster wach. Leise schleiche ich auf den Balkon und schiebe Mesut Özil zur Seite. Dahinter sichert Klopf den Raum ab. Ich setze mich auf die nassen Dielen und schaue ihn an. Er scheint auch noch zu schlafen. Manchmal denke ich, er könnte mich verstehen, wenn er mich anschaut und seinen faltigen Hals reckt. Dann erzähle ich ihm, wie ich einmal das Feuerwehrauto von meinem Bruder im Sand verbuddelt habe, weil ich so eins auch gerne hätte. Oder seine Unterhosen unters Bett werfe. Wie ich Lauf, seinem Hamster, die Füßchen mit Tesa umwickelt habe, weil er schneller war als Klopf. Oder dass ich mir kurz vorm Einschlafen heimlich die Bettdecke in den Schlafanzug stopfe, damit ich morgens trocken bin. Sonst dürfte ich Klopf nicht behalten, hat Papa gesagt. Dann nickt Klopf immer und gibt mir Recht. Er ist auch der einzige, der weiß, dass ich gerne Leuchtturmwärter werden möchte. So wie Herr Tur Tur auf Lummerland. Das muss schön sein, abends einmal die Wendeltreppe raufsteigen, die Petroleumlampe anzünden und morgens wieder löschen. Keine Nacht darf es ausbleiben, meinen fünften Geburtstag nicht, nicht Weihnachten, und nicht freitags, wenn die Schmutzfrau kommt. Ich muss immer da hoch. Mit Einbruch der Dunkelheit muss das Licht brennen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Klopf versteht mich. Papa nennt ihn manchmal faltiger Autist.
Als neben mir die Jalousien hochgezogen werden, klappe ich schnell die Tasche zusammen und flüchte mich ins Bad. Verlegen spüle ich, denn die Hose ist nass. Ich verstecke sie zwischen den frischen Handtüchern. Ich höre Papa rumoren wie er hinein will. Noch bevor er die Klinke runterdrückt, schimpfe ich extralaut über meinen Bruder, der mal wieder meine Schlafanzughose versteckt hat. Papa nimmt mich schlaftrunken in den Arm und tröstet mich.

Wer zuerst angezogen ist, darf Brötchen holen, der andere muss den Tisch decken. Mein Bruder findet seine Unterhose nicht und ich gehe zum Bäcker, manchmal gibt es dort eine kleine Tüte Gummibärchen. Die Milch ist nicht warm genug, die Eier sind hier weiß und die Sanddornmarmelade schmeckt auch nicht wie zu Hause. Beim Zähneputzduell gewinne ich. Papa schickt uns zum Spielplatz und geht regieren. Als er wieder bei uns ist, blutet meine Nase und die Hose meines Bruders hat ein Loch. König Papa entscheidet, dass wir heute zu den bescheuerten Seehundsbänken fahren. Auf meinem T- Shirt steht I’m the boss. Das zählt nicht, erklärt er mir, König sei mehr als Chef. Dann will ich doch lieber Leuchtturmwärter werden. Oder faltiger Autist.

Ob es wirklich so kommt? Hier gibt es die Antwort!

Der Jever- Mann

Kapitel 1

Ich gehe noch einmal in den Garten hinaus, hinten zum Stall. Klopf ist nirgends zu sehen. Ich hebe das Holzhäuschen hoch und schiebe das Stroh ein wenig an die Seite. Er ist auch diesmal in seinem Lieblingsversteck. Schnell stopfe ich ihn in meinen Rucksack. Er tut so, als merkt er es gar nicht. Dann renne ich zum Auto. Papa und seine neue Freundin warten schon. Sie hupt und fächert mit den Armen, ich solle mich beeilen. Eigentlich ist es ja Papa, der es so eilig hat, wir hätten noch über eine halbe Stunde Zeit, hat Isabelle gesagt. Und zum Bahnhof seien es nur zehn Minuten. „Wo warst du denn noch?“, will Papa prompt wissen. „Ich habe nur Klopf auf Wiedersehen gesagt“, flunkere ich. Dann geht es los. Wie Bolle freue ich mich auf diesen Urlaub. Es ist der erste, seit Mami weg ist. Papa hat uns eine Schnitzeljagd versprochen, mit Knicklichtern, Taschenlampen, Gartenfackeln und Grillen am Strand. Ich bin mal gespannt, ob er diesmal hält, was er verspricht. Isabelle kommt schnell voran und zwanzig Minuten zu früh stehen wir vor dem Hauptbahnhof. Zusammen heben sie die Koffer aus dem Auto, weil Papa noch dolle Rückenschmerzen hat. Die beiden knutschen noch eine Weile, weil Isabelle erst in ein paar Tagen hinterher kommt. Dann wird die Zeit doch wieder knapp. Wie immer streite ich mich mit meinem Bruder darüber, wer jetzt den Trolli holen darf. Wer den Chip einwerfen darf. Wer ihn zuerst schieben darf. Wer zuerst im Fahrstuhl auf hoch oder runter drückt. Wer den Trolli zurück bringt. Es steht 3:2 für mich. Mein Bruder schimpft, dann könne er ja gleich zu Hause bleiben. Dann hätte ich Papa für mich. Aber er steigt doch ein. Schwer bepackt laufen wir durch den Zug bis zu unseren Plätzen. Er sitzt neben Papa, Mist, unentschieden. Dafür mache ich als erster die Tasche mit dem Proviant auf und schnappe mir eine Bifi- Roll. Der Zug ist schön leer, wir hätten gar keine reservierten Plätze gebraucht. Nach knapp einer Stunde müssen wir das erste Mal umsteigen. Papa schimpft, was wir denn alles eingepackt hätten. Am Bahnsteig auf der anderen Seite fährt unser nächster Zug grade ein. Papa wird hektisch, ich denke das erste Mal an Klopf. Freundliche Menschen um uns herum helfen uns und irgendwie schaffen wir es doch. Elende sieben Waggons schieben und stoßen wir unsere Koffer durch die erste Klasse und das Bordbistro bis bis zu unseren neuen Sitzen. Auch hier schön leer. Wie steht es denn jetzt eigentlich? Na ja, egal. Wir schnicken halt, Bombe und Rakete gibt es nicht, das habe ich dem Doofmann schon einhundert Mal gesagt. Eine olle Schachtel beschwert sich, wir seien zu laut, hier im Zug säßen noch andere Leute und wollten arbeiten oder sich erholen. Papa stellt sich taub, wir machen weiter. Wir müssen wieder umsteigen, diesmal ist der Zug rappel voll, Füße ragen in den Gang, Koffer versperren den Weg. Warum hat Papa nicht reserviert? Weil er es trotzdem hinkriegt! Die nächsten beide Male müssen wir nur auf das Gleis gegenüber. Das schaffen wir locker. Es ist auch wieder deutlich leerer. Wir spielen mit der Bordtoilette, die eine lustige automatische Tür hat. Papa ist eingeschlafen. Ich füttere Klopf mit Papas mitgebrachtem Tomaten- Mozzarella- Brötchen. Als der Zug nicht weiterfährt, wecken wir ihn. Soeben huschen wir noch in den letzten Bus. Den Koffer auf den Knien rumpeln wir über Kopfsteinpflaster bis zum Fähranleger. Ein gewagtes Spiel mit der Zeit. Als der Kapitän dreimal trötet, hat Papa auch endlich die Tickets in der Hand und die Koffer abgegeben. Zusammen mit den Ratten erklimmen wir das überfüllte Deck. Der Wind pfeift um unsere Ohren und um kleine Birken, die das Fahrwasser markieren. Erschöpft kuschele ich mich an Papa. Die Sonne blendet mich. Die Sportvereinskameraden Wittmund auf Auswärtsspiel wärmen sich mit obergärigen Getränken auf, die Jugendreisegruppe aus Schieder blockiert Minuten lang für ein Foto die Treppe zum Heck und zu den Propellern. Die Drecksmöwen kreuzen für jeden Bissen gegen den Wind und ich schlafe ein. Ein letzter Ritt mit der Bimmelbahn zwischen Jack Wolfskin- Jacken, Bench- Fleecepullovern, Schöffel- Westen, Fahrrädern, Kinderwagen, plärrenden Kindern mit Nutella- Schnuten und schweren Windeln, zwischen Okzident und Orient, als wir endlich den Inselbahnhof erreichen. Mein Bruder und ich sind zu müde, um Papa tragen zu helfen. An der alten Museumslokomotive warten wir auf ihn. Er kommt mit einem quietschenden Bollerwagen und einem langen Gesicht zurück.

Wir erstürmen die Wohnung wie Dieter Bohlen früher die Charts. Dann wollen wir an den Strand, mein Bruder und ich. Papa möchte erst eine Pause machen. Beim Hüpfen auf der Matratze komme ich höher als mein Bruder, stoße mir aber den Kopf. Ich entdecke als erster die Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Ein Shanty- Chor vor einem großen Segelschiff liebt die Stürme. Papa kann nicht einschlafen und wir ziehen uns wieder an. Über rot geklinkerte Wege stürmen wir an Juckpulverbüschen, Knallerbsensträuchern und kahlen Kiefern vorbei, im Slalom um jeden Pöller, Anker und Bojen in Vorgärten zählend, mit Schwung über eingegrabene Paletten die Dünentäler hinunter und an Papas Hand wieder hinauf. Hinter der letzten Biegung liegt das Meer dann plötzlich da: Groß, weit und grau. Was Klopf jetzt wohl macht, fällt mir plötzlich ein. Dann stößt mir der Wind die Kapuze vom Kopf und ich meinen Bruder. Laut brüllend wie auf Kaperfahrt erobern wir die Welt. Papa fällt um wie der Jever- Mann.

Hier geht die Geschichte weiter

Das Mädchen Tausendschön

Ein Lächeln, zart wie die ersten Sonnenstrahlen des herannahenden Frühjahres.

Irritiert schaue ich mich um. Doch da ist niemand. Dieses Lächeln gilt also mir?! Um so schlimmer! Was mache ich denn jetzt? Wie sehe ich überhaupt aus?
Seit Tagen nicht rasiert, die Haare zottelig wie ein Fraggle. Und jetzt sowas! Ausgerechnet! Es gibt 6 andere Tage in der Woche, da fühle ich mich attraktiver!

Irgendetwas muss ich tun. Irgendetwas ist meine Aufgabe.
Die Gedanken verschwinden hinter einem vergessenen Geruch von Nähe.

PFUMP! Es knistert und knallt in meinem Kopf. Gefühle explodieren in bunten Farben.
PFUMP! Deine Augen blicken direkt in mein Epizentrum der Begierde und der Neugier.
PFUMP! Du wirbelst Erinnerungen auf. Für einen Moment dachte ich, ich hätte deine Stimme erkannt oder sind wir uns als Ameisen schon mal begegnet? Kim Lange?
PFUMP! Ich bin Feuer und Flamme, gründe in Gedanken eine Familie, habe den besten Sex meines Lebens.

Ich höre die automatische Tür nicht.
„Junger Mann“, stößt mich eine Seniorin mit der Kraft der zwei Herzen von hinten an, „wollen Sie jetzt bestellen, oder was?“
Ich schrecke hoch, schaue mir direkt gegenüber in ein Lächeln, zart wie die ersten Sonnenstrahlen des herannahenden Frühjahres und sage verträumt:
„2 Mohn- und 3 normale Brötchen!“

Dies ist mein Beitrag zu Donna’s Schreibprojekt.


Zimmer frei

Sie wusste nicht, wie sie in dieses Zimmer gekommen war. Allem Anschein nach war sie eingeschlafen, obwohl es grade erst Abend wurde. Sie lag auf einem Sofa, jemand hatte ihr eine Wilde – Kerle – Decke übergelegt. Vorsichtig versuchte sie aufzustehen, aber sie war zu schlapp und sackte wieder zurück. Langsam, als könnte etwas kaputt gehen, schaute sie sich um. Ihre Augen mussten sich erst an das dämmrige Licht gewöhnen. Es war ein kleiner Raum mit furnierten Jugendzimmermöbeln und einer quietschgrünen Tapete mit Fix- und Foximotiv. Oma Eusebia drosch grade mit dem Nudelholz auf ihren nixnutzen Enkel Lupo ein. Ein Diercke Weltatlas mit braunem Textileinband ruhte auf einem Regalboden unter dem Einbauschreibtisch. Meyers Lexikon von A – Z stützte eine lange Reihe von Pitje Puck Bänden. Eine orangefarbene Liebe ist…- Kerze zielte genau auf das Polizeiauto von Playmobil im Fach darüber. Der Deckel einer Truhenbank stand offen und ein Monchichi schaute putzig heraus. Überall auf dem grob gemusterten Schlingenteppich lagen wild verstreut fischertechnik – Teile und Anleitungen. Ein roter Kleinwagen war in einen Unfall verwickelt, die Windschutzscheibe war dabei zersplittert. Eine Traube Plastiksoldaten stand drum herum und glotzte doof. Die Raupe Nimmersatt fraß sich grade durch ein Törtchen, für Kapitän Blaubär war nichts mehr übrig, der kleine Tiger war krank und ein Murmeltier vom letzten Weltspartag kuschelte mit einer Porzellanmöwe.
Dann hörte sie draußen Schritte und Stimmen. Durch einen Spalt in der Tür schob sich ein größer werdender Lichtkeil ins Zimmer. Mucksmäuschen still hielt sie den Atem an und kniff die Augen zusammen. Es raschelte und murmelte, dann fiel die Tür wieder ins Schloss. Ohne sich doch noch bemerkbar machen zu können, sank sie in den Schlaf zurück.
„Leihen?“, schrie Eusebia, „Dir? Nein, mein Lieber! Wenn du Geld haben willst, musst du es verdienen!“ „Aber Oma, es ist doch nur, weil .. Lupinchen hat Geburtstag!“, stammelte Lupo. Aber Oma kannte kein Erbarmen und jagte ihn zum Haus heraus. Nichts wie weg! Der arme Kerl wollte nur noch zurück in seinen alten Turm, sprang in sein Auto und brauste davon. Er konnte einem kleinen Äffchen, das plötzlich vor ihm auftauchte, nicht mehr ausweichen und fuhr vor eine Bonduelle – Litfaßsäule. Sofort strömten Dutzende Schaulustige von überall her zusammen. Ein dicker Mann in grüner Daunenjacke stopfte sich einen Muffin in den Mund, eine Frau im Pelz blickte vom Geldautomaten auf. Schon brauste ein Polizeiwagen heran. Ein großer, stattlicher Schutzmann stieg aus und rief: „Ahoi, ihr Landratten, alles im Lot auf ‚em Boot?“
„Pst“, machte da eine Kinderstimme und stellte einen Teller heiße Bouillon auf den Tisch am Sofa, „Mama ist doch an der Bushaltestelle eingefroren und hat sich verkältet!“

Dies ist mein Beitrag zu Donna’s Schreibprojekt.

Haferschleim

Ich war mal krank. Musste sogar ins Krankenhaus. Sollte sogar da bleiben. Am nächsten Nachmittag spielte aber Arminia Bielefeld- Bayern München. Ich wollte nicht bleiben. Ich wollte auf den Block, wo ein anständiger Fan hingehört, wenn er in Bielefeld wohnt. Ich musste aber bleiben. Ich hatte aber meine Dauerkarte und mein Trikot eingepackt. Komisch. Ich dachte, höre ich das Spiel eben im Radio. So blieb ich eine Nacht, bat die Schwester, mir den Zugang zu ziehen, weil er weh täte und machte dann einen GAAANZ langen Spaziergang. Am Stadion vorbei. Zufällig. Und als Fan hatte ich natürlich mein Trikot an. Und meine Dauerkarte dabei. Vielleicht könnte ich die ja noch einem Freund geben. War aber keiner da. Warn schon alle auffem Block. Ging ich also mal gucken. Hallo sagen. War ein geiles Spiel. Ham aber verloren.
Am Abend gabs wieder Haferschleim im Krankenhaus. Lauwarm. Das Zeug schmeckt ja wie aufgeweichtes Löschpapier in Grau. Sieht auch so aus. Also erst einmal einen Teebeutel reinhängen. Dann gings schon besser runter. Mit weniger Würgen. Mein Körpergewicht näherte sich inzwischen dem einer gusseisernen Bratpfanne. Dann kam Ostern. Ich löste kleine eingeschmuggelte Schokohäschen im Haferschleim auf. Das war schon ein anorektisches Festmahl. Sehr empfehlen kann ich auch einen etwa 2 cm langen Streifen Zahnpasta. Nimmt man Signal, ist es quasi sogar Haferschleim rot- weiß. Nach 5 Tagen und 7 Kilo geschmolzenem Körpergewicht hätte ich jede Schwesternschülerin zugunsten eines Butterkekses nackt liegen lassen. Dann gab es Aufbaukost. Ich dachte, dass mich das aufbaut. Vergeblich suchte ich unter der Portionsmarmelade (Aprikose!) nach Aufschnitt. Wie ein Huhn, nicht wie ein Mann, pickte ich meine Scheibe Un- ge- Toast und mopste mir bei entlassenen Mitpatienten Magermilch- Joghurts vom Tablett, bevor die abgeräumt wurden. Am Abend, nachdem mich das erste Mal die osteuropäische Außenhandelsvertreterin nach Brötchen zum Frühstück gefragt hatte, wurde ich entlassen. Schlank wie ein Zaunpfahl, geil wie ein Murmeltier nach dem Winterschlaf und der Kühlschrank leer wie eine Halle zwei Stunden nach Ende eines Konzertes von Hansi Hinterseer.

Zeiträuber

Davon geistern im Moment viele durchs Haus:

Kleine Notizzettel, blinkende Anrufbeantworter, SMS-Signaltöne, Stofftiere und lange Unterhosen mit Löchern, ferngesteuerte Autos und Taschenlampen mit leeren Akkus, volle Wäschekörbe, leere Kühlschränke, harte Brötchen, keine Eier, Zahlungsaufforderungen, Weihnachtsdeko, Adventskalender, Pfandflaschen, Altpapier, Schneeschipper, zugefrorene Scheiben, Matsch im Flur, nasse Schuhe, gerissene Schnürsenkel, verklemmte Jalousien, durchgebrannte Glühlampen, Steinschlag in der Windschutzscheibe, Winterreifen im Schuppen, Abfallkalender, Koffer, unaufgeräumte Kinderzimmer, nicht gemachte Betten, Nachts plötzlich piepende Wecker, Elternstunden in der Kita, Fortbildungen am Freitag, Hunger in der Mittagspause, Klebefilm- und Scherenverstecker, Brillen- und Hausschlüsselverschlürer!!

Wenn das morgen alles weg ist, ja Scheiß in Dreck, was mach ich dann?!

Last Christmas

Seit 1984 geht mir das auf die Nüsse. An jedem Glühweinstand trällern mir diese beiden Lappen die Ohren voll. In der Bahn, im Bus, im Auto, beim Brötchen holen, im MP3-Player, auf dem Deich, selbst im Radio. Keine Ruhe!

Wann kommt endlich die Version „Very last christmas“ heraus? Dann singe ich mit: „Letzte Weihnacht, allerletzte Weihnacht …“

Ich habe früher immer Pink Floyd gehört: Wish you were here. Das mache ich jetzt auch wieder!

Baumfieber

Weihnachten stand vor der Tür und wieder einmal hatte es diese endlosen Diskussionen gegeben. Seit zwei Wochen stritten sie jeden Abend darüber, ob sie am ersten Feiertag ihre Eltern zu Gans mit Rotkohl und Klößen besuchen oder zu seinen Eltern fahren, wo es traditionell Kartoffelsalat mit Bockwürstchen im Brötchen gibt.
„Immer dieses heilige Gedudel im Oberhemd“, dachte er und schüttelte sich, „und diese scheiß schweren handgeriebenen Kanonenkugeln, die den fetten Vogel vom Himmel geschossen haben …“ Mit Grauen erinnerte er sich an das heuchlerische Bestaunen des oberförsterlich erschlagenen grün- (n)adeligen Waldbewohners mit echten Bienenwachskerzen im letzten Jahr (das Mistding piekste, war nach zwei Tagen kahl wie ein katholisches Kirchenoberhaupt und auf allen Fotos sah man diesen dämlichen Löscheimer!). Der Gedanke an einen diskret zugeschobenen Büttenumschlag mit 50 Euro stimmte ihn auch nicht fröhlicher.
Daheim aber tauchten hunderte kleine Lämpchen die Rundfichte, eine schnittgrüne Konifere, in ein heimeliges und verheißungsvolles Licht. Engelschöre verkündeten die heilige Nacht. Mutter deckte durch Berge von Geschenkaltpapier watend den Tisch mit ihrem himmlischen hausgemachten Kartoffelsalat, ein kulinarisches Weihnachtsgedicht. Ihm lief bei diesem Gedanken das Wasser im Munde zusammen. Und die 20 Euro konnte er gut gebrauchen.

„Schön, dass ihr da seid“, riss sie ihn aus den Träumen, als sie die Tür öffnete, „ich hab heute zur Abwechslung ‚mal Gans gemacht!“

Dies ist mein Beitrag zu Donna’s Schreibprojekt.

Schweinegrippe

Überall ist sie in aller Munde (schmeckt das dann nach Schnitzel?). Man hört davon in den Nachrichten, man liest darüber in den Zeitungen. Wie damals beim Rinderwahnsinn.
Aber ich kriege es einfach nicht. Ich kann mir Mett, halb Rind, halb Schwein, Zentimeter dick aufs Brötchen schmieren, ich kriegs einfach nicht. Ich bekomme weder lila Flecken, noch ringelt sich mein Schwänzchen. Auch die Hühnerpest ist Zugvogel artig an mir vorbeigeflogen, ohne dass ich Eier gelegt hätte. Was mache ich bloß falsch? Ich habe mich mit aktiven Erregern impfen lassen. Nix! Noch nicht einmal eine Rötung an der Einstichstelle! Ich war im Urlaub an der Schweinebucht, lass mich auf jeden Kuhhandel ein, telefoniere täglich mit der Hotline im Bundesgesundheitsministerium, habe ein 6- monatiges Praktikum bei Bauer Ewald auf Prickings-Hof absolviert. Es passiert einfach nix.
Ich werd noch wahnsinnig.